Das Auge der Hochebenen Mit dem Mountainbike auf die Cima Vézzena
Eine der schönsten Landschaften Europas verwandelte sich im Ersten Weltkrieg in einen der schrecklichsten Schauplätze: In den Dolomiten bekämpften sich zwischen Italiener und Österreicher unter widrigsten Umständen. Die Front verlief vom Stilfserjoch bis nach Slowenien – mit erbitterten Kämpfen und mit zahlreichen Toten. Heute führt der rund 500 Kilometer lange Friedensweg – der Sentiero della Pace – in 30 Etappen an der einstigen Frontlinie entlang und vorbei an vielen historischen Festungen und Stellungen aus der damaligen Zeit: landschaftlich wunderschön, historisch grausam.
Eine empfehlenswerte Etappe im Trentino führt von Luserna über das eingefallene Panzerwerk Verle hinauf zur Cima Vézzena oberhalb des Lago di Caldonazzo. Zu Fuß ist man sechs Stunden unterwegs, mit dem Mountainbike lassen sich die 22 Kilometer und 900 Höhenmeter wesentlich schneller bewältigen, aber nicht weniger schön!
Im schmucken Bergdorf Luserna hoch oben über dem Astico-Tal singen die hier ansässigen Zimbern. Vor 100 Jahren begann für sie der Gebirgskrieg mit einem Volltreffer, denn am Pfingstmontag wurde von den Italienern auf der anderen Frontseite zu tief geschossen. Statt der Festung über dem Dorf liegt trafen sie die Kirche von Luserna mit einer Granate. Ein 16jähriges Mädchen starb und alle, die nicht zum Kriegsdienst eingezogen wurden, flohen - erzählt Luis Thomas Prader, der sich um die Erhaltung der zimbrischen Sprache und Kultur bemüht. Als die Zimbern nach dem Krieg 1919 zurückkehrten, fanden sie ein geplündertes und zerstörtes Dorf vor. Davon ist heute zum Glück nichts mehr zu spüren – nur im kleinen, aber feinen Museum am Ortseingang wird an diese Kriegszeit erinnert.
Nach der Besichtigung des Museums geht es auf dem heutigen Friedensweg entlang der ehemaligen Frontlinie über die Lavarone-Hochebene mit ihren sanften Wiesen und Hügeln und über den Passo Vézzena zum halb verfallenen Panzerwerk Verle, dessen leere Türen und Tore gespenstisch anmuten. Hier hat damals auch der berühmte Bergpionier Luis Trenker gedient. Wo man heute mit gewichtsoptimierten Fahrrädern unterwegs ist, mit Funktionskleidung und federleichten Helmen, wurden damals von den Soldaten im Krieg 20, 30 Kilo Sturmgepäck mitgeschleppt, zum Teil auch Kanonen hoch zu den Bunkeranlagen. Über 150.000 Menschen starben während des Gebirgskrieg, die meisten erfroren, verhungert, verschüttet oder abgestürzt.
Hinter dem Panzerwerk Verle geht es hinauf zu den Überresten der k.& k.-Festung auf die 1908 Meter hohe Cima Vézzena, auch Pizzo di Levico genannt. Der Anstieg mit 400 Höhenmetern führt über mehrere Kehren auf dem alten Kaiserjäger-Weg hinauf. Heute ist der Weg mit hellen Steinen geschottert und dadurch auf dem Mountainbike eine recht schweißtreibende Angelegenheit, auch weil auf dem Schotter das Hinterrad leicht durchdreht. Die letzten Meter hoch zum Gipfelkreuz geht es dann zu Fuß. Der freistehende Fels und der fantastische 360°-Rundumblick haben der Kriegsstellung den Namen „Auge der Hochebenen“ eingebracht.
Tief unten glitzern der Lago di Caldonazzo und der Lago di Levico im Sonnenlicht, in der Ferne leuchtet die schneebedeckte Brenta. Nach dem Abstieg oder der Abfahrt von der Cima Vézzena können die Wanderer auf der Passhöhe einkehren und hier auch übernachten. Die Mountainbiker radeln zurück zum Ausgangspunkt Luserna, wo Miriam Nikolussi im Ristorante Rossi mitten im Ort die hier typischen Speisen serviert: Speckknödel, Kräuterknödel, Käsknödel und als Hauptspeise Wild, vor allem Hirsch, Reh und Wildschwein mit Polenta. „Essert guat“ heißt es auf zimbrisch. Doch eigentlich schweigen die Zimbern bei der Arbeit und beim Essen – und genießen lieber still.
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Karte: Die Cima Vézzena