Die lange Geschichte einer kurzen Wurst
Sie ist klein, lecker und ein Nürnberger Markenzeichen: Die Rostbratwurst. Über 700 Jahre ist sie alt – angeblich. Wir blicken zurück auf die lange Geschichte einer kurzen Wurst.
Es ist ein Skandal. Wie können sie es wagen, diese gewinnsüchtigen Garküchenköche? Wucher! Im Herbst 1573 macht der Rat der Stadt Nürnberg deutlich, was er von der neuesten Kreation der kreativen Küchenchefs der Stadt hält: einer fingerlangen, gerade mal 25 Gramm leichten Bratwurst, im Angebot für 4 Pfennige.
"Alle sweinen lentpraten"
Es ist der erste Nachweis einer Nürnberger Rostbratwurst, wie wir sie heute kennen. Die Tradition der Wurstherstellung in der Stadt ist allerdings viel älter. Mit Sicherheit wurde hier schon im frühen Mittelalter Wurstbrät in Tierdärme abgefüllt. Der Nürnberger Rat sieht sich jedenfalls bereits Anfang des 14. Jahrhunderts genötigt, die Wurst-Produktion zu regeln.
"Alle sweinen lentpraten sol man in die wurste hacken. Swer si anders verkoufft, der gibt zwên schilling, als dicke und er daz tůt."
Aus dem Satzungsbuch der Stadt Nürnberg, 1302-1315
"Alle sweinen lentpraten", also nur das beste Muskelfleisch ohne Knochen oder Knorpel soll in die Wurst, ist im Satzungsbuch der Stadt zu lesen. Gleichzeitig wird eine Amtsperson eingesetzt, der "Würstlein", der darüber wacht, wer, wo, wann und wie schlachten darf. Kontrollen, die innerhalb der Stadtmauern möglich sind, im Gegensatz zum flachen Land. Von Länge und Durchmesser der Wurst ist dagegen nicht die Rede. Doch auf die Quantität kommt es hier auch gar nicht an.
Regelwut macht Würste gut
"Die Fleischordnung ist die erste lebensmittelrechtliche Bestimmung einer Kommune", sagt Rainer Heimler, der Vorsitzende des Schutzverbandes der Nürnberger Rostbratwurst. "Sie sollte die Qualität festlegen und die Überwachung dieser Qualität garantieren." Und das geschah in den Jahrhunderten danach so gründlich, dass die Güte der Nürnberger Wurst bald sprichwörtlich wurde. Im Endeffekt hat also die Regelungswut des Stadtrates die wohl bekannteste kulinarische Köstlichkeit Nürnbergs hervorgebracht – wenn man so will.
So wird die "Nämbercher" aufgetischt
Historisch zu belegen ist es nicht, warum 700 Jahre Nürnberger Rostbratwurst nun ausgerechnet am 13. September 2013 gefeiert wurde. "Ein entsprechendes Schriftstück kenne ich nicht", stellt Peter Fleischmann fest, Direktor des Nürnberger Staatsarchivs und Experte der reichsstädtischen Geschichte. Bratwurstschützer Rainer Heimler verweist dagegen auf die Rechtsetzungsautonomie in Marktsachen, die der Stadt am 11. Juni 1313 durch Kaiser Heinrich VII. verliehen wurde. Dass wenig später eine Verordnung erlassen wurde, um die Qualität der Würste zu sichern, mache Sinn.
Das kommt in die Wurst
Mittelgrob gewolft
In die Wurst kommt laut Beschluss des Ausschusses für Recht, Wirtschaft und Arbeit des Nürnberger Stadtrates am 18. März 1998: grob entfettetes Schweinefleisch mit mittelgrober Körnung und ohne Brätanteil. Der Fettanteil darf maximal 35 Prozent betragen.
Majoran-Note
Seinen typischen Geschmack erhält die Nürnberger hauptsächlich von der Majoran-Würzung - dieses Gewürz ist laut Stadtratsbeschluss verpflichtend und muss in das Nürnberger Würstchen.
Geheimrezeptur
Weitere Gewürze wie Kardamom oder Piment runden den Geschmack ab. In welchen Anteilen und Mengen die Gewürze beigemischt werden, wird von den Metzgern gern als Geheimrezeptur unter Verschluss gehalten.
Schafsaitling
Die Nürnberger Rostbratwurst muss im engen Schafsaitling (Dünndarm des Schafes) auf 7 bis maximal 9 Zentimeter abgedreht werden. Im Rohzustand darf sie nur etwa 20 bis 25 Gramm wiegen.
Wursthandwerk
"Gesetze sind wie Würste, man sollte besser nicht dabei sein, wenn sie gemacht werden." Otto von Bismarck
Wer's trotzdem wissen will: Unter dem folgenden Link ist beschrieben, wie die Nürnberger in einer Metzgerei entstehen.
Sicher ist, dass Fleisch in Tierdärmen zu den Grundnahrungsmittel der Stadt gehörte. In der Metzgersverordnung von 1497 ist genau geregelt, wie schwer Würste sein und zu welchem Preis sie verkauft werden dürfen. Als der Fleischpreis im 16. Jahrhundert aber immer weiter ansteigt, reagieren die Nürnberger Bürokraten ungeahnt flexibel: Die Würste dürfen immer kleiner werden – bei gleichbleibender Qualität. Woanders werden die Regeln nicht angepasst. Mit verheerenden Folgen für den Geschmack.
"Arm's Wöschdla!"
Fränkischer Ausruf
Um das Warum ranken sich viele Legenden, irgendwann jedenfalls war die Wurst so klein, wie sie heute verkauft wird. Über Jahrhunderte wacht der Rat der Stadt argwöhnisch über die Güte der Würste, die kleiner sind als irgendwo anders in Deutschland. Und offensichtlich besser, denn schon bald blühte der Versandhandel. Kein Geringerer als Goethe bestellte sie per Eilpost nach Weimar, und Jean Paul verewigte die Würste als "in meinem Magen schöne Vergissmeinnicht von Nürnberg".
"Broudworschd-Haikus" von Fitzgerald Kusz
Haikus à la Kusz
"Haiku" klingt ja wenig Fränkisch-kompatibel, dennoch hat sich der Nürnberger Schriftsteller Fitzgerald Kusz der japanischen Gedichtform verschrieben. Es folgen broudworschd-haikus oddä dreizehn mall broudwerschd in drei zeilen in Nürnberger Mundart.
Spätestens mit der Wiederentdeckung Nürnbergs als Sehnsuchtsort der Romantik im 19. Jahrhundert werden die Bratwürste und die Garküchen zu einem Symbol für die Stadt, das den Fremdenverkehr fördert. Allerdings hinkte die Fleischproduktion der Nachfrage immer wieder hinterher. Und das, obwohl der Rat die Schweinehaltung auch bei städtischen Müllern und Bäckern förderte. Schon im Mittelalter wurden über Böhmen Schweine aus Ungarn und Kleinpolen eingeführt.
Wurst ist nicht gleich Wurst
Ganz andere Probleme ergeben sich im 20. Jahrhundert. Spätestens in den 1980er-Jahren nimmt der Wurst-Raubbau überhand. Überall in Deutschland werden "Nürnberger Rostbratwürste" angeboten, die rein gar nichts mit denen aus der alten Reichstadt zu tun haben. "Weder in Geschmack, Aussehen oder Größe", sagt Bratwurst-Schützer Rainer Heimler.
Um dem einen Riegel vorzuschieben, wird 1998 der Schutzverband Nürnberger Bratwürste gegründet, der auch gerichtlich gegen Möchtegern-Nürnberger vorgeht. Unter Federführung des damaligen Stadtrechtsdirektors Hartmut Frommer wird die Wurst 2003 schließlich unter EU-Schutz gestellt. Als "Produkt mit geschützter geografischer Angabe" darf eine Nürnberger Rostbratwurst nur als solche verkauft werden, wenn sie innerhalb der Stadtgrenzen und nach den engen Regeln des Rates hergestellt wurde.
Zum Nachlesen
Die EU-Verordnung zum Schutz der Nürnberger Rostbratwurst als PDF-Datei:
Längst haben sich die Miniwürste zu einem gewichtigen Wirtschaftsfaktor entwickelt. Etwa 1,4 Milliarden verlassen pro Jahr die mehr als 70 Metzgereien und Fabriken, schätzt der Nürnberger Traditionsgastwirt Werner Behringer. Er brät seit 49 Jahren Würste in einer der Nürnberger Garküchen, die seit den Anfängen des Tourismus ein Muss für die Besucher der Stadt sind.
Zu früh? Zu spät? Woschd.
In der Stadt wurde die Rostbratwurst 2013 mit verschiedenen Veranstaltungen gefeiert. Dabei war völlig egal, ob das Jubiläum nun einige Jahre zu früh oder zu spät begangen wurde. Die Nürnberger lassen sich das Feiern nicht verbieten. Wie auch den Genuss ihrer geliebten Wurst. Der Zorn der Ratsherren von 1573 war den Bürgern jedenfalls egal. Sie kauften die Miniwürste heimlich in den Privatgemächern der Metzger. Solange, bis der Rat nachgab. Mahlzeit.