Bayern 2 - Nachtmix

Neuerscheinungen der Woche Neue Alben von Jamie XX, Bright Eyes, Manu Chao und Noga Erez

Welche relevanten Platten erscheinen morgen, was sollte man sich davon nicht entgehen lassen und worauf kann man vielleicht auch besser verzichten. Darum geht’s in unserem wöchentlichen Neuheiten-Check. Heute im Focus – die neuen Alben von Bright Eyes, Manu Chao, Jamie xx, Thurston Moore, Noga Erez, Joan As Police Woman, Brezel Göring, V.A. – Das Schöne Leben des Herrn K., Peter Thomas Sound Orchester, Photay, Or:La, V.A. Italomania Vol. 2 und Soft Violet

Von: Ralf Summer

Stand: 19.09.2024

Bright Eyes | Bild: Nik Freitas

BRIGHT EYES – Five Dice, All Threes

Conor Oberst & Band sind zurück – mit Indie-Folk der Spitzenklasse. Es wird geschwärmt, geschwoft und gewürfelt. Aber auch gehasst („i hate the protest singer staring at me in the mirror“) und gescratcht („Spun Out“). Dazu mexikanisch-klingende Mariachi-Bläser. Und wenn Conors vibrierend-wacklige Stimme erklingt, laufen dem Fan wohlige Schauer (der Nostalgie) über den Rücken. In „Tiny Suicides“ erschrecken wir kurz, atmen auf beim Mitsingsong „Trains Still Run On Time“ - denken aber an die Deutsche Bahn, „Bells and Whistles“ pfeift einen zurück zur guten Laune und am Ende ruft die Mundharmonika von „Tin Soldier Boy“ den Dylan-Moment inkl Runterzähl-Chor hervor. Als Gäste erfreuen uns Cat Power („All Threes“), Matt Berninger von The National („The Time I Have Left“) sowie Alex Orange Drink von der New Yorker Punkband The So So Glos, der dem Trio gleich bei mehreren Songs half – u. a. hören wir ihn bei der Single „Rainbow Overpass“. Oberst hatte ihn eingeladen, im Winter bei ihm in L.A. zu wohnen: Spass zu haben und Musik zu machen. Textlich werden Martin Scorsese und Elon Musk gedisst, der tragisch ums Leben gekommene, niederländische Performance-Künstler Bas Jan Ader bekommt dafür ein eigenes Lied.
Und Conor wundert sich, dass er es geschafft hat, bald 45 zu werden, was er nie für möglich gehalten hat. Er lebt heute in L.A. und NYC – und pflegt seine Vorliebe für dunkle Themen: „aus irgendeinem Grund wurde ich mit einem Gehirn geboren, das sich mit dieser Art von Dingen beschäftigt. Heute ist es mir egal, wie die Leute drauf reagieren“. Und freut sich über das wiedergefundene Chaos der Band. Und wir uns über ein wirklich abwechlungsreiches neues Album:

"Wir haben 20 Jahre gebraucht, um eine weitere Platte zu machen, die wie eine Band klingt, die live spielt“ (Mike Mogis, ihr Multiinstrumentalist und Produzent). Der Titel ist eine Anspielung an den 50er-Jahre-Frank-Sinatra-Film „Suddenly"

. Oberst, Conor

Die Band erklärt: im Spiel der Dreier, würde der titel-gebende Zug einen perfekten Wurf bedeuten. In der Welt von Conor Oberst ist Perfektion jedoch alles andere als das Ziel: hier geht es auch um Fehler und Zufälle. (8,0 von 10 Punkten)

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Rainbow Overpass | Bild: Bright Eyes - Topic (via YouTube)

Rainbow Overpass

MANU CHAO – Viva Tu

Sein erstes Studio-Album seit 16 Jahren. Jedes Stück ist pur Manu Chao - trotz der großen, stilistischen Abwechslung: Cumbia, Rumba, Country, Chanson, Dub – all das zeichnet die gelebte Offenheit von ihm aus und spiegelt sich in seiner Stilvielfalt wider. Und der Mehrsprachigkeit. Auch wenn die meisten Stücke auf Spanisch gesungen sind. Musikalisch sticht „Heaven´s Bad Day“ hervor, seinem Duett mit Willie Nelson, 91 (!) - das von seiner Munharmonika und seinem Country-Swing lebt. Dazu gibt es eine Koop mit dem Pariser Rapper Laeti und den süssen Mitsing-Schlager „Tom Et Lola“. Die neuen Lieder umarmen einen wieder mal schneller als man schauen kann – Manu Chao spendet Trost, spricht von Hoffnung, trotz der Aussichtslosigkeit angesichts der vielen Probleme – und benennt ihn immer wieder, den Hauptschuldigen: den (lieben) Kapitalismus, der die eisernen Gesetze des Planeten vorgibt.
Er ist der globale Grassroots-Protestmusiker par excellence – Manu Chao unterstützen durch Live-Konzerte, Zuspruch oder simpel: Spenden. Kein Wunder, dass der Nomade kaum ins Studio kommt und dass es solange dauerte, bis wieder ein Album fertig ist. Wahrscheinlich ist er als Wanderheiler mit seinem Strassenmusiker-Sound südlich des Äquators wertvoller als in einem Studio in Frankreich oder Spanien. Pop kann dankbar für solche Figuren sein. (7,6 von 10 Punkten)

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Manu Chao - Viva Tu (Official Music Video) | Bild: Manu Chao (via YouTube)

Manu Chao - Viva Tu (Official Music Video)

JAMIE xx – In Waves

Der Kopf der englischen Vorzeigeband The xx mit einem zweiten Solo- Album. Neun Jahr nach seinem ersten eigenen Album und sechs Jahre nach der letzten Band-Platte. Club-orientierter sind die neuen Tracks, da er sie immer wieder bei seinen DJ-Sets getestet hat ob die Leute dazu tanzen. Mit einem Sample des 1997er Speed Garage-Hits „R.I.P Groove“ von Double99 beginnt die Platte. Danach beginnt die House-Party mit „Treat Each Other Right“. Aber nicht mit zu vielen 90er-Anspielungen. Da er einen Großteil der 90er-Club-Sound-Nostalgie „uninspirierend“ findet. Als Gäste am Mikro zu hören sind: seine The xx-KollegInnen, Robyn, Erykah Badu, Panda Bear (Animal Collective), Honey Dijon, Kelsey Lu & John Glacier und bei zwei Tracks helfen die Sample-Spezialisten The Avalanches aus Australien. Was er als eine Art „grosse Ehre“ empfand: war er doch als Kid „besessen“ von deren Debüt - einem überbordendem Sample-Pop-Meisterwerk (war lange vergriffen + rechtlich knifflig). Ansonsten holte er sich „seine“ Samples von den vielen Vinyls, die er bei seinen DJ-Gigs kauft. Ob er wohl was in Berlin gefunden hat, wo er vor dem Fussball-EM-Finale auflegte (das die Briten dann verloren)? „Baddy On The Floor ft Honey Dijon“ ist der Hit – kommt daher wie eine Mischung aus French House (Daft Punk) und New York House (Masters At Work). Und der Downtempo „Dafodil“ hat es auch in sich – besitzt er doch diesen elektronischen Soul eines DJ Koze.
Die Song-Reihenfolge entspricht einer Clubnacht: aufwärmen, im Tempo anziehen, Abriss, raus aus dem Laden und wieder rein, nochmal tanzen und am Ende abklingen lassen. Wie der Titel schon sagt: in Wellenform – Auf und Ab. Und meint auch sein 2. Hobby: Surfen - während des Lockdowns war er in z. T. Kalifornien, tat es täglich. Sein Sound klingt nach dem Besten aus beiden Welten: aus Pop & Club. Sein zweites Geheimnis: er kann es feierlich - erhaben muten lassen – wie kaum jemand sonst. Und wer mehr Pop braucht: The xx arbeiten schon am nächstem Bandwerk – ohne Eile, wie Jamie betont. Die Fans werden „In Waves“ wohl länger in aller Ruhe geniessen können. PS: der Erykah Badu-Track ist nur auf der Deluxe-Edition. (8,2 von 10 Punkten)

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All You Children | Bild: Jamie xx - Topic (via YouTube)

All You Children

THURSTON MOORE – Flow Critical Lucidity

Mr Ex-Sonic Youth mit einem Album über Träume. Was aber nicht heisst, dass hier Ambient-Gitarren-Balladen dominieren würden. Auch wenn es mit zurückgenommenen Stücken beginnt: „New In Town“ (Fans wissen, dass er ja schon länger in London lebt und vergleichen es mit dem Klang der US-Indie-Math-Rock-Band Polvo) und „Sans Limites feat Laetitia Sadier“ (der in ebenfalls in London lebenden Stereolab-Sängerin), in dem sie aber (leider) nicht als Sängerin zu hören ist. „Hypnogram“ bringt uns den introvertierten, experimentellen Thurston, „Rewilding“ kommt perkussiv daher - ein Fan postet auf Youtube, dass es ihn an Can erinnert. Und fordert eine Reunion von SY – statt der von Oasis. Mit dem Schluss-Track „The Diver“ nähert er sich gefährlich dem von ihm bisher weit entfernten „Dream-Pop“-Genre. Dank seiner flirrend gespielten Gitarre. Steht ihm aber gut. (Keine Wertung, da nicht alle Songs vorhörbar)

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Thurston Moore - Sans Limites (featuring Laetitia Sadier) (Lyric Video) | Bild: Thurston Moore (via YouTube)

Thurston Moore - Sans Limites (featuring Laetitia Sadier) (Lyric Video)

NOGA EREZ – The Vandalist

„I sleep with one eye open, my shoes always on“ – damit beginnt sie ihr neues Album. Noga ist auf dem Sprung: nach drei Alben fürs deutsche Indie-Label CitySlang - das uns Hits wie „Dance While You Shoot“, „Off The Radar“ oder „End Of The Road“ bescherte, nun das Major-Label-Debüt der israelischen (Electro-)Pop-Rapperin. Sie hatte ein Liebesalbum geplant – nachdem es mit Ori Rousso wieder lief – mit ihm teilt sie Studio und auch Bett. Dann kam der 7. Oktober – der Überfall der Hamas. Die Single „Come Back Home“ bezieht sich nicht auf die entführten Geiseln, er wurde schon vor dem Terrorangriff mit 1.100 Toten geschrieben. Dementsprechend unsicher ist man beim Hören der Platte: bezieht sich der Text nun auf die Zeit nach dem 7. Oktober oder nicht (sie ist ja keine Poltikerin) ? Die catchy Stücke vom Canceln der Woke-Kultur (sie ist gegen Political Correctness), Therapie („Danny“ – bei dem Robbie Williams mitsingt) und „Sad Generation,    Happy People“. „Ayayay“ ist ein Duett mit dem argentinischen Rapper Dillom – auf nen Reggaeton-Beat. Nogas Trick: sie denkt sich in die Rollen ihrer Titelhelden Vandalist hinein: „eine Art böser, aber schlauer Superheldin, der alles egal ist“, wie sie dem Musikexpress sagte, der „The Vandalist“ zum Album Des Monats kürte.  Ein Teil der Platte hat sie mit Justin Raisen in L.A. aufgenommen – der zuletzt Kim Gordon, Lizzo oder Yves Tumor im Studio hatte. Das ist der einzige große Unterschied zu den Vorläufern: kein kommerziellerer Stil, aber sie kann sich nun Robbie und Justin leisten. Im letzten Lied „Oh, THANK YOU!“, zählt sie ihre Lieblingsbands auf – es müssen an die 100 sein – das Lied dauert 1´39 und pro Sekunde schafft sie mindestens einen einflussreichen Namen. Schöne Demut-Geste. Auch das Mini-Comic auf dem Cover rechts unten: zwei Hände, die mit der Pistolen-Geste auf sich zielen – doch das lachende :) Gesicht dazwischen trennt die. Es ist das Wesen der Musik, Noras Musik. Danke! Am 19.9. spielt sie beim Reeperbahn-Festival in Hamburg, am 22.9. ist die offizielle Release-Show in Berlin im Bi-Nuu. Tour folgt. (7,6 von 10 Punkten)

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Noga Erez - Vandalist “ Against The Machine “ [Live] | Bild: Noga Erez (via YouTube)

Noga Erez - Vandalist “ Against The Machine “ [Live]

JOAN AS POLICE WOMAN – Lemons, Limes & Orchids

Ruhiger und elektronischer klingt sie – und singt von Liebe und Verlust auf ihrem zehnten Album. Inzwischen ist Joan Wasser aka Joan As Police Woman Keyboarderin in der Live-Band von Iggy Pop. Die New Yorkerin ist ja sehr wandlungsfähig – spielte früher mit Antony & The Johnsons, und im Background-Tour-Chor für Rufus Wainwright, Colin Greenwood von Radiohead wurde Fan ihrer Violine. Dann holte sie Damon Albarn ins Boot zu Konzerten mit dem Africa Express, wo sie Tony Allen kennenlernte. Mit der inzwischen verstorbenen Afrobeat-Drummer-Legende spielte so noch ein Album ein. Es folgte Gast-Auftritte bei den Gorillaz, und David Sylvian, dazu Brian Molko (Placebo) oder Scissor Sisters. Sie ist die perfekte Ergänzung. Egal ob Indie, Afro, Soul oder gar Disco - Joan kann alles – und nun auch ein nahe gehendes Album voller Balladen. Bwz. introvertierter, z. T. sparsam instrumentierter Songs. Mit so einer vielseitigen und breit aufgestellten Künstlerin würde man gern mal einen Kaffee oder Bier trinken oder einen Gästemix aufnehmen. (7,5 von 10 Punkten)

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Joan As Police Woman - Full-Time Heist (Official Music Video) | Bild: Joan As Police Woman (via YouTube)

Joan As Police Woman - Full-Time Heist (Official Music Video)

 BREZEL GÖRING – Friedhof Der Moral             

Im Prinzip das zweite Abschiedsalbum von seiner viel zu früh an Krebs verstorbenen Lebens- und Bandpartnerin Francoise Cactus, mit der der Berliner das Trash-Pop-Duo Stereo Total bildete. Sie spricht auch gleich den ersten Satz auf der Platte: „Such dir einen Arzt“. Und er so: „Ich brauche keinen Arzt“ – passend zum Albumcover, auf dem knallrot auf tiefschwarz steht: „Psychoanalyse“ – sieht aus wie ein Horrorfilm-Cover.
Brezel singt auf Deutsch, Englisch, Französisch – von Sex & Einsamkeit, Krankheit & Medikamente, Apokalypse & Feuerlöscher (!) – und lässt es scheppern und dengeln wie eh und je. Im Flipperautomaten-Song „Die letzte Kugel“ hören wir Francoise sogar nochmal singen. Wahrscheinlich ist das Sich-in-Arbeit-stürzen sein bestes Mittel, mit der Trauer umzugehen. Und als Fans haben wir ja auch etwas davon. Am 11.12. kommt Brezel in den Z-Bau nach Nürnberg, am 12.12. ins Orangehouse nach München und am 13.12. in die Brotfabrik Frankfurt. (7,7 von 10 Punkten)

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Brezel Göring – Tschernobyl | Bild: Stereo Total (via YouTube)

Brezel Göring – Tschernobyl

V.A. – Das Schöne Leben des Herrn K. (Manfred Krug-Tribute)

Techno wird (in Berlin) gerne als der gemeinsame Soundtrack der Wiedervereinigung gehört/gelesen. Auch für Avantgarde-Bands wie Sandow, Feeling B (aus denen z.T. Rammstein hevorgingen), oder AG. Geige (um Jan Kummer – Vater von Kraftklub- und Blond-Musiker) interessierten sich die Musikfans im Westen bald. In einer dritten Welle entdeckten wir Westdeutsche dann auch die großen Namen der „Brüder und Schwestern“: City, Karat oder auch Manfred Krug. Krug lebte zwar ab 1977 im Westen, veröffentlichte aber davor neun LPs auf Amiga. Der Schauspieler/Sänger war großer Jazz-Fan, was man seinem DDR-Schlager anhört. Er wirkte komplexer als seine West-Pendants – am ehesten vielleicht noch vergleichbar mit einem Reinhard Mey, der aber nicht so groovte wie Krug, ein „Star“ der DDR. Was im Westen meist als gewöhnungsbedürftig empfunden wurde: die Texte. Sie waren verklausuliert formuliert – mussten ja durch die staatliche Prüfung.
Dieser Reiz scheint für eine jüngere Generation von ost- und westdeutschen (Indie-)Musikerwie Masha Qrella, Stefanie Schrank (Locas in Love), Paul Pötsch, Albertine Sarges oder Sebastian Madsen groß zu sein. „Ade“ von Lina Maly & Moritz Krämer (Die Höchste Eisenbahn) sowie „Niemand Liebt Dich So Wie Ich“ von Charlotte Brandi wurden schon in den letzten Jahren veröffentlicht – und tauchen nun auf diesem Tribute-Sampler nochmal auf. Bei „Wenn’s draußen grün wird“ von Das Paradies & Albrecht Schrader hat man das Gefühl, den jungen Manfred Krug zu hören. Eine späte, notwendige deutsch-deutsche Annäherung – in einer Zeit, in der immer wieder Ost-West-Befindlichkeiten betont werden. (7,8 von 10 Punkten)

PETER THOMAS SOUND ORCHESTER – The Tape Masters Vol.1 (Library Music)

Posthumes Album des Komponisten des Soundtracks der ersten deutschen Science-Fiction-Serie „Raumpatrouille Orion“. Eine erstklassige Hintergrundbeschallung zwischen Orion, Edgar Wallace- und Jerry-Cotton-Krimi-Soundtracks, die Peter Thomas in den 60ern auch schrieb. Später folgten Serien wie Derrick, Der Alte, Der Kommissar – Thomas lieferte die Musik für die deutschen Straßenfeger dieser Zeit. Auf TikTok soll er mit seinen Klassikern wiederentdeckt worden sein. Sein Sohn Philip hat die Compilation mit dem Untertitel „Library Music“ versehen – vermutlich, weil der Vater diese Stücke eher für Library-Music-Abnehmer komponierte, also zum Unterlegen von TV-Beiträgen und nicht zum Hören ohne Bilder.
Sie bringen aber Vorfreude auf den 100. Geburtstag, den Deutschlands „einfallsreichster“ Filmkomponist 2025 gefeiert hätte. „Die USA hatten Mancini, Italien Morricone, England Barry, Frankreich Perry und Deutschland Thomas“ (The Independent). Die Platte erscheint auf Mocambo, dem Label der Mighty Mocambos bzw. Bacao Rhythm & Steel Band. Vielleicht entdecken ja die zukünftigen privaten Raumfahrer Thomas' Stücke wie „Corals In Space“, „Milky Way“ oder „Mars Close Up“ als Soundtrack für ihre Videos. Besser gefallen mir aber die schmissigen Easy-Listening-Nummern wie „Block Rocker“, „International Espionage“ oder „Schwarze Spinne“. Vielleicht sollte man wieder Dia-Abende einführen – und dazu diese Instrumentals laufen lassen. (7,3 von 10 Punkten)

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Lazer | Bild: Peter Thomas - Topic (via YouTube)

Lazer

PHOTAY – Windswept

So stellt man sich die erste Platte vor, wenn das Jazz-Label International Anthem ein Sublabel für avancierte, elektronische Sounds eröffnen würde. Zwischen schwelgerisch-elegantem Synthie-Pop, Ambient & Jazz-Anleihen bewegt sich das fünfte Album des US-Musikers – erscheint auf dem Indie-Renommee-Label Mexican Summer. Evan Shornstein, so Photay bürgerlich, hatte davor mit Carlos Niño vom Jazz-Label International Anthem ein Album aufgenommen. Auch mit Musikeraus Tansania, Indien und Lateinamerika war er schon im Studio – u. a. sind hier Niño und Laraaji von der Partie. All diese Erfahrung und Weitsicht glaubt man auf „Windswept“ („zersaust“/„windgepeitscht“) zu hören – wobei es eher nach Windstille klingt, nach Umherblicken nach dem Sturm. Photay geht es um den Einfluss von Luftbewegung auf den Menschen – bis hin zu Träumen vom Wind. Darum klingt die Synthesizer-Einstellung auch z. T. nach windigen´ Sounds. Hin und wieder wirbeln Drumn`Bass-Beats und Detroit-Electro die ruhigen Stücke auf. Wenn er (wie bei „Still Existing“) singt, fühlt man sich an den Leftfield-Disco-Pionier Arthur Russell erinnert. Die (Wetter-)Voraussicht für den aus dem Raum New York stammenden, aber in L.A. lebenden Musiker: heiter – bei leichten Abendwinden. Gelungene Überraschung! (8,3 von 10 Punkten)

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Photay - Global Wind Trade (Official Video) | Bild: Photay (via YouTube)

Photay - Global Wind Trade (Official Video)

OR:LA – Trusting Theta

Die Irin Orlagh Dooley mit ihrem Debüt fürs Londoner Label fabric Originals – einer der besten Adressen für Clubmusik, wo u.a. schon Künstlerwie Helena Hauff, Red Axes oder Kode9 ihre Tracks veröffentlichten. Das passt, denn Orhat bisher Maxi-Singles mit Deep House/Electronic/Techno abgeliefert. Mit „Chant“ findet sich auch ihr Clubhit auf dem Album, den Midland geremixt hat, der zuvor schon Stücke von The Chemical Brothers, Disclosure oder Darkstar bearbeitete. Die „Chant“-Originalversion auf „Trusting Theta“ erinnert an die coole Kanadierin Marie Davidson: Auch sie ergänzt trockenen Industrial-Electro-Funk mit eigenen Spoken-Word-Vocals. Doch auch SOAK und Eliza Rose steuern Gesang bei.
Das Konzept von Or – hier treffen sich die irische und griechische Mythologie – „fängt Momente der sapphischen (lesbischen) Liebe, der Freundschaft und des Trotzes gegen die noch immer nicht enden wollenden Ungerechtigkeiten gegenüber dem Weiblichen ein.“ Sie sagt: „Vor allem das keltische Pantheon und der Respekt der Kelten für Frauen als Heilerinnen, Mütter und Anführerinnen“ haben es ihr angetan. Übersetzt für heute: „Die Mädchen, die es kapieren, kapieren es.“ Der Titel „Trusting Theta“ spielt auf den Theta-Zustand des Gehirns an, bei dem es auf Autopilot läuft – bei Orkamen „die grundlegenden emotionalen Themen wie Liebe und Wut an die Oberfläche“. Ihr Künstlername ist auch eine Anspielung auf den italienischen Instrumentenbauer Orla, der Keyboards, Orgeln und Akkordeons herstellt. (8,1 von 10 Punkten)

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Or:la - Chant (Midland's 'Arpeggiate Me' Remix) | Bild: fabriclondon (via YouTube)

Or:la - Chant (Midland's 'Arpeggiate Me' Remix)

V.A. ITALOMANIA Vol. 2 – compiled by Mathias Modica

V.A - Italomania Vol. 2 | Bild: Toy Tonics

Italo-Pop scheint gerade DAS Thema zu sein: aus verschiedenen Gründen. Z.B. dank Eric Pfeils neuem Italien-Buch („Azzurro – Mit 100 Songs durch Italien“ und jetzt „Ciao Amore“) und dank des Dauererfolgs der Augsburger Nr.1-Neo-Schlager-Kombo Roy Bianco & Die Abrunzati Boys. Dank der Münchner Frauenband Principess und natürlich dank des Italo-Cover-Projekts von Francesco Wilkings Crucchi Gang – er übersetzte deutschsprachige Songs von Tocotronic, Joachim Witt oder Wir sind Helden ins Italienische.
Nun aber das Original: Mathias Modica – Deutsch-Italiener aus München, der von Berlin aus mit seinem Disco-Label Toy Tonics europaweit Erfolge feiert. Er versammelt auf seinem zweiten Label die Hits seiner DJs und Produzenten: Sam Ruffillo, Fimiani, Magou... aber auch der Chef selbst tritt als Munk bzw. Kapote auf, und er liefert mit „La Musica (Hot DJ Version)“ meinen Favoriten. Am Ende ist sogar die singende Wiener Hotelbar-Legende Louie Austen dabei, der mit Rodion bzw. „Estate“ den Schluss-Schieber aufs Parkett legt. Modica kämpft hier weiter gegen Techno, den er als kalt empfindet, und für eine Rückkehr der – für ihn – lebensbejahenderen Disco-House-Sounds. Frage: Warum ein Genre gegen ein anderes ausspielen? Diese Aversion hat weder Techno verdient, noch steht sie einem Weitblicker wie Modica – und macht für mich einen Teil des sympathischen Italo-Moves zunichte. (7,4 von 10 Punkten)

SOFT VIOLET – Sterner Stuff

Solo-Debüt von Veronica Burnuthian – Gitarristin der Münchner Noise-Rock-Kombo Friends Of Gas. Nachdem Markus Acher die Band ihrem späteren Label Staatsakt empfohlen hatte, verwundert es nicht, dass er sie nun mit ihrem Soloprojekt auf das Label seiner Band (The Notwist) holt: Soft Violet gehört ab sofort zum Künstlervon Alien Transistor. In München erinnern sich manche vielleicht an Veronicas frühe Soloauftritte: Sie trommelte wie wild auf ein Stand-Schlagzeug ein und schrie dazu – ein archaisch wirkendes Setting. Heute liefert sie eher schroffen Elektronik-Noise-Sound ab – z. T. mit französischen Vocals, da sie zum Teil belgischer Abstammung ist. In ihren Texten geht es u.a. um Sexualität, Schmerz und weibliche Kontrolle. Das Matriarchat wird kommen. Ihre Wut wird dabei helfen.
Was ich mir gut vorstellen könnte bzw. wenn ich mir etwas wünschen dürfte: Soft Violet als Support-Act von Kim Gordon Ende Oktober in der Muffathalle, München. Veronica hat europaweite Auftritte – und wird ihren Weg gehen. Bei uns live: 20.9. München – Kammerspiele, 26.9. Nürnberg – Bongo Ensemble (Holzschuherstr. 8), 27.9. München – Acid Arkadia-Festival im Zirka Space. (7,9 von 10 Punkten)

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Soft Violet: Soft Violence | Bild: alientransistor (via YouTube)

Soft Violet: Soft Violence