25 Jahre "Matrix" Warum der Sci-Fi-Klassiker so aktuell wie nie ist
Die Welt ist eine Illusion und Maschinen haben die Macht übernommen: 25 Jahre nach Kinostart sind die Metaphern und Botschaften von "Matrix" präsenter denn je. Oder ist der Film am Ende vor allem eines: eine große Transgender-Allegorie?
Leben wir in einer Simulation? Diese Frage stellt sich die Philosophie seit Jahrtausenden – aber vor 25 Jahren wurde sie in den popkulturellen Diskurs katapultiert. Am 17. Juni 1999 lief Matrix in den deutschen Kinos an und wurde mit dystopischer Science-Fiction, Leder-Ästhetik und metaphysischen Kampf-Szenen zum Kassenschlager. Hauptfigur des Films ist der Hacker Neo, der mithilfe einer Widerstandsgruppe die schreckliche Wahrheit über die Realität erfährt: Die Welt, wie wir sie kennen, ist in Wahrheit ein Computerprogramm, die Matrix. Während sich die Menschen im 21. Jahrhundert wähnen und was sie sehen für echt halten, vegeterieren sie eigentlich in gigantischen Brut-Anlagen vor sich hin. Denn nach einem Krieg zwischen Menschen und von ihnen geschaffenen Maschinen haben Letztere die Kontrolle über den Planeten übernommen.
Wir nähern uns in rapider Geschwindigkeit dem "Simulation Point"
Als Matrix rauskam, war das Internet noch neu und die Dotcom-Blase eifrig am Wachsen. Die Zukunftsvisionen des Films – übermächtige Maschinen, Künstliche Intelligenz, virtuelle Welten – waren vor allem in der Fantasie angesiedelt. Heute ist diese Science alles andere als Fiction: KI-Anwendungen schreiben, dichten, musizieren und generieren Bilderfluten aus Fun- und Fake-Content. Konzerne wie Apple oder Neuralink arbeiten fleißig an der Verschmelzung menschlicher Körper mit der digitalen Welt. Menschen verlieben sich in Chatbots, Programme imitieren täuschend echt die Stimmen Verstorbener. Dabei wird die KI rasant schneller und besser – der schnell verhallte Aufruf zu einer Entwicklungspause von mehr als 1.000 Experten ist bereits über ein Jahr her.
Wir nähern uns also in rapider Geschwindigkeit einer Situation, die Experten den "Simulation Point" nennen: Der Moment, in dem KI-generierte Simulationen von der physischen Welt ununterscheidbar geworden sind. Und je näher wir diesem Punkt kommen, schreibt der Oxford-Philosoph Nick Bostrom, desto wahrscheinlicher leben wir bereits in einer Simulation. Denn, so sein Argument: Wenn eine Zivilisation eine unendliche Anzahl von sich echt anfühlenden Simulationen genererieren kann, wird sie diese auch generieren – und wieso sollten dann gerade wir in der einzigen echten Welt leben?
Nimmst du die rote oder die blaue Pille?
Aber nicht nur die Technik, auch Metaphern des Films haben sich in unsere Welt (beziehungsweise unsere Weltsimulation) integriert. So beziehen sich Internet-User immer wieder auf den Rote-Pille-Moment, eine Schlüsselszene des Films. Hauptfigur Neo wird darin vor die Wahl gestellt, entweder eine rote oder eine blaue Pille zu schlucken. Wählt er die blaue, so kann er zurück in sein altes Leben und friedlich, weil ahnungslos, die Computer-Illusion weiterleben. Nimmt er die rote, so wird er die Wahrheit erfahren – und muss aber deren bittere Konsequenzen tragen, was in seinem Fall heißt: Auf der zerstörten echten Erde unter miserablen Bedingungen zu leben, während die Maschinen Jagd auf ihn machen.
Das bequeme Leben für die Wahrheit einbüßen: Dies könnte eigentlich die zentrale Metapher linker Kapitalismuskritik sein. Denn auch hier haben wir die Wahl: Lassen wir uns einlullen von Konsum und Content, oder sehen wir genauer hin, woher unsere Produkte kommen – und steigen aus der Wohlfühl-Matrix aus, auch wenn es anstrengend und schwierig ist.
Matrix als als große Transgender-Allegorie
Allerdings ist die Rote-Pille-Metapher vor allem in rechten Foren beliebt. Als "redpilled" bezeichnen sich die User eines frauenfeindlichen Subreddits, die erkannt haben wollen, dass Männer durch den Feminismus von Frauen unterdrückt werden. Auch der mit dem Vorwurf Vergewaltigung und Menschenhandel verhaftete Influencer Andrew Tate redet davon "die Matrix zu verlassen." Und selbst Donald-Trump-Tocher Ivanka tönte auf Twitter, die rote Pille genommen zu haben – womit sie meint, die angeblichen Lügen der Trump-kritisch berichtenden Medien durchschaut zu haben.
Dass Matrix in anti-liberalen Bubbles so eifrig referiert wird, ist dabei ziemlich kurios. Die Macher*innen des Films, die Geschwister Wachowski, leben mittlerweile ihre Transidentität unter den Namen Lana und Lilly. Auch der Film lässt sich als große Transgender-Allegorie lesen: Du kannst weiter so tun, als ob dein falscher Körper dein echter sei – oder du gehst den komplizierten Weg, befreist dich und brichst aus der Matrix aus. Lilly Wachowski hat 21 Jahre später sogar angedeutet, dass der Film durchaus auch so gemeint war.
Matrix und seiner Metapher lässt sich auf fast alles übertragen
Aber vielleicht ist auch das ein Grund für den Erfolg von Matrix und seiner Metapher: Sie lässt sich auf fast alles übertragen, egal ob berechtigte Kritik an Massenüberwachung und PR-Offensiven von Großkonzernen – oder Geschwurbel wie QAnon oder "Great Reset". Denn auch jede Verschwörungstheorie geht davon aus, dass die Realität, wie sie einem verkauft wird, fake ist, und in Wirklichkeit alles ganz anders. Zu den Wenigen zu gehören, die die Matrix durchschaut und die Wahrheit erkannt haben, verleiht einem das Gefühl der Auserwähltheit – was ein Grund dafür ist, warum Verschwörungstheorien so eine Anziehungskraft haben.
Allerdings verlaufen sich gerade hier viele in einer Illusion: Denn "Redgepillte" wie Ivanka Trump haben eigentlich vielmehr die blaue Pille geschluckt: Bequem eingerichtet in ihrer Meinungsblase glauben sie lieber die eigenen Vorurteile und Lügen, als schmerzhaft einzusehen, dass die Welt vielschichtig und kompliziert ist.
Auch im Film wählt einer von Neos Mitstreitern, der Hacker Cypher, nachträglich die blaue Pille. Weil ihm die Realität zu wenig Trost und Freude bietet, flüchtet er zurück in die Matrix. Wer weiß, wie viele es ihm in Zukunft angesichts von Klimakatastrophen und politischem Zerfall gleichtun werden.