Allgemeinmedizin Gendermedizin: Frauen und Männer sind anders krank
Die Gleichbehandlung von Frauen und Männern ist ein wichtiges Gut in der Gesellschaft. In der Medizin hingegen kann sie fatale Folgen haben, denn Männer und Frauen haben bei denselben Krankheiten häufig unterschiedliche Symptome und Medikamente wirken anders. Allgemeinarzt Dr. Klaus Tiedemann klärt über wichtige Unterschiede auf.
Frauen und Männer unterscheiden sich körperlich in vielerlei Hinsicht, nicht nur in Bezug auf die Geschlechtsorgane. Beispielsweise ist das weibliche Herz, das unter anderem auch schneller schlägt als das männliche, anfälliger für Schädigungen und den daraus folgenden Erkrankungen. Das Immunsystem von Frauen ist zwar effektiver als das von Männern, da sie mehr T-Helferzellen produzieren, doch sie leiden häufiger an Autoimmunerkrankungen wie beispielsweise Multiple Sklerose, Hashimoto (chronische Schilddrüsenerkrankung) oder rheumatischen Erkrankungen und stoßen transplantierte Organe eher ab.
Besonders fatal ist, dass Männer und Frauen bei gleichen Krankheiten andere Symptome haben können und es so immer wieder zu Fehldiagnosen, falscher oder zu später Behandlung und Folgeschäden kommt. Dies betrifft vor allem Frauen, weil ihr Organismus noch immer sehr viel weniger erforscht wurde als der männliche.
Zudem wirken einige Medikamente bei Männern und Frauen anders. Die meisten Medikamente wurden bei ihrer Entwicklung jedoch nur an Männern getestet, somit also dem männlichen Organismus angepasst. Das kann fatale Folgen für Frauen haben.
Gleiche Krankheit - unterschiedliche Symptome
Schlaganfallsymptome
- bei Männern: vor allem einseitiges Lähmungs- oder Taubheitsgefühl sowie Sehstörungen
- bei Frauen: auch untypische Symptome wie beispielsweise Schluckauf, Übelkeit, Kopf- oder Gesichtsschmerzen möglich. Frauen mit Vorhofflimmern erleiden fast doppelt so häufig einen Schlaganfall als Männer. Vorhofflimmern kann ein Arzt durch das Pulsfühlen einfach feststellen. Deshalb: Regelmäßig kontrollieren lassen.
Herzinfarktsymptome
Obwohl Herzinfarkt als typische Männerkrankheit gilt, erleiden auch Frauen Herzinfarkte. Das Risiko steigt, sobald der Östrogenspiegel in der Menopause sinkt. Die Symptome werden bei Frauen aber oft nicht oder zu spät zugeordnet.
- bei Männern: Enge im Brustbereich, Schmerzen unter dem Brustbein, Schmerzen im linken Arm, Todesangst, kalter Schweiß und Herzrasen
- bei Frauen: Oftmals eher unspezifische Symptome wie Schlappheit, Oberbauch- oder Rückenschmerzen, Übelkeit, Erbrechen, Schlafstörungen und Schweißausbrüche
Wichtig:
Mit der NAN-Regel (Nase-Arm-Nabel) kann ein Herzinfarkt frühzeitiger erkannt und Folgeschäden oder ein tödlicher Ausgang können verhindert werden: Alle Beschwerden, die zwischen Nasenspitze, Armspitze und Bauchnabel auftreten und länger als 15 Minuten anhalten, können auf einen drohenden Herzinfarkt hinweisen. In diesem Fall sollte "frau" sich so schnell wie möglich ärztlich untersuchen lassen!
Gleiche Medikamente - unterschiedliche Wirkung
Die Aufnahme von Medikamenten, ihre Verteilung im Körper und Ausscheidung sind bei Männern und Frauen unterschiedlich.
Der Grund: Frauen haben einen höheren Körperfettanteil, weniger Muskeln, aktivere Enzyme, schwankende Hormone und eine langsamere Verdauung. Letzteres führt dazu, dass viele arzneiliche Wirkstoffe dreimal so lange im weiblichen Magen bleiben als im männlichen.
Medikamententests und Studien werden hauptsächlich an Männern durchgeführt
Nicht zuletzt seit der Contergan-Affäre Anfang der 60er Jahre hielt sich die Pharmaindustrie von Frauen im gebärfähigen Alter fern, denn das Risiko war ihnen zu hoch. Außerdem haben Frauen Zyklusschwankungen, was die Studien aufwändiger und teurer macht.
Zudem ist die Herzfrequenz bei Frauen anders, so dass manche Wirkstoffe leichter Herzrhythmusstörungen verursachen.
Manche Mittel wirken bei Frauen stärker oder schwächer. Auch die Dauer der Wirkung ist anders.
Vor allem Beruhigungsmittel und Herzmedikamente werden bei Frauen langsamer abgebaut und wirken später. Damit benötigen weibliche Patienten eine niedrigere Dosis als Männer.
Bei anderen Medikamenten wie etwa Antihistaminika (Mittel gegen Allergien) ist es umgekehrt: Sie werden bei Frauen schneller abgebaut und ausgeschieden und wirken daher weniger stark.
Auffällig ist, dass bei Frauen auch häufig mehr Nebenwirkungen auftreten und diese ausgeprägter sind, beispielsweise bei ACE-Hemmern.
Auch Männer können "typische Frauenkrankheiten" bekommen
Brustkrebs und Osteoporose gelten als "typische Frauenkrankheiten". Zwar erkranken Frauen tatsächlich weitaus häufiger daran, aber auch Männer können diese Krankheiten bekommen. Das ist sowohl den männlichen Patienten als auch vielen Ärzten nicht bewusst oder sie kommen nicht sofort darauf. Deshalb werden sie bei Männern häufig - wenn überhaupt - zu spät diagnostiziert.
Übrigens: Nicht alle Osteoporose-Medikamente sind für Männer zugelassen, obwohl auch Männer - wenn auch seltener - daran erkranken können.
Tipps für Ihren Arztbesuch:
Bereiten Sie sich auf den Arztbesuch vor, indem Sie sich Ihre Beschwerden (Symptome) notieren.
Bekommen Sie ein Medikament verschrieben, sprechen Sie den Arzt oder Apotheker auf die Dosierung an. Denn die Dosierung könnte, gerade für zierliche Frauen, zu hoch sein.
Teilen Sie zudem mit, wenn Sie die Antibabypille nehmen, denn das kann die Wirkung anderer Medikamente beeinflussen.