Hundeerziehung Stressfreie Begegnungen unter Hunden
Jeder Hundehalter weiß: Er muss jeden Tag mit seinem Vierbeiner nach draußen. Schnüffeln, spielen, Notdurft verrichten – die Bedürfnisse des Hundes zwingen ihn quasi an die frische Luft. Das macht Freude, kann aber auch in großen Stress ausarten, wenn das eigene Tier seine Artgenossen nicht leiden kann. Wie Sie bei Hundebegegnungen aggressive und ungute Situationen in den Griff bekommen, erklärt Hundetrainerin Anja Petrick.
Nicht jeder Hund mag andere Hunde. Manche Vierbeiner reagieren aggressiv und hängen zerrend und bellend an der Leine, sobald ein anderer Hund auftaucht. Die Ursachen dafür können sein:
- Schlechte Erfahrungen in der Vergangenheit: Eine Rauferei oder ein Beißvorfall, und so mancher Hund hat den Rest seines Lebens Panik vor anderen Hunden. Er agiert dann frei nach dem Motto Angriff ist die beste Verteidigung.
- Sogenannte Leinenaggression: Möglicherweise hat der aggressive Hund schlechte Erfahrungen gemacht, als er angeleint war. Dann ist sein Verhalten nicht auf den anderen Hund, sondern auf das "An-der-Leine-Sein" zurückzuführen – und ohne Leine sind Hundebegegnungen womöglich kein Thema mehr. Oder aber der Hund projiziert den Schmerz, den er beim ruckartigen Zurückziehen durch seinen Halter spürt, auf den anderen Hund und merkt sich: Kommt ein anderer Hund auf mich zu, tut das weh.
- Schlechte Sozialisation: Manche Hunde haben schlichtweg nie gelernt, wie sie mit anderen Hunden umgehen sollen und verspüren deshalb Angst.
- Hohes Alter: Alte oder kranke Hunde können mit aufdringlichen anderen Hunden oft nicht mehr viel anfangen. Die Knochen schmerzen, das Sehvermögen ist eingeschränkt, da reagieren einige eher unwirsch, ihnen ist der Kontakt schlichtweg unangenehm.
- Ungleiche Passung: Ein Chihuahua ist deutlich empfindlicher als ein Labrador. Wenn man nun seinen Labrador ungehindert auf einen Chihuahua treffen lässt, kann dies für den kleineren Hund sehr schmerzhaft werden, auch wenn der andere Hund "nur spielen" möchte.
- Gesundheit: Ihr Hund hat Schmerzen oder gesundheitliche Probleme, die ihn reagieren lassen.
- Pubertät: Ihr Hund ist im pubertären Alter und reagiert nicht aggressiv, sondern schlicht und ergreifend frustriert, dass er nicht gleich zum Spielkumpel darf.
Die "Etikette" unterwegs
Wenn Sie mit einem freilaufenden Hund unterwegs sind, der gut verträglich ist, und Ihnen kommt jemand mit angeleintem Hund entgegen, leinen Sie bitte ebenfalls an. Sie können dann immer noch klären, ob die Hunde Kontakt haben dürfen. Solange die Hunde sich ruhig und entspannt begrüßen, spricht auch nichts gegen eine Kontaktaufnahme, wenn beide Hunde an der Leine sind, ein Spiel sollten Sie dann allerdings nicht zulassen, da hier die Verletzungsgefahr zu groß ist.
Sind Sie nun mit Ihrem Hund unterwegs und wünschen keinen Kontakt zu anderen Hunden – zum Beispiel, weil Sie eine "Krawallnudel" an der Leine haben – empfiehlt es sich, anzuleinen, Distanz zu halten und vielleicht sogar weiträumig auszuweichen. Entdecken Sie in der Ferne einen anderen Hund, sollten Sie die Leine verkürzen und Ihren Hund beruhigen.
Kommt ein anderer, möglicherweise freilaufender Hund trotzdem auf Sie zu, bitten Sie den Halter höflich und aus sicherer Entfernung, den Hund abzurufen.
Die "Mein Hund tut nix"-Situation
Jeglicher Trainingserfolg kann binnen Sekunden um Wochen zurückgeworfen werden, wenn die Halter anderer Hunde keine Notwendigkeit darin sehen, ihren Hund zurückzurufen und auf Distanz zu halten. Nach dem Motto "mein Hund tut ja nix".
Das ist falsch, denn der andere Hund tut sehr wohl etwas, er zwingt den eigenen Hund zu einer Reaktion. Deshalb die Bitte an alle Besitzer von braven Hunden: Wenn Ihnen jemand mit angeleintem Hund entgegenkommt, leinen Sie Ihren ebenfalls an. Wenn sie sehen, dass eine andere Person mit ihrem Tier auf Distanz geht, respektieren Sie das und halten Sie diese Distanz ein, lassen Sie Ihren Hund nicht hinlaufen. Gehen Sie zügig an dem anderen Mensch-Hund-Team vorbei, ohne das Verhalten der anderen zu kommentieren. Es wird einen guten Grund geben, warum die anderen Ihnen ausgewichen sind.
Training mit einem Hund, der andere Hunde verbellt oder sich aufregt
Bevor Sie mit dem Training anfangen, ist es wichtig zu wissen, warum Ihr Hund aggressiv reagiert. Daher sollten Sie Ihren Hund als erstes medizinisch durchchecken lassen. Gesundheitliche Probleme wie Schmerzen, Schilddrüsenunterfunktion, plötzlich auftretende Taubheit, Blindheit oder schlechteres Sehen können zu Aggressionsverhalten führen.
Außerdem spielen Lernerfahrungen und die Lebensumstände eine Rolle. Machen Sie den Stress-Check: Bekommt Ihr Hund genügend Schlaf? Wie sieht sein Tagesablauf aus? Sowohl zu wenig als auch zu viel Beschäftigung können zu Stress führen. Kann Ihr Hund generell keinen Kontakt zu Artgenossen haben? Oder geht das in einem gesicherten Rahmen, beispielsweise auf einem eingezäunten Platz? Diese Fragen sollten vor dem Training geklärt sein.
Umgang mit der Leine
Sie brauchen eine mindestens drei Meter lange Leine und ein gutsitzendes Brustgeschirr. Bitte trainieren Sie keinesfalls am Halsband! Dies kann zu gesundheitlichen Schäden und weiteren Fehlverknüpfungen beziehungsweise vermehrter Aggression Ihres Hundes führen.
Wichtig ist zunächst, dass Sie selbst ein gutes Gespür für die richtige Leinenführung haben. Druck erzeugt Gegendruck! Wenn Sie also an der Leine rucken oder diese auf Spannung halten, wird Ihr Hund viel eher reagieren.
Wenn Ihr Hund stark auf andere Hunde reagiert, wird er immer wieder in die Leine springen. Aber dann sollte zumindest von Ihnen nicht auch noch Druck aufgebaut werden, halten Sie stattdessen die Leine so locker es eben geht.
Leinenführigkeit
Zieht Ihr Hund grundsätzlich stark an der Leine, sollten Sie als erstes oder zumindest parallel an der Leinenführigkeit arbeiten.
Das Training
Das Zauberwort heißt Abstand. Arbeiten Sie mit einem Trainingspartner und stets in dem Abstand, in dem es Ihr Hund noch gut schaffen kann. Löst er zum Beispiel ab einem Abstand von fünf Metern zum anderen Hund aus, fangen wir mit einem Abstand von mindestens sieben Metern an.
Übungsaufbau
- Ihr Hund nimmt den anderen Hund wahr.
- Loben Sie ihn und geben Sie ihm eine sehr hochwertige Belohnung für das Ruhigbleiben.
- Wiederholen Sie diesen Schritt so oft, bis Ihr Hund nicht mehr ganz so angespannt ist.
- Machen Sie eine Pause! Entfernen Sie sich vom anderen Hund weit genug, damit sich Ihr Hund entspannen kann.
- Wiederholen Sie den Schritt in dem Abstand, in dem Ihr Hund es vorher einige Male gut geschafft hat. Gehen Sie dann einen Schritt näher und trainieren Sie wie beim ersten Schritt.
- Loben Sie Ihren Hund freundlich, wenn er sich von allein abwendet oder Beschwichtigungssignale wie Schnüffeln, über den Fang schlecken oder den Blick abwenden zeigt.
- Wenn Sie näher an den anderen Hund gehen möchten, Ihr Hund sie aber ausbremst und langsamer wird, locken oder zwingen Sie ihn auf keinen Fall näher! Geben Sie ihm alle Zeit, die er braucht. Zeigt Ihr Hund an, dass er mehr Abstand braucht, dann bekommt er diesen auch!
Das wird so lange geübt, bis Sie recht nahe an den anderen Hund herankommen, ohne dass Ihr Hund auslöst.
Wenn Sie auf den anderen Hund zugehen, tun Sie dies bitte in einem leichten Bogen. Das wird es Ihrem Hund deutlich leichter machen, da das Bogengehen zu den Beschwichtigungssignalen gehört.
Sollten Sie die Distanz falsch eingeschätzt haben und Ihr Hund doch auslösen, sprechen Sie ihn freundlich an und versuchen Sie ihn aus der Situation herauszuholen. Vergrößern Sie, wenn möglich, wieder den Abstand. Sollte das nicht gehen, bitten Sie Ihren Trainingspartner, den Abstand zu vergrößern.
Empfehlung
Wenn Sie einen wirklich aggressiven Hund haben, sollten Sie den direkten Kontakt grundsätzlich nur im Beisein eines gewaltfrei arbeitenden Trainers aufbauen!
Tipps für den Alltag
Natürlich ist es bei einem normalen Spaziergang nicht immer möglich, den Abstand so einzuhalten, dass es für Ihren Hund gut ist. Achten Sie deshalb während des Trainings auf folgende Punkte:
- Meiden Sie Strecken, auf denen viele Hunde unterwegs sind.
- Wählen Sie Wege, auf denen Sie gut ausweichen können.
- Wenn Sie doch mal nicht weit genug ausweichen können: Schimpfen Sie nicht mit Ihrem Hund, halten Sie ihn und warten ab, bis er sich wieder beruhigt hat. Alles andere nutzt in diesem Moment nichts.
Ein Tipp zum Schluss
Legen Sie sich ein dickes Fell gegenüber anderen Menschen zu. Es wird Ihnen passieren, dass Sie Beschimpfungen oder abwertende Blicke bekommen, weil Sie einen "Krawallhund" an der Leine haben. Ignorieren Sie solche Menschen und lassen Sie sich nicht auf Diskussionen ein.
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Viel Erfolg mit diesen Tipps wünschen Anja Petrick und "Wir in Bayern"!