Hundeerziehung Was ist wichtig bei der Rangordnung zwischen Mensch und Hund?
Er hält sich hartnäckig: der Glaube, dass Hunde einen Rudelführer brauchen, dass sie ständig versuchen, die höchste Rangfolge im Rudel einzunehmen und dass ein Mensch seinem Vierbeiner klarmachen muss: "Ich bin hier der Chef!". Hundetrainerin Anja Petrick erklärt, warum diese Theorie nicht stimmt und wie Sie Ihren Hund ohne Dominanz stressfrei erziehen können.
Dass sich der Hund dem Menschen unterordnen muss, geht häufig mit Tipps einher wie: wir Menschen müssen vor dem Hund durch die Tür gehen, der Hund darf erst nach uns essen, er muss sofort aufstehen und uns Platz machen und sollte beim Spaziergang nur hinter uns gehen. Manche Hundebesitzer haben geradezu Angst davor, was passiert, wenn sie ihrem Welpen nicht gleich klarmachen, dass sie hier Alpha sind und der kleine Wurm gar nichts zu melden hat. Das kann in großen Stress für alle Beteiligten ausarten.
Was die Verhaltensforschung herausgefunden hat
Die Theorie, dass es einen Alpha-Rüden gibt und Hunde eine strikte Rangordnung einhalten, stammt aus den 1940er Jahren nach der Beobachtung eines Wolfsrudels in Gefangenschaft. Man ging davon aus, dass das Verhalten von Wölfen und Hunden durch ihre enge Verwandtschaft sehr ähnlich ist. Deshalb wurden die Erziehungsmethoden darauf ausgerichtet, einen Hund mit harter Hand zu unterwerfen, um ihm nicht die Führungsrolle in der Familie zu überlassen.
Der Verhaltensforscher David Mech vergleicht das Verhalten von Wölfen in Gefangenschaft mit Menschen, die im Gefängnis leben - für sie gelten andere soziale Regeln als in Freiheit. Er studierte deshalb in den 1970er Jahren freilebende Wölfe in ihrer natürlichen Umgebung und kam zu einem ganz anderen Schluss. Er beschreibt ein Wolfsrudel als einen Familienverband. Die Alpha-Tiere bestehen aus einem weiblichen und einem männlichen Wolf, die ihre Welpen großziehen. Nach der gemeinsamen Jagd frisst das Rudel gemeinsam, ohne dass Kämpfe stattfinden. Erst danach beansprucht das Alpha-Pärchen den Rest des Kadavers für sich, vergräbt ihn oder bringt ihn zu den Welpen. Ein Wolfsrudel ist also nichts anderes als eine Familie, deren Eltern den Nachwuchs aufziehen. Würden hier öfters Rangkämpfe stattfinden, wäre das im biologischen Sinn nicht sinnvoll, da Mitglieder des Rudels verletzt und untauglich für die Jagd wären.
Was ein Rudel ausmacht
Im Zusammenleben zwischen Mensch und Hund wird oft das Wort Rudel genutzt. Und es fallen Sätze wie "du musst der Rudelführer sein". Ein Rudel aber besteht aus miteinander verwandten Tieren, meist aus mehreren Generationen von Elterntieren und deren Nachkommen. Daher können Menschen mit Hunden kein Rudel bilden, sie sind nicht miteinander verwandt.
Bei Straßenhunden schließt sich eine Gruppe aus nicht miteinander verwandten Tieren zusammen. Nachdem unsere Hunde schon lange domestiziert und dem Menschen angepasst sind und in der Regel in Gruppen und nicht in Rudeln leben, ist die Beobachtung von freilebenden Straßenhunden sinnvoller, um Rückschlüsse auf das Sozialverhalten unserer Haushunde zu schließen. Forschungen zeigen, dass Hunde sehr anpassungsfähig sind und die Lebensumstände ihr Sozialverhalten bestimmen – diese können, wie bei uns Menschen, stark variieren.
In einem Punkt sind sich die Forscher einig: auch in Hunderudeln oder -gruppen gibt es nicht den einen Alpha-Hund, der alle anderen dominiert und sich ständig gegen sie durchsetzen muss. Wenn ein Hund eine Gruppe anführt, dann ist es in der Regel derjenige, der am souveränsten ist und die besten Führungsqualitäten hat.
Der "dominante Hund"
Heute weiß man, dass es "den" dominanten Hund nicht gibt und Hunde Dominanz gegenüber Artgenossen ressourcenbezogen zeigen. Das heißt, je nachdem wie wichtig eine bestimmte Ressource einem Hund ist, desto mehr verteidigt er diese. So kann es passieren, dass ein Hund einen anderen dominiert, wenn es um Futter geht, in einer anderen Situation jedoch dem anderen Hund den Vortritt lässt, beispielsweise beim Spielzeug. Es ist immer davon abhängig, wie viele Ressourcen es gibt, wie viel Platz die Hunde haben, wie hoch der Stresspegel ist und wie die einzelnen Hunde zusammenpassen.
Was bedeutet das für unser Zusammenleben mit Hunden?
Wir müssen unseren Hunden nicht andauernd zeigen, dass wir der Chef sind. Das verwirrt sie nur. Im schlimmsten Fall stresst es sie so sehr, dass sie sich irgendwann wehren.
Nehmen wir als Beispiel einen jungen Hund, der beim Spazierengehen nur hinter seinem Halter laufen darf und dem immer wieder gezeigt wird, dass er keinerlei Einfluss auf seine Umgebung hat und keine Wünsche äußern darf. Der Spaziergang ist sehr stressig, weil der Mensch seinen Hund dauernd an der Leine nach hinten ruckt oder ihn vom Weg abdrängt, damit er nicht nach vorne laufen kann.
Der Hund springt irgendwann aus Überforderung und Stress heraus seinen Halter an. Das ist natürlich auch nicht erwünscht und wird bestraft. Diese Spirale aus Stress, Gewalt und Überforderung dreht sich immer weiter. Der Hund versteht nicht, was die Menschen von ihm wollen und die Menschen sind genervt, weil ihr Hund nicht "funktioniert".
Wenn dieser Hund jetzt auch noch ständig weichen soll, weil er irgendwo liegt und sein Halter an ihm vorbeigehen will, kann er nicht mehr gut ruhen, was für einen noch höheren Stresspegel sorgt.
Es gibt Hunde, die das alles relativ stoisch hinnehmen. Andere Hunde geben auf und tun nur noch das, was der Mensch ihnen sagt – fatalerweise gelten solche Hunde als brav. Fakt ist aber: sie sind gebrochen. Manche Hunde wiederum werden irgendwann gegen eine solche Behandlung aufbegehren und sind dann "Problemhunde".
Lösungen für drei typische Probleme
Es gibt viele freundliche Methoden, unseren Hunden die Menschenwelt zu erklären und sie in die Familie einzubeziehen. Hier ein paar Beispiele:
1) Der Hund verteidigt sein Fressen
Das Problem: Ihr Hund knurrt Sie an, wenn er etwas zu fressen hat und lässt sich beispielsweise seinen Kauknochen nicht abnehmen.
Die Lösung: Trainieren Sie mit Ihrem Hund, dass es sich lohnt, etwas für ihn Wertvolles abzugeben. Überlegen Sie sich dazu ein Signalwort, zum Beispiel "Gib‘s mir!". Als erstes üben Sie mit Ihrem Hund, wenn er noch gar nichts im Maul hat.
Folgende Schritte sind für den Trainingsaufbau wichtig:
- "Gib‘s mir!" sagen.
- Direkt danach Leckerchen auf den Boden fallen lassen und Ihrem Hund auch alle Leckerchen zeigen. So lernt er, dass es etwas Positives ist, wenn Sie mit Ihrer Hand in die Nähe seines Futters kommen.
- Wenn dieser Schritt gut funktioniert und Ihr Hund schon auf den Boden schaut, sobald sie "Gib‘s mir!" sagen, legen Sie einen Gegenstand auf den Boden, der relativ uninteressant für Ihren Hund ist und üben weiter wie in Schritt 1, wenn Ihr Hund zum Gegenstand schaut.
- Klappt das gut, können Sie anfangen, "Gib‘s mir!" zu sagen, wenn Ihr Hund etwas im Maul hat, was noch nicht sehr aufregend für ihn ist.
- Ab jetzt fangen Sie an, mit verschiedenen Dingen und in verschiedenen Situationen zu üben, bis Ihr Hund problemlos alles loslässt, was er im Maul hat.
Wenn Ihr Hund Sie anknurrt und seine Schätze verteidigt, ist es außerdem wichtig, erst einmal in die Deeskalation zu gehen und ihn in Ruhe seinen Kauknochen essen zu lassen. Verteidigt Ihr Hund zum Beispiel sein Spielzeug schon, wenn es nur irgendwo rumliegt, sollten Sie erst einmal alles wegräumen, um nicht permanent in Konflikt zu kommen. In einem solchen Fall fangen Sie mit einer nicht ganz so wichtigen Ressource an zu üben.
Wichtig:
Wenn Ihr Hund auch unbedeutende Ressourcen wie ein paar Leckerchen am Boden verteidigt, trainieren Sie bitte nicht alleine! Suchen Sie sich in diesem Fall (und immer dann, wenn es um Aggressionen geht) unbedingt einen guten Hundetrainer!
2) Der Hund beansprucht einen Platz für sich
Sollten Sie in eine Situation geraten, in der Ihr Hund zum Beispiel das Sofa, das Bett oder ein Zimmer verteidigt, gilt auch hier: Deeskalieren und auf gar keinen Fall auf Konfrontationskurs gehen. Wenn möglich, gehen Sie langsam aus der Situation heraus oder versuchen Sie freundlich, Ihren Hund vom Sofa zu locken, in dem Sie ihm etwas besonders Leckeres anbieten oder ein Spielzeug in einen anderen Raum werfen. Hier gilt immer, dass Ihre Sicherheit an oberster Stelle steht!
Danach ist Management angesagt. Einen solchen Hund sollten Sie zum Beispiel nicht mehr einfach so aufs Sofa lassen.Stattdessen könnte eine Möglichkeit sein, ihm "Geh aufs Sofa!" und "Geh runter!" beizubringen. Aber auch hier sind die Trainingsmöglichkeiten und die Gründe, warum Ihr Hund so reagiert, vielfältig.
3) Der Hund reitet auf
Häufig wird ein Aufreiten des Hundes ebenfalls als Dominanz gesehen, ist es jedoch in den seltensten Fällen. In der Regel zeigen Hunde das "Berammeln" von Stofftieren, ihrem Körbchen, unseren Beinen oder anderen Hunden dann, wenn sie Stress haben. Denn bei Stress werden Sexualhormone ausgeschüttet und diese sind für das Verhalten verantwortlich. Rammelt also Ihr Hund an Ihrem Bein, so möchte er Sie nicht dominieren, sondern irgendetwas hat ihn an diesem Tag oder in einer bestimmten Situation sehr gestresst. Das ist zwar für uns Menschen etwas befremdlich, bestrafen sollten Sie dies jedoch auf gar keinen Fall. Stattdessen schieben Sie Ihren Hund sanft weg und bieten Sie ihm etwas zu knabbern oder schlecken an – das entspannt und hilft Ihrem Hund, wieder etwas vom Stresspegel herunter zu kommen.
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Viel Erfolg mit diesen Tipps wünschen Anja Petrick und "Wir in Bayern"!