Allgemeinmedizin Schulter verletzt - und jetzt?
Das Schultergelenk ist das Gelenk, das am häufigsten von Verletzungen und Erkrankungen betroffen ist. Vor allem nach einem Sturz führt eine verletzte Schulter oft zu langwierigen Ausfällen in Alltag und Sport. Allgemeinarzt Dr. Klaus Tiedemann erklärt, warum das Schultergelenk so gefährdet ist, wie Sie es stark machen können und was nach einer Verletzung wichtig ist.
In der Schulter sitzt unser beweglichstes, aber auch komplexestes Gelenk. Knochen, Muskeln, Bänder und Sehnen arbeiten zusammen, um möglichst viel Spielraum bei der Bewegung zu ermöglichen. Diese Flexibilität hat aber ihren Preis: die Schulter ist besonders anfällig für Verletzungen.
Warum ist die Schulter so gefährdet?
Um in alle Richtungen beweglich sein zu können, ist die Schulter relativ kompliziert konstruiert. Die Gelenkpfanne ist flach, der Oberarmkopf groß. Auch die Gelenkkapsel, die an anderen Gelenken im Körper für Stabilität sorgt, sitzt hier relativ locker und ist nur straff und angespannt, wenn wir den Arm senkrecht nach oben recken. Die Führung übernehmen hauptsächlich Muskeln, die sogenannten Rotatoren.
Diese vier kleinen Muskeln umfassen den Oberarmkopf wie eine „Haube“, die Zentrierung des Oberarmkopfs in der Pfanne übernimmt die lange Bizepssehne. Kommt es bei den Muskeln zu einer Dysbalance, verschiebt sich die Hauptbelastung aus der Mitte der Gelenkpfanne an den Rand. Und dieser ist nicht besonders stabil.
Auslöser für eine akute Schulter-Verletzung ist typischerweise ein Unfall oder Sturz. Die meisten versuchen sich reflexartig abzustützen, wenn sie stürzen. Passiert das mit gestrecktem Arm, wird die Energie des Aufpralls über das Handgelenk, den Unterarm und den Oberarm direkt an die Schulter weitergeleitet. Dadurch sind Schulterverletzungen so häufig. Je nach zugezogenem Trauma können sowohl das Gelenk selbst als auch die Sehnen-Verbindungen betroffen sein.
Häufige Schulter-Verletzungen
- Oberarmkopfbruch: Knapp unterhalb des gelenkbildenden Oberarmkopfes bricht der Oberarmknochen und der Oberarmkopf kippt ab. Besteht Hoffnung, dass er noch ausreichend durchblutet ist, versucht man den Bruch operativ zu stabilisieren. Ist der Kopf zertrümmert, muss eine Gelenkprothese eingesetzt werden.
- Bänderriss: Das Schultereckgelenk ist ein kleines Gelenk zwischen Schulterblatt und Schlüsselbein und die einzige knöcherne Verbindung des gesamten Armes und der Schulter zum Rumpf. Dieses Gelenk wird von drei Bändern stabilisiert, die bei einem Sturz reißen können. Ist eines abgerissen wird konservativ behandelt, bei zweien kann man operieren, bei dreien wird das Gelenk mit einem Bohrdraht und einer Drahtcerclage stabilisiert.
- Tuberculum majus-Abscherungen: Diese kommen vor, wenn der Arm eine Stoßbelastung erfährt bei gleichzeitiger seitlicher Bewegung. Dann schlägt das Tuberculum majus, an dem die Supraspinatussehne ansetzt, gegen das Schulterdach. Problematisch wird es, wenn der Zug des Supraspinatusmuskels das Bruchstück von seiner richtigen Position wegzieht.
- Die Supraspinatussehne kann zwischen Oberarmkopf und Schulterdach abgequetscht werden. Ist es ein Teilriss, wird er in der Regel arthroskopisch genäht, bei einem kompletten Abriss muss die Schulter aufgemacht und die Sehne am Oberarmkopf refixiert werden.
- Riss der langen Bizepssehne: Diese verläuft am Oberarmkopf durch eine Knochenrinne zur Gelenkpfanne am Schulterblatt. Ihre Aufgabe ist es, den Oberarmkopf in der Gelenkpfanne zu zentrieren. Reißt sie isoliert oder droht sie zu reißen kann sie operativ versorgt werden. Ist ausschließlich die Bizepssehne abgerissen, kann gerade bei älteren, wenig aktiven Patienten auf eine OP verzichtet werden.
- Die Schulter kann auch ausgekugelt werden. Dann drückt der Oberarmkopf in der Achsel auf die Nerven für den Arm, was sehr schmerzhaft ist. Die Schulter wieder einzurenken wird in der Regel unter Kurznarkose durchgeführt.
Sofortmaßnahmen bei einer Schulter-Verletzung:
Halten Sie Ihre Schulter in einer schmerzarmen Position ruhig und kühlen Sie sie, um Schwellungen entgegenzuwirken. Lassen Sie die Verletzung von einem Orthopäden oder Sportmediziner abklären.
Heilungschancen nach einer Schulter-Operation
Nach einer Operation dienen die ersten sechs Wochen der Heilung. In den nächsten sechs Wochen geht es darum, dass das Gelenk wieder beweglich wird. Danach muss die Muskulatur aufgebaut werden. Dabei ist regelmäßige Krankengymnastik das A und O.
Es dauert nach den gängigen Schulter-Operationen etwa ein halbes Jahr, bis der Patient mit der Funktion der Schulter zufrieden ist. Und es braucht meist ein ganzes Jahr, bis der Patient die ursprüngliche Kraft und Beweglichkeit seiner Schulter zurückerlangt hat.
Gut zu wissen:
Die Schulter steift bei Ruhigstellung sehr schnell ein, daher werden Patienten nach Schulter-OP‘s optimalerweise mit einem „Bewegungsstuhl“ versorgt. An diesem ist eine motorisierte Bewegungsschiene angebracht, die die Schulter passiv, also ohne eigene Muskelaktivität, durchbewegt.
Lässt sich einer Schulter-Verletzung vorbeugen?
Da die Schulter ihre Stabilität durch Muskeln erhält, macht es Sinn, diese Muskeln zu trainieren. Gute Übungen, die die Rotatoren stärken, kennen beispielsweise Trainer im Fitnessstudio oder Sportverein.
Die Schulter liebt Aktivität. Falls es Ihr Gesundheitszustand zulässt, sollten Sie die Bewegungsrichtungen Ihrer Schulter täglich umfangreich nutzen. Eine statische Haltung, beispielsweise durch langes Sitzen vor dem Computer, unterbrechen Sie am besten durch regelmäßige Bewegungspausen. Stehen Sie beispielsweise mehrmals am Tag auf und führen eine kleine Übung durch, in der Sie Ihre Schulter locker um 360 Grad kreisen lassen.
Bleiben Sie gesund! Das wünschen Dr. Klaus Tiedemann und "Wir in Bayern"!