Praktikum in Kenia Als Lehrerin fürs Leben lernen
Nach Frankreich oder Spanien reist jeder mal. Aber nach Kenia? Lena Pitsch studiert Biologie und Chemie auf Lehramt und war für ein Praktikum in Ostafrika. Im ländlichen Chuka hat sie unterrichtet.
Als ich den Aushang in der Uni sah "Auslandspraktikum in Kenia, noch Plätze frei" war mir sofort klar, dass ich das unbedingt machen möchte. Afrika hatte mich schon immer gereizt, und dann auch noch unterrichten an einer Schule dort - mit Kindern arbeiten - genau das, was ich immer schon wollte. Als meine Kommilitonin, übrigens auch eine Lena, durchblicken ließ, dass sie ebenfalls sehr große Lust auf dieses Abenteuer hätte, war die Sache eigentlich schon so gut wie entschieden. In den nächsten Wochen trafen wir uns immer wieder mit der Professorin, die diese Aufenthalte organisiert. Es gab mehrere Schulen zur Auswahl und auch mehrere Familien, in denen wir für die Zeit unseres Praktikums leben könnten. Wir entschieden uns schließlich für die kleinste Schule mitten auf dem Land und für ein Leben bei Oma Lucy und ihrer Familie in Chuka.
Vorbereitungen für den Schulalltag in Kenia
Langsam nahm das Ganze Formen an und wir sollten überlegen, was genau wir denn in Kenia unterrichten wollten. Wir waren uns sicher, dass wir etwas mit Experimenten machen wollten - immerhin studieren wir beide Biologie und Chemie auf Lehramt. Außerdem wurde uns erzählt, dass die Schüler dort fast nie Experimente gezeigt bekommen, geschweige denn selber durchführen dürfen. Praktisches Arbeiten sei dort eher eine Ausnahme. Wir überlegten lange, ob wir uns selber welche ausdenken sollten oder vorgegebene Experimente der Fakultät Chemie oder Biologie nehmen sollten, bis unsere betreuende Dozentin einen Vorschlag machte: Es gäbe von einer Stiftung einen "Experimente-Koffer", extra entwickelt für andere Länder, ob wir nicht Lust hätten, dort eine paar Anleitungen auszuwählen und zu testen, ob sich der Koffer so auch in Kenia auf dem Land durchführen ließe.
Wir wollten Experimente zeigen
Wir waren ziemlich begeistert. Vor allem, da diese Stiftung auch Fortbildungen für Lehrer anbietet und so die Möglichkeit bestehen würde, dass das Experimentieren im naturwissenschaftlichen Unterricht auch weiterginge, wenn wir schon längst wieder abgereist sind. Es geht dabei vor allem darum, den Schülern einen abwechslungsreicheren und praktisch orientierteren Unterricht zu bieten, um ihnen das Lernen zu erleichtern und das auch über die drei Wochen hinaus, in denen wir ihre Lehrer sein dürfen. Dass das Experimentieren und selbstständige Arbeiten noch viel wichtigere und tieferliegende Vorteile bringen kann, sollten wir später noch herausfinden.
So hatten wir also unsere Unterrichtsstunden weitgehend vorbereitet und auch schon entschieden, uns auf die Klassen sieben und acht zu beschränken, da sonst die Sprachbarriere einfach zu groß sein würde. Die meisten Kleineren verstehen zwar schon Englisch, aber ob wir ihnen wirklich komplexe Sachverhalte und Experimente auf Englisch erklären könnten, und sie diese auch verstehen würden, war fraglich.
Das nächste Problem war das Material. Uns war klar, dass die Schule keine Reagenzgläser oder Pipetten haben würde und so mussten wir uns all unser Material selbst zusammensuchen und dieses auch transportieren. Am Tag der Abreise waren unsere Rucksäcke also vollgestopft mit Spülmittel, Reagenzglasklemmen, Löffeln, Thermometern, Plakaten, Arbeitsblättern und vielem mehr. Platz für Klamotten blieb fast keiner. Für den ganzen Monat hatten wir beide vielleicht drei Hosen und fünf T-Shirts. Aber das war ok, man kann ja schließlich waschen. Unser Hinflug ging über Dubai mit zwölf Stunden Aufenthalt. Nach 24 Stunden hatten wir unser Ziel endlich erreicht: Nairobi, die Hauptstadt Kenias.
Endlich angekommen: Von Nairobi ins ländliche Chuka
Nach zwei Tagen, in denen wir bei Lee, einem von Oma Lucys Enkeln, untergekommen sind, ging es endlich los Richtung Chuka, dem kleinen Dorf, in dem unsere Schule und unser Zuhause für die nächsten drei Wochen liegen sollte. Mit dem Matatu, einem kleinen Bus für circa zwölf Personen, in dem aber zur Not auch bis zu 20 Leute Platz finden, ging es von Nairobi aus vier Stunden Richtung Norden. Wir hatten keine Ahnung wo wir aussteigen sollten, denn Haltestellen für Matatus gibt es nicht, man klopft einfach heftig gegen das Dach - für den Fahrer das Zeichen, dass man bitte hier herausgelassen werden möchte. Da wir nicht einmal genau wussten, wie Chuka aussieht, riefen wir unterwegs Oma Lucy an, die sich den Fahrer geben ließ und ihm genau erklärte, wo er uns raus lassen sollte. Als das Matatu endlich hielt, nach vier Stunden zusammengequetscht mit vier bis fünf Leuten auf einer Dreisitzer-Bank, erwartete uns eine lächelnde Oma Lucy. Sie war jünger als ich sie mir vorgestellt hatte und sie begrüßte uns gleich mit einer freundlichen Umarmung. Sie hatte zwei BodaBodas dabei, Motorräder, die einen für ein paar Cent überall hinbringen, wo man hin möchte. Wir spannten unsere riesigen Rucksäcke hinten auf die Sitze und stiegen jeder auf eines auf. Oma Lucy wollte laufen. So ging es los, mit einem wackligen Stapel Gepäck hinten drauf, festgeschnürt mit zwei Gummibändern, über eine kaum befahrbare Holperpiste. Wir konnten es kaum erwarten, endlich anzukommen. Nach zehn Minuten kam unser neues Zuhause in Sicht.
Unser neues Zuhause, Chuka in Kenia
Es war so schön. Viel idyllischer, als ich es mir vorgestellt hatte. Zugegeben, es war auch kleiner, aber der Garten war toll und alles außen herum war grün. Das kleine Haus mit dem Wellblechdach besteht aus vier Räumen: einem kleinen Wohnzimmer mit Sofa und Couchtisch und drei klitzekleinen Schlafzimmern. Die Küche ist draußen neben den Ställen untergebracht und die Küken schlafen dort direkt neben dem Feuer. Und die Toiletten beziehungsweise das Duschhäuschen ist nochmal ein Stückchen weiter vom Haus entfernt. Wahrscheinlich ist das auch besser so, immerhin ist die Toilette nur ein tiefes Loch im Boden. Bei unserer Ankunft wurden wir von dem Rest der Familie begrüßt. Da war die erwachsene Nichte von Oma Lucy, ihre kleine Enkelin Meek, die in der Schule, an der wir unterrichteten, in die dritte Klasse geht, die große Enkelin Whitney und deren vierjährige Tochter Kiki. Wir fühlten uns sofort wie zuhause, alle waren unheimlich freundlich, auch wenn die Kinder sich erst mal an den Anblick der weißen Haut gewöhnen mussten.
Lena und ich bekamen eins der Schlafzimmer, in dem ein kleines Doppelbett stand, das wir uns für die nächsten Wochen teilen sollten. Nachdem wir unsere Rucksäcke hineingeschleppt hatten, bekamen wir erst einmal eine Stärkung: Tee und Früchte. Am nächsten Tag führte Oma Lucy uns zu der Schule. Der Schulweg ist ein Marsch von 15 Minuten durch den Dschungel, vorbei an Teeplantagen und Kaffeebüschen, unter Bananenpalmen hindurch und ein ausgetrocknetes Flussbett entlang. In der Regenzeit bekommt man dort wohl leicht mal nasse Füße.
Der erste Tag in der Schule
In der Schule wurden wir ebenso freudig empfangen wie schon von unserer Gastfamilie. Die Kinder waren ganz begeistert plötzlich Musungus, also Weiße, unter den Lehrern zu haben. Also verbrachten wir den ersten Tag hauptsächlich damit, die Haare geflochten zu bekommen und Fragen, vor allem der Lehrer, über Deutschland und Europa zu beantworten. Wir hatten eine Weltkarte mitgebracht, mit deren Hilfe wir unseren Schülern erklären konnten, wo genau wir herkamen und welche Unterschiede es zwischen Deutschland und Kenia gibt. Die Kinder konnten es gar nicht glauben, als wir erzählten, dass es im Februar tatsächlich Schnee in Deutschland gäbe.
Von da an hatten wir nun jeden Tag mindestens vier Unterrichtsstunden, die wir mit naturwissenschaftlichen Experimenten füllten. In Kenia geht eine Unterrichtsstunde nicht wie hier 45 Minuten lang, sondern nur 35. Dafür beginnt der Tag eines kenianischen Schülers um einiges früher als hier. Um 7 Uhr beginnt die Schule und geht für alle Kinder bis 16.45 Uhr. Nur die Siebt- und Achtklässler, die Ältesten der Primary School, haben sogar bis halb sechs Unterricht.
Der Tag begann für uns nun immer um kurz vor sieben mit einem kleinen Frühstück aus Toast und Margarine und Früchten wie Bananen oder Mangos, so viele wir essen konnten. Um acht sollten wir in der Schule sein, wobei ein bisschen Verspätung auch niemandem etwas ausmachte. Unsere Stunden in der achten Klasse konnten wir immer vormittags halten, die in der siebten dann nach dem Mittagessen. Um zehn nach drei war der Unterricht für uns beendet. Nun stand für die Schüler "cleaning time" auf dem Stundenplan: Jeden Tag mussten alle Räume der Schule gesäubert werden: die wenigen betonierten mit einem Lappen, und die Klassenräume - mit einem Boden aus festgetretener Erde - wurden mit Wasser bespritzt, wegen der Sandflöhe, die sich sonst zu leicht vermehren. So verbrachten wir jeden Tag unter der Woche. Langsam gewöhnten sich Schüler wie Lehrer an uns und wir bekamen eine richtige Routine. Je mehr Stunden wir halten konnten und je mehr die Experimente klappten, desto besser lief der Unterricht - genauso, wie wir uns das vorgestellt hatten.
Der Alltag im kenianischen Chuka
Nach der Schule halfen wir Oma Lucy bei der täglich anfallenden Arbeit. Mal beim Grasschneiden für die Kühe, mal beim Abtrennen der Maiskolben von ihren Halmen oder beim Hacken von Feuerholz mit der Machete. Sogar beim Kochen durften wir ab und zu helfen. Unsere Wochenenden verbrachten wir ganz unterschiedlich: Nach unserer ersten Woche in Chuka besichtigten wir Samstag und Sonntag ein paar Wasserfälle in der Nähe und fanden sogar einen, in dem wir schwimmen konnten. Außerdem besuchten wir auf einer unserer Reisen ein Elefantenwaisenhaus.
Das zweite Wochenende fuhren wir zwölf Stunden nach Mombasa, um das Meer zu sehen. Wir konnten bei Whitneys Schwägerin unterkommen und hatten ein wirklich schönes Wochenende. Nach drei Wochen neigte sich unsere Zeit in Chuka allmählich dem Ende zu. In unserer letzten Woche in Kenia wollten wir unbedingt noch eine Safari machen, und so hieß es Abschied nehmen: von unserer Schule und unserer Gastfamilie, die wir inzwischen schon sehr ins Herz geschlossen hatten. Unsere Schüler sangen für uns zum Abschied und ein paar Tränen ließen sich einfach nicht zurückhalten.
Wir hatten eine so tolle Zeit dort an der Schule, haben viel von den Schülern und Lehrern gelernt und ich bin sicher, dass wir als Lehrer an dieser Erfahrung gewachsen sind. Doch nicht nur als Lehrer, auch menschlich haben wir so viel gelernt in dieser Zeit: Zum Beispiel dankbar zu sein für all die Privilegien, die wir hier in Deutschland genießen können.
"Ihr habt jetzt ein Zuhause in Kenia und eine afrikanische Mama"
Dann kam der Abschied von unserer Gastfamilie. Von Whitney, und ihrer kleinen Tochter Kiki, die immer merkt, wenn es einem schlecht geht und alles tut, um einen wieder aufzumuntern. Von Meek, die trotz der Tatsache, dass sie ohne Eltern bei ihrer Oma lebt, immer ein Lächeln im Gesicht hat. Von der "kleinen" Lucy, die ein Kind in einem anderen Dorf hat, doch unter der Woche bei ihrer Tante lebt, um ihr Studium fertig zu machen und ihrem Kind so eine bessere Perspektive geben zu können. Und schließlich von Oma Lucy, einer Frau, die man wegen ihrer Stärke und ihrer Gabe, die Familie zusammenzuhalten und ihnen eine bessere Zukunft zu ermöglichen, nur bewundern kann.
Ich war wirklich sehr traurig, sie alle zu verlassen, doch ich bin sicher, dass das nicht mein letzter Aufenthalt in Kenia gewesen ist. "Ihr habt jetzt ein Zuhause hier in Kenia und eine afrikanische Mama", das waren Oma Lucys letzte Worte - und ich bin fest entschlossen, sie eines Tages wieder zu besuchen. Wir haben viele unbezahlbare Erfahrungen gemacht in dieser Zeit in Kenia. Nicht nur gute, aber alle haben uns als Menschen wachsen lassen und uns eine neue Sicht auf das Leben ermöglicht. Ich bin unglaublich dankbar dafür, diese Chance bekommen zu haben und ich bin sicher, dass ich den Aufenthalt in diesem Land niemals vergessen werde.
Länderinfo: Kenia
- Landschaftlich ist Kenia in vier Regionen unterteilt: Wüstenlandschaft im Norden, Savanne im Süden und fruchtbare Ebenen an der Küste und an den Ufern des Victoria-Sees.
- Die Hauptstadt Kenias ist Nairobi. Sie hat circa 3,5 Millionen Einwohner.
- Kenia grenzt im Westen an Uganda, im Süden an Tansania, im Osten an den Indischen Ozean und Somalia und im Norden an Äthiopien und den Sudan.
- Die Amtssprachen Kenias sind Swahili und Englisch. Daneben werden noch über 30 weitere Sprachen gesprochen (z.B. Kikuyu, Luhya und Luo).
- Für deutsche Studenten oder Praktikanten ist ein Visum notwendig, dieses muss online unter www.ecitizen.go.ke beantragt werden.
- Die Hochschulausbildung umfasst ein vierjähriges Studium. Kenia verfügt über sieben staatliche und eine Vielzahl privater Universitäten sowie über mehrere private Forschungseinrichtungen. Die Plätze an den staatlichen Hochschulen werden nach einer Rangliste des landesweiten Abschlussexamens der Secondary School verteilt.
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