Psychologe Dr. Stefan Oschmann "Die Suizidrate ist bei Studenten höher"
Jeder fünfte Student hat laut einer Studie der Techniker Krankenkasse psychische Probleme. Dr. Stefan Oschmann von der psychotherapeutischen Beratungsstelle der Uni Würzburg hat uns erklärt, warum das so ist.
PULS: In der TK-Gesundheitsstudie steht, dass jeder fünfte Student eine psychische Diagnose bekommt. Was heißt das genau?
Dr. Stefan Oschmann: Das heißt, dass es verschiedene Probleme gibt, die Studierende plagen. In erster Linie sind es natürlich Probleme im Leistungsbereich, aber auch Depressionen und psychosomatische Störungen. Und die Frage ist natürlich zu recht: warum ist das so? Was ist der Hintergrund? Und da ist es wichtig zu verstehen, dass das Studium in eine Phase erhöhter Konfliktanfälligkeit fällt. Das heißt, in der Phase des Erwachsenwerdens müssen Studierende sich von Bezugspersonen ihrer Kindheit lösen. Sie kommen häufig in eine neue Umgebung, müssen sich dort zurechtfinden und müssen persönliche neue Beziehungen knüpfen. Und das ist für einige ein Problem.
Jeder fünfte Student bekommt so eine Diagnose. Ist das viel im Vergleich zur Allgemeinheit?
Untersuchungen zeigen, dass es bei Studierende eine höhere Suizidrate gibt als bei Gleichaltrigen. Eben weil die Belastung höher ist. Jemand, der eine Lehre macht, am selben Ort bleibt und häufig noch bei den Eltern wohnt, ist in einer ganz anderen Situation. Ein Studierender dagegen muss in einen ganz anderen Ort, eine Uni, wo er noch nie vorher war. Das ergibt schon eine Reihe von Problemen und dann kommt noch der Leistungsdruck dazu.
Sie arbeiten in der Beratungsstelle des Studentenwerks Würzburg. Mit welchen psychischen Problemen kommen die Studenten zu Ihnen?
Der Schwerpunkt sind die Lernleistungsprobleme und Prüfungsängste. Leute kommen vor Prüfungen und sagen, sie wissen nicht mehr, wie es weitergeht. Kaum setzen sie sich hin, haben sie schon Angst. Häufig ist damit auch eine Depression verbunden. Die Leute ziehen sich zurück und haben keine sozialen Beziehungen mehr.
An wem liegt es denn, dass die Studenten so oft psychische Probleme haben? An den Studenten oder am Studium?
Beides. Es gibt viele sozial nicht kompetente Studierende, die an einer neuen Uni und an einem neuen Studienort große Probleme haben. Aber der Druck kommt noch hinzu. Der innere Druck, den sie sich selbst machen, wenn sie glauben "ich muss besonders gut sein, ich muss im ersten Semester schon gute Noten mit nach Hause bringen", der Druck von den Eltern, die sagen "ich erwarte von dir, wenn ich schon Geld bezahle, dass da auch was Gescheites rauskommt und du nicht bummelst", aber auch der Druck an der Uni. Gerade bei den Masterstudiengängen sind die Zeiten, in denen auch mal wirklich Pause ist, wesentlich geringer. Und Pausen sind wichtig für die Erholung.
Gibt es denn Studienfächer, die besonders anfällig sind?
Dass bestimmte Studienfächer besonders anfällig sind, kann man nicht sagen. Es gibt aber Studienfächer, in denen die Studierenden eher bereit sind, zu uns zu kommen. Das sind gerade die sozialwissenschaftlichen Fächer: Sozialarbeit, Pädagogik, Psychologie.
Was kann man denn vorbeugend tun?
Wichtig ist, dass man sich schon im Vorfeld damit auseinandersetzt: Wo komme ich da hin, wie wird es sein und wo kann ich wohnen? Aber gerade die soziale Einbindung ist am Anfang das Wichtigste. Man muss schauen, wo man Leute treffen kann, wo es Kneipen gibt und wie man am besten soziale Kontakte knüpfen kann.
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Kommentieren
Hugo Trotz, Freitag, 03.Juli 2015, 23:06 Uhr
3. Ach, was für Sorgen wir uns doch machen (lassen)...
Wer halbwegs mit dem Zeitgeschehen vertraut ist, der weiß, dass jetzt Abiturienten zum Studium gehen, die überhaupt nicht in der Lage sind, mit dessen Anforderungen dauerhaft fertig zu werden. Es ist immer wieder lustig, wie in den Medien mittlerweile Psychiater und sogar Wissenschaftler bemüht werden, die fast händeringend davon herumsalbadern, dass so viele Studenten psychische Probleme haben wegen Überforderung, dass sie dauergestresst sind und größtenteils vor dem Selbstmord stehen. Ich hätte damals einen Luftsprung gemacht, wenn ich denn hätte studieren dürfen. Aber leider lebte ich in der DDR und hatte mich der Jugendweihe verweigert... Sehe ich mich jetzt um, wird die Berufswahl häufig vom sozialen Status geprägt. Gymnasium muss natürlich sein, aber wer da bereits Probleme hat und sich trotzdem berufen fühlt, Arzt oder Wissenschaftler zu werden, der wird natürlich im Studium an seine Grenzen stoßen. Nachweislich sind die Anforderungen in den letzten Jahren nicht gestiegen...
C. Burner, Freitag, 03.Juli 2015, 15:10 Uhr
2.
Ich arbeite viel mit Jugendlichen und jungen Erwachsenen zusammen, die die Schule erst kurz hinter sich haben. Mir fällt immer wieder auf, dass viele von ihnen nicht mit der Realität des "wahren Lebens", in der sie gerade eben angekommen sind, klarkommen.
Während ihrer Schulzeit sind die Eltern wegen jeder Missstimmung zum Lehrer gelaufen, haben sich über jeden fehlenden halben Punkt in der Schulaufgabe beschwert und gerne mal die schulischen vorgesetzten Behörden bemüht.
Im Berufsleben und an der Uni fällt dies irgendwie weg und der Nachwuchs fällt ins Bodenlose, muss mit seinen Unzulänglichkeiten alleine klarkommen (entdeckt oft erst hier, dass er überhaupt welche hat), hat wenig Frustrationstoleranz und Copingstrategien entwickelt und kann die Schuld nicht mehr grundsätzlich bei allen anderen suchen und finden.
Kann das auch ein Grund für diese Entwicklung sein?
Hänni, Freitag, 03.Juli 2015, 09:18 Uhr
1.
Und es werden vermutlich nicht weniger werden, ganz im Gegenteil, weil viele erst gar nicht mehr in Behandlung gehen werden.
Schließlich wurde uns durch die jüngste Berichterstattung über den Absturzpiloten deutlich gemacht: Ein Psycho ist und bleibt ein Psycho und zum Schutz der Allgemeinheit muss am besten die ärztliche Schweigepflicht ausgehebelt werden.
Vorausgegangene psychotherapeutische Behandlungen waren außerdem für die Aufnahme bei manchen (Kranken)Versicherungen und z.B. bei Verbeamtungen schon immer hinderlich.
Also: Vorsicht!