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TV-Kritik Die neue Staffel „Bachelorette“ zeigt die Schranken in den Köpfen vieler Männer

Zum ersten Mal in der deutschen Dating-TV-Geschichte gibt es eine queere Protagonistin ohne extra queeres Format: Stella Stegman ist die neue Bachelorette – und sie ist bisexuell. Aktuell kämpfen 15 Männer und 5 Frauen um ihr Herz. Ein großer Schritt Richtung Normalisierung, wäre da nicht die Männerriege.

Von: Alba Wilczek

Stand: 19.09.2024

Stella Stegman | Bild: picture alliance/dpa | Rolf Vennenbernd

Ich weiß noch genau, als ich als 12jährige "aus Versehen" (mit totaler Absicht) auf den MTV-Channel schaltete und dort in ihre Augen blickte: Tila Tequila. Die US-amerikanische Celebrity war in den Nuller Jahren sehr bekannt als Model, Sängerin und Online-Personality. Dazu startete sie 2007 die bisexuelle Dating-Show „A Shot at Love with Tila Tequila”, in der 16 heterosexuelle Männer und 16 lesbische Frauen die Möglichkeit bekamen, Tequila zu daten. Für die damalige Zeit war das unerhört! Aber überraschend fortschrittlich. Zumindest eine Zeit lang. Tila Tequila gab 2018 in einem Interview zu: Sie war nie bisexuell, in der Show galt "gay for the pay". Dazu macht sie heute mit Verschwörungstheorien, Hitler-Fandom und Support für Donald Trump auf sich aufmerksam.

Biexuelle Menschen gibt es nicht?

Tila Tequila

So könnte man also sagen: 17 Jahre später sehen wir in Deutschland jetzt die erste echte Bi-Bachelorette im TV und im Streaming. Hallo, Stella. Hallo, Fortschritt. Und: Hallo, ungleichmäßige Geschlechterverteilung? Oh, Schreck! Neben 15 Männern sind bei der Bachelorette 2024 nur fünf Frauen im Rennen. Warum nur? Haben sich etwa nicht genug lesbische oder bisexuelle Frauen beworben? Vielleicht. Laut einer Umfrage identifizieren sich in Deutschland etwa neun Prozent aller ab 1995 geborener Volljähriger als bisexuell. Weitere drei Prozent als pansexuell und asexuell, so nennt man es, wenn eine Person keine emotionalen oder sexuellen Bindungen und Anziehungen entwickeln kann.

Grundsätzlich ist erstmal jede Repräsentation ein Schritt nach vorn. Aber für mich ergibt sich erstmal der Eindruck, die bisexuelle Seite von Stella Stegman sei dann doch nicht ernst zu nehmen. Man müsse ihr gar nicht genau so viele Frauen wie Männer vorsetzen, denn ihr Fokus liegt dann doch auf der männlichen Seite. Ein Klischee, dass sich viele bisexuelle Menschen anhören müssen. Immer wieder werden sie damit konfrontiert, doch einfach nur „neugierig“ und am Ende eh entweder lesbisch oder heterosexuell zu sein.

Fetischisierung

Dieses Narrativ lässt sich auch in der Popkultur finden - mal abgesehen davon, dass mir generell wenig bis keine bisexuellen Charaktere in Filmen oder Serien einfallen. Neulich aber sah ich diese eine Folge „Sex And The City“, in der die Protagonistin Carrie Bradshaw einen bisexuellen Mann datet. Carrie kommt überhaupt nicht damit klar und ist besessen davon, herauszufinden, ob der Mann denn nun Frauen oder Männer lieber mag. Notiz an mich: Warum ist das wichtig? Auch hier fällt der Satz: „Am Ende landen bisexuelle Frauen doch alle bei Männern. Genau wie die bisexuellen Männer.“

Miranda, Charlotte und Carrie in "Sex and the City"

Dazu kommt eine große Portion Fetischisierung. Danke, Pornoindustrie! Besonders unter Männern gilt eine sexuelle Anziehung zwischen Frauen als besonders anregend – und nur auf gewisser Ebene ernst zu nehmen. Ein Dreier mit der Freundin und einer anderen Frau? Ja, bitte! Ein Dreier mit nem anderen Mann? Nein, das wäre ja voll „schwul“.

Und hier kommen wir zurück zur Bachelorette. Die Showrunner haben sich interessanterweise dazu entschieden, die Männer eine Zeit im Dunkeln über den Fakt zu lassen, dass auch Frauen als Love Interest an der Staffel teilnehmen. Zuerst lernt Stella Stegman die Männer kennen, in Folge 2 dann die Frauen – und erst danach ziehen die Frauen zu den überraschten Männern in die Villa. Diesen Produktions-Schachzug kann man durchaus kritisieren. Die queeren Frauen werden dadurch (mal wieder) als „Störfaktor“ inszeniert, als das „aufregende Goodie“ dieser Staffel und nicht als von Anfang an gesetzt und gegeben.

Die Männer sind geschockt

Andererseits aber bringt dieses Vorgehen authentische Reaktionen der Männer hervor. Reaktionen, die die Showrunner wahrscheinlich absichtlich erzeugen wollten, um Misstände in unserer Gesellschaft aufzuzeigen. Denn nach sehr kurzer Zeit ist klar: Die Jungs haben nicht im Traum mit so einer Entwicklung gerechnet. Natürlich nicht, wo kämen wir denn da auch hin! Bisexualität, das gibt’s ernsthaft? – und sie haben sehr viele Gedanken dazu. Sobald sich der erste Schock gelegt hat, tut sich die Hölle an Gesprächen auf.

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Jetzt auch noch politisch korrekt?! Bachelorette Folge 1-3 | Bild: mirellativegal (via YouTube)

Jetzt auch noch politisch korrekt?! Bachelorette Folge 1-3

An vorderster Front: Bennett aus Dortmund und Musty aus Hannover. Während Bennett betont, dass Frauen ja schon sehr anders ticken würden und es deshalb unmöglich wäre, Männer und Frauen zusammen auf Gruppendates zu schicken, ist Musty erstmal besorgt. Im Einzelinterview meint er: „Ich könnte mir vorstellen, dass die Männer jetzt einen bisschen untergehen, hier.“ Gott bewahre, dass Männer mal untergehen! Wo kommen wir denn da hin! Ich möchte an dieser Stelle die talentierte Trash-TV-Kiritikerin Mirella Precek zitieren. Ihr Kommentar an dieser Stelle: „Willkommen im Leben einer Frau", lieber Musty!

Ebenfalls voller Sorgen, aber anderer Art: Die Frauen. Sie stecken jetzt für mehrere Wochen zu fünft in einem Haus mit 15 Männern fest. „Die haben schon paar komische Blicke drauf“, äußert Aysun ihr Unwohlsein. Ja, Aysun! Und nicht nur komische Blicke, sondern auch komische Fragen. Das beweist uns kurz danach der 35jährige Martin aus Mering. Beim Chillen am Pool fragt er eine Kontrahentin prompt: „Warum seid ihr eigentlich nicht einfach zu Princess Charming gegangen?“ Bravo, Martin. Deine Frage fasst in einem Satz zusammen, was in unserer Gesellschaft falsch läuft.

Lässt tief blicken

Viele halten es für nicht „normal“, dass Queerness im Mainstream, in der Mitte der Gesellschaft stattfindet. Sie sehen queere Menschen als homogene Masse, die unter sich und in ihrem eigenen Space lebt – und da doch bitte bleiben soll. Gott bewahre, dass diese Queeren plötzlich zur Konkurrenz für Männer werden! Dass sie die Gesellschaft zur Selbstreflexion herausfordern und Themen wie inklusive Sprache oder Gender ansprechen. Das geht zu weit!

Martins Aussage lässt wirklich tief blicken. Eigentlich impliziert sie DAS Homophobie-Klischee schlechthin: „ich hab ja nix gegen Schwule, aber warum müssen sie jetzt in meinen Space und mein Sichtfeld eindringen?“ Findet auch Bennett. Prompt gerät er mit Kontrahentin Aysun aneinander, die ihn darauf hinweist, dass das Wort „geisteskrank“ diskriminierend sei. „Du bist so political-correct und woke. Das hat nix mit mir zu tun“, erklärt er daraufhin. Und schmeißt im Einzelinterview hinterher: „Wenn die Frauen hier rein hetero wären, gäbe es solche Diskussionen nicht.“ Klar, denn Erstens: Kritik = Wokeness. Und Zweitens: nur queere Menschen sind woke. Ironie off.

Reflexion? Fehlanzeige

Der Diskussion mit Aysun entzieht sich Bennett schließlich mit dem Argument, dass es ja nicht seine Schuld sei wenn sie sich angegriffen fühle und dass das ja nix mit ihm zu tun hätte. Reflexion? Fehlanzeige. Sein Fazit: 

"Ich bin der toleranteste Mensch, aber für ‚die Staffel mit der Political Correctness‘ hab ich mich nicht beworben. Hätte ich gewusst, dass das alles so aufgebaut ist, weiß ich nicht, ob ich mich beworben hätte."

Bennett aus Dortmund

Alles gesagt, Bennett. Dabei haben dich die Frauen doch darauf hingewiesen, dass Wörter Macht haben! Die Bachelorette 2024 lässt tief blicken. Wir sehen, dass unsere Gesellschaft gar nicht so tolerant ist, wie sie manchmal angibt. Und wie wenig Bock manche wirklich haben, sich selbst zu reflektieren. Dabei können wir zusammen doch nur vorankommen, wenn wir einander zuhören und offen für andere Perspektiven sind.