Organspende: Debatte geht weiter Organspende: Zustimmungsregelung beschlossen
Die Mehrheit des Bundestages hat sich bei der zukünftigen Organspende-Regelung für die erweiterte Zustimmungsregelung entschieden und damit gegen die kontrovers diskutierte doppelte Widerspruchslösung. Die Entscheidung des Bundestages ist aber immer noch kein Endpunkt der Debatte über den Umgang mit der Organspende.
Am vergangenen Donnerstag machte sich große Enttäuschung, ja auch Unverständnis im Transplantationszentrum des Universitätsklinikums in Regensburg breit. Der Bundestag hatte an diesem Tag die doppelte Widerspruchslösung abgelehnt.
Organspende: Die doppelte Widerspruchslösung
Mit dieser würde jeder Mensch automatisch als Spender gelten, solange er zu Lebzeiten nicht ausdrücklich widerspricht und dies in einem Register oder einer Patientenverfügung schriftlich niederlegt. Tritt der Fall einer möglichen Organentnahme ein, müssen Transplantationsmediziner zudem bei Angehörigen nachfragen, ob ein schriftlicher Widerspruch vorliegt oder ihnen "ein der Organspende entgegenstehender Wille" bekannt ist. Diese doppelte Widerspruchslösung hätte mehr Organspenden bewirkt, sind sich die Befürworter sicher. Die Mehrheit des Bundestages aber entschied sich für die erweitere Zustimmungsregelung.
Organspende: Die erweitere Zustimmungsregelung
Wer Organspender sein möchte, muss also wie bisher aktiv schriftlich zustimmen, etwa per Organspendeausweis oder in einer Patientenverfügung. Zusätzlich sollen auch Ämter und Ärzte die Bürger regelmäßig fragen, ob sie Organspender werden möchten.
"Ich bin schon sehr enttäuscht. Das bedeutet letztlich, dass die Transplantation auf dem niedrigen Niveau, wie sie in Deutschland dahindümpelt, weiterdümpelt, dass sich erst einmal nichts ändern wird. Es ist nicht zu erwarten, dass sich aus der jetzt getroffenen Entscheidung wirklich relevante Änderungen ergeben werden."
Prof. Dr. med. Hans J. Schlitt, Universitätsklinikum Regensburg
Lebendspenden von Organen: bestenfalls riskante Notlösung
An der Uniklinik Regensburg operieren die Chirurgen um Prof. Schlitt parallel zur Entscheidung des Bundestages einen Vater und seine kleine Tochter: Das Kind ist kein halbes Jahr alt, braucht aber dringend eine Spenderleber. Ein erstes Spendertransplantat hat der Körper des Mädchens abgestoßen. Die Zeit drängt und kein neues Spenderorgan ist in Sicht, jetzt hat sich der 43-jährige Vater als Spender zur Verfügung gestellt.
Er spendet einen Teil seiner Leber an sein Kind. Lebendspenden sind letztes Mittel der Wahl, da sie einen schweren Eingriff für einen gesunden Menschen bedeuten. Glücklicherweise geht bei der über fünf Stunden langen Operation alles gut, die Transplantation von Vater auf Tochter ist geglückt.
Organspende: jahrelanges, oft vergebliches Warten
Doch nicht für jeden Patienten kommen Lebendspenden in Frage. Und so müssen sie teils jahrelang, teils auch vergeblich auf ein Spenderorgan warten. So auch Michaela Kotzulla-Berr aus Regensburg. Die 58-Jährige leidet seit der Kindheit an Diabetes mellitus. Mit 41 Jahren bekam sie eine kombinierte Niere- und Bauchspeicheldrüsentransplantation. Die Bauchspeicheldrüse funktioniert, aber schon seit acht Jahren arbeitet das Nierentransplantat nicht mehr. Seither wartet sie auf eine neue Niere und muss drei Mal wöchentlich zur Dialyse. Auch sie ist enttäuscht, dass der Bundestag die Widerspruchslösung abgelehnt hat.
Mit der jetzigen Entscheidungslösung aber wird auch sie wohl noch länger auf ein Spenderorgan warten müssen.
Organspende: Warteliste mit über 9000 Patienten
Über 9000 Menschen stehen in Deutschland auf der Warteliste für ein Spenderorgan. Doch die Zahl der gespendeten Organe sinkt: Nach Angaben der Deutsche Stiftung Organtransplantation (DSO) waren es 2010 etwas über 4200 Spenderorgane. 2019 ist die Zahl auf nur noch 2295 gesunken.
Ein Trend, den die Politik mit der erweiterten Entscheidungslösung abfedern will. Dass das klappt, bezweifelt die Deutsche Stiftung Patientenschutz. Die Stiftung sprach sich im Vorfeld der Bundestagsentscheidung vehement gegen die Widerspruchslösung aus. Ihr ist aber auch die Entscheidungslösung zu wenig, denn: Der Fehler liege generell im deutschen Transplantationssystem. Denn dieses würde von Akteuren wie der Bundesärztekammer und der Deutschen Krankenhausgesellschaft koordiniert und organisiert. Die Stiftung fordert deshalb Reformen.
In eine ähnliche Richtung stößt auch der Vorsitzende des Deutschen Ethikrats.
"Viele Untersuchungen weltweit zeigen, dass der Unterschied zwischen Zustimmungslösung und Widerspruchslösung nicht gravierend ist. Ein entscheidender Zugewinn wird erzielt, wenn man die Strukturen in Krankenhäusern und im Meldesystem verbessert. Das hat man an Spanien gesehen. Dort gab es zehn Jahre lang die Widerspruchsregelung und nichts ist passiert. Dann haben sie massiv das Transplantationssystem geändert und die Zahlen sind plötzlich durch die Decke gegangen."
Prof. Dr. theol. Peter Dabrock, Vorsitzender des Deutschen Ethikrates
Organspende: Reform des Transplantationssystems?
Reformen des Transplantationssystems in Deutschland sind aber derzeit nicht in Sicht. Es wird sich nun zeigen, ob die erweitere Zustimmungslösung den erhofften Erfolg bringt und sich mehr Menschen als Organspender zur Verfügung stellen. Bewirkt hat die Debatte um die Organspende sicher eines: Viele Menschen wurden und werden auf das Thema aufmerksam gemacht. Unabhängig von Widerspruchslösung oder Entscheidungslösung ist es wichtig, dass jeder rechtzeitig zu Lebzeiten entscheiden und schriftlich festhalten sollte, ob man Organe spenden möchte oder nicht. Das kann im besten Fall das Leben eines anderen Menschen retten.