Typ 1-Diabetes Der Kampf gegen die Zuckerkrankheit
Rund neun Millionen Menschen in Deutschland leben mit der Diagnose Diabetes, einem chronisch erhöhten Blutzuckerspiegel. Die meisten haben Diabetes Typ 2. Nur rund 370.000 Menschen leben mit Diabetes Typ 1. Und die sind oft sehr jung. Gesundheit! Reporterin Veronika Keller begleitet einen jungen Typ1-Diabetiker und seine Familie im Alltag. Außerdem erfährt sie, wie weit die Forschung ist im Kampf gegen Typ 1-Diabetes.
Wenn wir essen, schüttet unsere Bauchspeicheldrüse das Hormon Insulin aus. Das sorgt dafür, dass Zucker und Kohlenhydrate als Energie in die Zellen gelangt. Aber dieser Mechanismus funktioniert nicht bei allen. Gut neun Millionen Menschen in Deutschland leben mit der Diagnose Diabetes, einem chronisch erhöhten Blutzuckerspiegel. Die meisten haben Diabetes Typ 2.
Typ 1-Diabetes: Rund 370.000 Menschen leben damit
Typ 1-Diabetes betrifft dagegen nur rund 370.000 Menschen und die sind oft sehr jung. Max zum Beispiel ist 11 Jahre alt und lebt mit seiner Mutter Mirana und seiner Schwester Marie in München. Diabetes Typ 1 bedeutet, dass täglich Insulin gespritzt werden muss. Das übernimmt bei Max eine Insulinpumpe. Über einen Schlauch und Katheter wird das Insulin in den Oberschenkel gepumpt. Gesundheit! Reporterin Veronika Keller trifft die Familie auf dem Oktoberfest. Ist so ein Familienausflug mit all den süßen Verlockungen problemlos machbar?
Diagnose Typ1-Diabetes: Autoimmunerkrankung, die früh beginnt
Die Diagnose bekam Max kurz nach seinem vierten Geburtstag. Im Rahmen einer Routineuntersuchung beim Kinderarzt fiel der zu hohe Blutzuckerwert auf.
Süßigkeiten: Auch Kinder mit Typ 1-Diabetes dürfen naschen
Inzwischen kann Max trotz der Autoimmunerkrankung ein ziemlich normales Leben führen. Die Voraussetzung: Er muss seine Blutzuckerwerte immer im Blick haben. Zu seinem Alltag gehören deshalb auch regelmäßige Arztbesuche. In der Kinderdiabetologie des Klinikums Dritter Orden in München wird Max von Oberärztin Dr. Silke Schmidt betreut. Sind Süßigkeiten, wie zum Beispiel gebrannte Mandeln auf der Wiesn, für Kinder wie Max ein Problem?
"Nein, er darf Süßigkeiten essen, wie jedes andere Kind auch. Wichtig ist, und das weiß Max: Er braucht immer, wenn er etwas isst, egal ob Süßigkeiten, Brot oder Kartoffeln, also Kohlenhydrate, sein Insulin. Dann darf er alles essen."
Dr. med. Silke Schmidt, Kinderdiabetologin, Klinikum Dritter Orden, München
Diabetes Schulung auch für die Kleinsten
Doch wie erklärt man einem Kind, was bei Typ 1 Diabetes im Körper los ist? Keine einfache Aufgabe.
"Wird die Diagnose gestellt und bestätigt sich, haben wir die Familien eine Woche bis zehn Tage bei uns auf Station und bilden sie richtig gut in Diabetes aus. Denn ohne Insulin kann es bei Typ 1-Diabetikern schnell zu lebensgefährlichen Situationen kommen."
Dr. med. Silke Schmidt, Kinderdiabetologin, Klinikum Dritter Orden, München
Bilder helfen auch den Kleinsten, die Krankheit zu verstehen: Der Zucker schwimmt durch die Blutbahn. Insulin sperrt wie ein Schlüssel die Haustür zur Zelle auf. Nur damit kann der Zucker hinein und zu Energie verbrannt werden, ein Grundprinzip des Insulinstoffwechsels.
Insulinpumpe und Sensor erleichtern den Alltag
Max hat deshalb seine Pumpe, die ihm Insulin ins Unterhautfettgewebe abgibt. Das Gerät erkennt, wieviel Insulin er braucht, denn es ist mit einem Sensor an seinem Arm verbunden, der ständig seinen Blutzuckerspiegel misst. Seine Zuckerwerte werden in der Pumpe gespeichert. Dr. Silke Schmidt ist mit dem Monatsverlauf sehr zufrieden, denn Max hatte nur ganz wenige und kurze Ausreißer nach oben.
Diabetes Typ 1 und Diabetes Typ 2: Was ist der Unterschied?
Max hat das mit dem Insulin gut im Griff. Bei Typ1 Diabetes hilft übrigens nur das. Dass Typ 1-Diabetikern das Insulin fehlt, liegt daran, dass ihr Immunsystem die körpereigenen Zellen angreift, die das Insulin produzieren. Dagegen gehen bei Diabetes Typ 2 erst mit den Jahren die Zellen der Bauchspeicheldrüse, die das Insulin produzieren, aufgrund von Lebensstilfaktoren und Ernährung zugrunde. Das betrifft meist ältere Menschen. Das sind wesentliche Unterschiede, die sich auch konkret auf den Alltag auswirken, viele aber nicht kennen.
"Ich bin immer bisschen unglücklich, dass Typ1 und Typ2 in einen Topf geworfen werden und viele Leute das nicht unterscheiden können. Und die Kinder hören dann leider ganz oft: Du hast doch Diabetes, du darfst keine Süßigkeiten essen!"
Dr. med. Silke Schmidt, Kinderdiabetologin, Klinikum Dritter Orden, München
Auch Max kennt das und ist genervt.
Diabetes Typ1: Keine Probleme in der Schule
Max besucht das Gymnasium Grünwald. Seine Schule ist auf seine Krankheit eingestellt, hier gibt es fünf Kinder mit Typ1-Diabetes. Außerdem weiß Max, was er immer bei sich haben muss: Traubenzucker, Gummibärchen und ein Notfallspray. Das gibt man in die Nase, falls Max tatsächlich bewusstlos werden sollte. Auch seine Lehrer und einige Mitschüler wissen Bescheid.
Nötig wäre das aber nur, wenn Max nicht mehr selbst essen könnte. Seine Pumpe hat er natürlich auch immer dabei. Die piepst manchmal im Unterricht und manchmal meldet sich auch sein Handy, wenn die Werte übertragen werden. Das ist wichtig, damit auch seine Mutter die Messwerte mitverfolgen kann. Schulleiterin Birgit Korda und ihr Kollegium kennen sich mit dem Thema Typ 1-Diabetes aus, Voraussetzung dafür, dass sich betroffene Kinder sicher fühlen können.
"Es geht vor allem darum, wenn im Unterricht etwas passieren sollte. Die Kollegen wissen, dass die Kinder ein Handy haben - wir haben eigentlich ein Handyverbot an der Schule - dass das piepst. Es besteht außerdem ein sehr enger Kontakt zum Elternhaus. Je enger Elternhaus und Schule zusammenarbeiten, desto hilfreicher ist das für die Kinder."
Birgitt Korda, Oberstudiendirektorin, Schulleiterin Gymnasium Grünwald
Kinder mit Typ 1-Diabetes: Experten in Sachen Ernährung
Große Pause: Max hat selbstgebackene Keks und Ananas dabei und viele Zettel!
Das gibt er ein. Die Pumpe berechnet, wieviel Insulin er braucht, um die Kohlenhydrate zu verarbeiten und setzt dann die nötige Menge ab. Ganz schön viel zu beachten für einen 11-Jährigen. Max muss genau wissen, wieviel Kohlenhydrate er zu sich nimmt, damit er die jeweils richtige Dosis Insulin bekommt. Nährwert-Tabellen brauchen er und seine Mutter aber kaum, sie wissen das meiste auswendig. Und wenn sein Blutzucker-Sensor mal ausfällt, misst er eben „blutig“ nach. Das macht er schon seit dem vierten Lebensjahr selbst immer wieder. Überall ist außerdem Traubenzucker zu finden. Denn es kann immer passieren, dass er schnell Energie braucht.
Diabetes-Forschung: Eine Welt ohne Typ 1-Diabetes?
Am Institut für Diabetesforschung im Helmholtz Zentrum München arbeitet Prof. Anette Ziegler auf ein großes Ziel hin: Eine Welt ohne Typ1-Diabetes. Ist das realistisch?
"Ich bin sehr optimistisch, deshalb denke ich, so unrealistisch ist es nicht. Aber im Moment sind wir nicht soweit, dass wir die Krankheit heilen können. Wir können nur versuchen im Vorfeld zu therapieren, das heißt, die Krankheit hinauszuzögern.
Interessant ist, dass wir herausgefunden haben, dass diese Fehlreaktion des Immunsystems ganz besonders häufig in den ersten Lebensjahren auftritt. Deswegen haben wir uns sehr auf die Frage fokussiert: Können wir denn schon bevor diese Fehlreaktion entsteht, praktisch nach der Geburt, etwas tun, um das Immunsystem gleich in die richtigen Bahnen zu lenken, damit das gar nicht erst auftritt?"
Prof. Dr. med. Anette-Gabriele Ziegler, Direktorin am Institut für Diabetesforschung, Helmholtz Munich
Früherkennungsstudien: Wie funktionieren sie?
Dazu laufen Früherkennungsstudien. Anhand kleiner Mengen Blut identifiziert man Kinder, die erkranken könnten. Sie kommen dann regelmäßig hierher, so wie Elin. Ihr großer Bruder hat Typ 1-Diabetes, und auch bei ihr wurde nach der Geburt ein erhöhtes Risiko dafür festgestellt. Aber Studienärztin Evangelia Asvou kann - zumindest für die nächsten Monate - Entwarnung geben.
"Der Blutzucker von heute war unauffällig, deswegen sind wir optimistisch, dass wir im grünen Bereich sind."
Evangelia Asvou, Studienärztin, Institut für Diabetesforschung, Helmholtz Muinch
Ihre Mutter ist beruhigt. In einem halben Jahr kommt Elin wieder. Auch die dreizehnjährige Nora ist Studienteilnehmerin. Sie hat ein Frühstadium von Typ 1-Diabetes und macht einen Glukosetoleranz-Test. Dafür trinkt sie eine spezielle, süße Lösung. Danach wird ihr im Halbstundentakt viermal Blut abgenommen, um zu sehen, wie gut ihr Körper den Zucker verarbeiten kann. Für Nora nichts Besonderes mehr, denn sie macht diese Prozedur alle sechs Monate. Studienärztin Dr. Anna Hofelich untersucht sie. Ein Jahr lang musste Nora für die Frida-Studie täglich eine Kapsel mit Insulin einnehmen.
"Wir wollen dadurch erreichen, dass das Immunsystem sich nicht gegen die Zellen im Körper richtet, die das Insulin bilden. Durch die Gabe wird es quasi daran gewöhnt, dass Insulin da ist und nicht bekämpft werden muss. Der Wert des Zuckertests sollte jetzt unter 140 liegen."
Dr.med. Anna Hofelich, Studienärztin, Institut für Diabetesforschung, Helmholtz Munich
Noras Wert liegt bei hervorragenden 96. Alles ist in Ordnung. Belastbare Ergebnisse der Interventionsstudie wird es voraussichtlich nächstes Jahr geben.
Typ 1-Diabetes: sogar Leistungssport ist möglich
Die Mutter von Max hat seine Werte rund um die Uhr im Blick, auch beim Sport. Denn dabei ist das Risiko einer Unterzuckerung größer als im normalen Alltag. Deshalb müssen Max und sein Karatetrainer Stephan wachsam sein. Generell können Typ 1-Diabetiker aber Sport treiben. Auch Max ist mit Begeisterung dabei. Trainer Stefan findet, Karate ist wegen der gleichmäßigen Belastung perfekt für Max.
"Natürlich gibt´s auch Phasen, wo man mal bisschen mehr schwitzt, aber es ist jetzt nicht wie ein Sprint, wo man in zehn Sekunden alles hergibt und danach wieder Pause macht, sondern wir sind halt eine Stunde beschäftigt mit einem gleichbleibenden Fitnesslevel."
Stephan Kuntscher, Karatelehrer, TSV Grünwald
Selbst unter Profisportlern gibt es Typ 1-Diabetiker. Prominente Beispiele sind Anja Renfordt, mehrfache Weltmeisterin im Kickboxen, oder auch Tennisstar Alexander Zverev. Der machte seine Erkrankung im letzten Jahr öffentlich und gründete eine Stiftung. Sein Ziel: Er will zeigen, dass man es auch mit Typ 1-Diabetes ganz weit schaffen kann.