BR Fernsehen - Wir in Bayern


46

HNO-Medizin Chronischer Tinnitus – das können Sie dagegen tun

In Deutschland leiden Millionen Patienten an einem chronischen Tinnitus. Dieses Dauergeräusch, ohne äußere Schallquelle, kann die Lebensqualität der Betroffenen extrem einschränken und unter anderem zu Depressionen und Suizidgedanken führen. In der Regel kann ein chronischer Tinnitus zwar nicht geheilt werden, aber es gibt verschiedene Möglichkeiten, die Beschwerden zu lindern. Tipps zur Behandlung nach der neuen Tinnitus-Richtlinie von HNO-Arzt Dr. Thomas Meier-Lenschow.

Stand: 16.01.2023

Frau hält sich das Ohr | Bild: picture-alliance/dpa/Christin Klose

Beim Tinnitus hören Betroffene Geräusche ohne eine äußere Schallquelle, beispielsweise Pfeifen, Rattern, Brummen, Zischen, Hämmern, Klingeln oder Sausen. Der akute Tinnitus setzt meist schlagartig ein und hat eine hohe Rate an Spontanheilung. Zudem kann er in vielen Fällen mit einer Akuttherapie geheilt werden.
Halten die Ohrengeräusche länger als 3 Monate an, spricht man von einem chronischen Tinnitus.

Die Schwere des Tinnitus wird in verschiedene Grade eingeteilt

Unter Tinnitus vom Grad I und II versteht man einen kompensierten Tinnitus. Das bedeutet, dass dieser im Alltag kaum oder wenig stört.
Ein Tinnitus vom Grad III oder IV hingegen erzeugt einen erheblichen Leidensdruck und zieht oft Begleiterkrankungen (beispielsweise Schlafstörungen, Spannungskopfschmerzen und Depressionen bis hin zu Selbstmordgedanken) nach sich.

Wie wird aus einem akuten Tinnitus ein chronischer?

Tinnitus ist eine Störung im Hörsystem des Menschen. Zu Beginn des Ohrgeräusches scheint immer der Schaden im Innenohr zu liegen, beispielsweise Abnutzungserscheinungen, Lärmeinflüsse oder Durchblutungsstörungen. Darum wird der Tinnitus oft im Bereich des größten Einschnittes in der Hörkurve wahrgenommen.

Im Laufe der Zeit folgen Reaktionen des Gehirns auf diese Schädigung

  • vermeintlicher Ausgleich des Hörschadens durch Aktivitätssteigerung im Großhirn
  • Ausbremsung von Filterprozessen zwischen Ohr und Gehirn
  • erhöhte Aktivität in der Höhrbahn.

Dazu addieren sich noch Einflüsse wie eine übersteigerte Wahrnehmung des Tinnitus, beispielsweise bei Ängstlichkeit, Depression oder psychosomatischer Reaktion.

Der wichtigste erste Behandlungsschritt: Tinnitus-Counselling

Das sogenannte Tinnitus-Counselling, die umfassende Aufklärung und Beratung des Patienten, ist der wichtigste und erste Schritt bei der Behandlung eines chronischen Tinnitus. Ziel dabei ist, dass durch die umfassende Aufklärung negative Assoziationen vermieden werden, dadurch der Leidensdruck verringert und somit die Lebensqualität verbessert wird.
Die Betroffenen sollen lernen, den Tinnitus in den Hintergrund rücken zu lassen, so dass er nicht mehr als so extrem störend empfunden oder sogar (zumindest zeitweise) "ganz vergessen" wird.

Hilfreich: Verhaltenstherapie bei chronischem Tinnitus

Bei der Verhaltenstherapie bekommen die Patienten Techniken (beispielsweise Entspannungs- oder Stressbewältigungstechniken) beigebracht, die den Tinnitus in den Hintergrund rücken lassen, so dass dieser kaum mehr oder nicht mehr so störend wahrgenommen wird.  

Positiv: App-basierte kognitive Verhaltenstherapie

Im Rahmen der neuen digitalen Gesundheitsanwendungen (DIGA) sind 2 Apps auf den Markt gekommen, die eine Art kognitive Verhaltenstherapie in Verbindung mit Informationen zum Thema Tinnitus verbinden. Diese können bei konsequenter Nutzung positive Effekte auf die Tinnitusreduktion haben.
Diese Apps können vom behandelnden Arzt auf Rezept verschrieben werden.

Bei zusätzlichem Hörverlust: Einsatz von Hörgeräten

Oft geht ein Tinnitus mit einem Hörverlust an dem betroffenen Ohr einher. Ist dies der Fall, sollte dieser mit einem Hörgerät ausgeglichen werden. Das wirkt sich in vielen Fällen positiv auf den Tinnitus aus.
Bei Taubheit oder hochgradiger Schwerhörigkeit mit Tinnitus ist ein Cochela-Implant in vielen Fällen effektiv.  

Hörtherapie bei chronischem Tinnitus

Bei der Hörtherapie lernen die Patienten durch Übungen bewusster und differenzierter zu hören. Dadurch kann erreicht werden, dass die Betroffenen lernen, den Tinnitus zu überhören. Aber auch hier ist die Studienlage unklar. Zudem gibt es nur wenige Einrichtungen, die diese Behandlung anbieten.

Manuelle Therapie bei chronischem Tinnitus

Ist die Halswirbelsäule, die Kiefer- oder Kaumuskulatur für den Tinnitus verantwortlich, kann eine manuelle Therapie die Beschwerden lindern.

Nach der neuen Tinnitus-Richtlinie nicht empfohlene Therapien

Folgende Therapien werden derzeit nicht empfohlen, da in Studien kaum ein positiver Effekt gegenüber keiner oder einer Scheintherapie gefunden wurde:

  • Tinnitus-Noiser erzeugen ein leises Rauschen, das die Patienten von ihrem Tinnitus ablenken soll.
  • Tinnitus-Masker erzeugen Geräusche, die den Tinnitus übertönen sollen, so dass dieser nicht mehr wahrgenommen wird. Auch Tinnitus-Maskerwerdennach der neuen Leitlinie nicht mehr empfohlen und lediglich in Einzelfällen in eine Verhaltenstherapie eingebettet.
  • Medikamente und Nahrungsergänzungsmittel(beispielsweise Ginkgo-Präparate der Betahistin).
  • Gleiches gilt für Akkupunktur. Allerdings kann Akkupunktur Begleiterscheinungen wie Schmerzen und Verspannungen lindern.
  • Bei der Tiefenhirnstimulation muss noch die Auswertung der laufenden Studien abgewartet werden. Derzeit besteht noch keine grundsätzliche Empfehlung

Begleiterkrankungen behandeln

Ein wichtiger Baustein der Tinnitus-Therapie ist, Begleiterkrankungen oder mitursächliche Erkrankungen wie Depression, Angststörung, psychosomatische oder zentralnervöse Krankheiten zu behandeln. Sind Medikamentennebenwirkungen für den Tinnitus verantwortlich, müssen diese – sofern möglich - ausgetauscht oder die Dosierung geändert werden.

Behandlungschancen bei chronischem Tinnitus

"Eine pauschale Prognose über den Tinnitusverlauf und die Heilungschancen abzugeben, ist nicht möglich. Dafür sind die Ursachen und Störungsmechanismen zu komplex und noch zu unbekannt. Aus 30 Jahren HNO-Erfahrung kann ich aber feststellen, dass bei der überwiegenden Zahl der Betroffenen der Tinnitus über die Zeit deutlich an Aggressivität verliert und ein gutes Leben auch mit Ohrgeräusch möglich ist. Die Welt um uns herum ist ja auch voller Geräusche."

Dr. Thomas Meier-Lenschow, HNO-Arzt

Bleiben Sie gesund wünschen Dr. Thomas Meier-Lenschow und "Wir in Bayern"!


46