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Das Biwak in der Watzmann-Ostwand Biwackschachtel mit Brotzeitbank in 2380 Meter Höhe

Nicht oft steht ein Biwak derart eng in Verbindung mit Triumph und Tragödie am Berg. Mehr als hundert Menschen sind in der Watzmann-Ostwand schon ums Leben gekommen. Andere haben nur überlebt, weil es in 2384 Meter Höhe eine Biwakschachtel gibt.

Von: Sebastian Nachbar

Stand: 11.08.2022 | Archiv

Biwak: Watzmann-Ostwand  | Bild: Wikimedia Commons

Es ist nicht mehr als eine Blechkiste, die den Unterschied macht zwischen Leben und Tod. In leuchtendem Orange steht sie da, kaum größer als ein Zelt, direkt unter einem Überhang. Mit dünnen Füßen aus Metall krallt sie sich in die Felsen. Die Luke geht nach oben auf. Kopfüber kriecht man hinein wie durch eine Katzenklappe. Woanders wäre das ein menschenunwürdiger Zwinger – hier ist es ein hochalpines „Fünfsternehotel“ – zumindest für alle, die in Bergnot sind.

1800 Meter Fels sind in der Watzmann-Ostwand zu bewältigen

2003 wurde die Biwakschachtel in der Watzmann-Ostwand aufgestellt von der Bergwacht als Unterschlupf in dieser riesigen Wand. Vom Standort der Biwakschachtel schießen Felsbänder, Kamine und Rinnen in alle Richtungen: senkrecht, schroff, brüchig. Die Notunterkunft ist ein winziger Punkt, der Wind und Wetter trotzt. Nicht oft klafft das Größenverhältnis zwischen Mensch und Berg dermaßen weit auseinander wie hier. Und nicht oft steht ein Biwak derart eng in Verbindung mit der Geschichte des Bergsteigens, mit Schicksal und Tragödie. Wer die höchste Felswand der Ostalpen durchsteigt, kommt hier vorbei. Deshalb ist das Watzmann-Ostwand-Biwak nicht nur Rettungskapsel, sondern auch Erzählgefäß. Eine Blechkiste, die eigentlich eine Geschichten-Sammlung sein müsste - Kronzeugin in einer Watzmann-Doku.

Ein Buch über das Unfall- und Rettungsgeschehen in der Ostwand gibt es ja schon: „2000 Meter Fels“ heißt es. Darin kann man zum Beispiel die Geschichte von zwei Kletterern aus dem Raum Ulm nachlesen: Im November 2013 steigen sie in die Wand ein. Das Wetter ist am Anfang noch gut. Die beiden erreichen bis zum Abend die Biwakschachtel auf 2384 Metern Höhe. In der Nacht schlägt das Wetter um, es schneit. Die beiden sitzen in der Falle. Aber sie können einen Notruf absetzen. Im letzten Moment, bevor der Schneesturm das Fliegen unmöglich macht, werden sie per Hubschrauber gerettet. Danach stürmt und schneit es den ganzen Tag.

Blick auf den Königssee, der zuvor mit dem Boot überquert wurde

Eine Klettertour durch die Watzmann-Ostwand ist ein Gesamterlebnis: Bootsfahrt über den Königssee, die Eiskapelle, die tolle Kletterei, das Läuten der Glocke am Gipfelkreuz der Watzmann-Südspitze, das traditionell den Begehern der Ostwand vorbehalten ist. Obwohl das alles ein wirklich erhebendes Erlebnis ist, würde ich keinem eine Nacht im Watzmann-Ostwand-Biwak empfehlen, sondern eher abraten. Wer die Biwakschachtel braucht, hat Mist gebaut, ist in die Wand eingestiegen, obwohl schlechtes Wetter angekündigt war. Oder, noch schlimmer, hat sich überschätzt und ist körperlich und mental am Ende. So gesehen ist die Biwak in der Watzmann-Ostwand eher eine Ermahnung in dunkel-orange. Okay, bitteschön, kommt rein und wärmt euch auf – ruft sie einem entgegen. Ich kann euch ja schlecht da draußen erfrieren lassen. Diesmal kommt ihr noch davon. Aber lasst es euch eine Lehre sein!

Wer das Gefühl des Watzmann-Ostwand-Biwaks einmal hautnah erleben möchte, kann das tun - und zwar auch ohne Begehung der 1800 Meter hohen Wand. Denn die alte Biwakschachtel aus den 1950er-Jahren steht mittlerweile im Tal - im Haus der Berge in Berchtesgaden. Wer will, kann in diese blecherne Sardinenbüchse einfach reinschlüpfen.

Notfall-Stützpunkt für Kletterer in der Laliderer Nordwand | Bild: BR; Kilian Neuwert zum Thema Biwakschachteln in den Alpen Zufluchtsort in großer Höhe

In unserer Serie stellen wir jeden Samstag Biwakschachteln in den Alpen vor. Sie ist klein, nur minimalistisch ausgestattet und steht meist an sehr entlegenen Orten – die Biwakschachtel. [mehr]


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