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Biwakschachtel in einer wilden Ecke der Westalpen Das Refuge Durier im Montblanc-Massiv

In unserer Rucksackradio-Sommerserie über Biwakschachteln in den Alpen nehmen wir Sie jetzt mit ins Montblanc-Massiv. Am Fuß der Aiguille de Bionnassay steht kaum größer als ein Schiffscontainer an einer strategisch wichtigen Stelle das Refuge Durier - eine Biwakschachtel mit Hüttenkomfort.

Von: Kilian Neuwert

Stand: 20.08.2022 | Archiv

Biwakschachtel in einer wilden Ecke der Westalpen | Bild: BR; Kilian Neuwert

Die Steigeisen seiner Kundin sind stumpf vom vielen Gehen im Fels. Matthieu Berrieuse hat deshalb eine Feile ausgepackt. Der französische Bergführer sitzt auf einem Granitblock in der Sonne und arbeitet konzentriert. Morgen wird seine Kundin die Eisen brauchen: Matthieu will sie über die Aiguille de Bionnassay auf den Mont Blanc führen – eine wilde Route in einer wilden Umgebung, ganz im Gegensatz zum Normalweg, der völlig überlaufen ist.

Blick auf die Aiguille de Bionnassay. Am Fuße des Viertausenders steht das Refuge Durier.

4052 Meter hoch ist die westlich des Mont Blanc gelegene Aiguille de Bionnassay. Erst sie und dann den Mont Blanc zu überschreiten, ist ein Traum vieler Bergsteiger. für diese ernste Hochtour in Fels und Eis müssen nicht nur die Bedingungen perfekt stimmen, auch die Kunden müssen einiges an alpiner Erfahrung und Kondition mitbringen. Der strategisch wichtige Stützpunkt für die Tour ist das Refuge Durier. Zwar trägt es stolz den Namen „Hütte“, genau genommen ist es aber nur eine Biwakschachtel. Matthieu schiebt die Sonnenbrille ins Haar und deutet auf das Gebäude, das nur wenige Meter entfernt steht. Es erinnert an einen Schiffscontainer mit silbern glänzenden Blechwänden und Solarzellen auf dem Dach, angespült auf fast 3400 Meter Höhe. Ohne diesen Stützpunkt hätte man keine Chance, hier zwei Überschreitungen zu verbinden, erklärt Matthieu, also zunächst die Dômes de Miage zu überschreiten und dann die Aiguille de Bionnassay.

Das Plumpsklo ist direkt an eine Abbruchkante gebaut.

Das Refuge ist im wahrsten Sinne des Wortes eine - gut geführte - Hütte geblieben. Sie steht mitten in einer zugigen Scharte. Felsdurchsetzte Flanken fallen von dort ab. Zur einen Seite steilen die Schneefelder des Grates der Aiguille de Bionnassay auf, zur anderen Seite hin bilden übereinandergeschichtete Granitplatten den fragilen Grat der Dômes de Miage. Aus der Tiefe grinsen die Spalten zerrissener Gletscher herauf. Einen leichten Zugang gibt es nicht. Man kommt nur zu Fuß hierher, in sechs bis acht Stunden, es gibt keine Seilbahnen, und man ist ein gutes Stück weg vom Herzen des Montblanc-Massivs, weshalb sich hierher auch kaum Helikopter verirren. Es herrscht wirkliche Ruhe in den Bergen.

Blick vom Refuge Durier nach Westen: Auf den teils fragilen Grat der Dômes de Miage.

Während Matthieu wieder die Feile ansetzt, versammelt sich im Inneren der Hütte eine Handvoll Bergsteiger um einen Holztisch, der das bestimmende Möbelstück ist, Speise- und Schlafsaal in einem. Lager an den Wänden bieten 12 Bergsteigern Platz. Wirtin Manon Navillod Davoine schläft bei ihren Gästen. Nur eine Holztür schirmt ihr eigenes Lager ab. Drei Monate verbringt sie hier oben zusammen mit den Gästen. Die junge Frau nimmt die Enge mit Humor. Doch auf das Interview hat sie – anders als zuvor vereinbart – plötzlich wenig Lust. Sie bleibt freundlich, aber bestimmt: Sie will nicht als Exotin wahrgenommen werden, erklärt sie ihren Sinneswandel. Das sei es doch, was die Medien hören wollten: Eine junge Frau im Hochgebirge. Super Geschichte. Doch ihre Leidenschaft habe gelitten. Sie wolle eine andere Hütte übernehmen und warte schon länger auf eine Chance. In den drei Monaten hier oben verdiene sie ganz gut, also mache sie eben weiter mit der Routine - und das heißt: Um drei Uhr wird geweckt für die Aiguille de Bionnassay. Manon steht um 2.30 Uhr auf und legt sich dann, wenn um vier Uhr alle weg sind, noch einmal hin. Ab 9 Uhr bäckt sie Brot und kocht und gegen Mittag kommen meist schon wieder die ersten neuen Gäste.

Blick nach Italien: Das Refuge Durier liegt in wilder Umgebung.

Manon trägt in der Hütte eine Mütze. Eine Heizung gibt es nicht. Selbst im Sommer ist es kühl. Gekocht wird mit Gas, die Flaschen bringt der Helikopter. Strom kommt von den Solarzellen am Dach, Wasser gibt es nur in Plastikflaschen, zum Kochen nutzt Manon Schmelzwasser. Vor der Hütte ragt ein grob zusammengezimmertes Plumpsklo über eine Felskante. Während Bergsteiger meist nur eine Nacht auf dem Refuge Durier bleiben, ist die Hütte das zu Hause der jungen Wirtin bis die Saison im September endet. Dann fliegt Manon mit dem Gleitschirm hinab ins Tal, auch wenn der Start im Hochgebirge nicht ganz leicht ist. Dafür ist sie in einer Stunde zu Hause statt in fünf Stunden Abstieg zu Fuß.


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