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Das „Grathüttl-Biwak“ am Jubiläumsgrat Knallroter Rettungsanker in luftiger Höhe im Wetterstein

Höher hinaus geht es nicht in den Bayerischen Alpen: Der Jubiläumsgrat im Wetterstein verläuft von der Zugspitze zur Alpspitze. In der Mitte dieser acht Kilometer langen Klettertour zwischen Mittlerer und Äußerer Höllentalspitze, steht eine Biwakschachtel mit dem alten Kosenamen „Grathüttl“, denn sie befindet sich direkt auf dem Grat in 2684 Meter Höhe.

Von: Georg Bayerle

Stand: 17.09.2022 | Archiv

Knallroter Rettungsanker in luftiger Höhe im Wetterstein | Bild: BR; Georg Bayerle

Der Jubiläumsgrat erfordert stundenlanges Gehen, immer ausgesetzt, immer direkt auf dem Grat, mit ungesicherten Klettereinlagen bis zum III. Schwierigkeitsgrad. Keiner kennt den Jubiläumsgrat so gut wie Konrad Kirch.

Konrad Kirch, 17 Jahre "Hausl" am Grat

17 Jahre war er als Wegereferent der Sektion München für diese Gratschneide zuständig und begeistert von der großartigen Landschaft und dem vogelfreien Gehen sozusagen auf Messers Schneide, ohne dabei immer am Seil zu hängen, ist der „Jubigrat“ zuweilen doch ein schwebebalkengleicher Balanceakt zwischen Höllental und Reintal. Als „Hausl“ des Jubigrats hat Konrad Kirch selbst einmal den alten Klapptisch und Decken ins damalige Grathüttl geschleppt, das 2011 durch den heutigen knallroten Neubau ersetzt wurde. Wie wertvoll die Biwakschachtel sein kann, hat Konrad selbst mehrmals erfahren, als er etwa mitten auf dem Grat mit seiner Frau in ein Gewitter kam, dass ihm die Haare zu Berge standen.

Jubiläumsgrat - Vorbereitung der Tour

Jahrzehntelang betätigte sich Anselm Barth in den Nachkriegsjahrzehnten nicht nur als Hüttenwirt auf dem Münchner Haus, sondern auch als erster Bergretter, der in Not Geratene aus dem Höllental und vom Jubigrat teilweise auf den eigenen Schultern in Sicherheit brachte. Der legendäre „Engel vom Jubiläumsgrat“ vollbrachte 356 Rettungseinsätze, 54 Menschen konnten nur noch tot geborgen werden. Wie kein anderer schildert sein Sohn Hans-Jörg Barth den Jubiläumsgrat-Aspiranten, die ihn fragen, die Tour mit dem Rat: „Bleibt’s auf dem Grat, bleibt’s droben, wenn ihr auch Angst habt“, denn das Ausweichen in die steilen, brüchigen Flanken ist erst recht gefährlich. Besser ist es, gar nicht erst in diese Situation zu kommen. Der Jubiläumsgrat ist nur stellenweise mit Drahtseilen oder Eisenklammern versichert, aber er ist KEIN Klettersteig. Gleich zu Beginn wurden mehrere Kletterstellen ungesichert gelassen. Trotzdem wagen sich viel zu viele auf den Jubiläumsgrat, die dort nichts verloren haben. An die 30 Rettungen im Jahr sind normal, obwohl überall vor den Schwierigkeiten gewarnt wird und der Wetterbericht inzwischen sehr zuverlässig ist. Hans-Jörg Barth schimpft über die Vollkasko-Mentalität mancher Begeher, die eine mögliche Rettung von vorneherein einkalkulieren.

Es ist noch ein langer Weg

Wer den Jubigrat klettert, erreicht das Biwak nach drei bis vier Stunden von beiden Enden her. Mit der Einrichtung des Kletterwegs 1915 wurde auch das erste Grathüttl aufgestellt. Das Besucherbuch von damals bezeugt dramatische Erlebnisse: Ein künstlerisches Bleistift-Landschaftsgemälde etwa, das zwei Sachsen hinterlassen haben, die 1924 vier Tage im Schneesturm im Biwak ausgeharrt haben. Dem Augsburger Erich Hofmiller hat das Grathüttl mutmaßlich das Leben gerettet, als er, wie er schreibt, mit „zerfetzten Kleidern und blutenden Händen“ bei Nebel und Regen unterschlupfen konnte.

Über allen Dingen am Jubiläumsgrat

Wie sehr sich die Zeiten geändert haben, zeigt die Klage von Sepp Kümmerle, dem langjährigen Leiter des Museums Werdenfels in Partenkirchen, der von regelrechten Biwak-Happenings berichtet, per social media organsierten Übernachtungstreffen auf dem Grathüttl - und er überlegt sogar, ob man das Biwak nur mit Schlüssel benutzen können sollte. Viel einfacher wäre es, wenn sich alle an ein paar eigentlich selbstverständliche Spielregeln halten würden. Vor allem mit dem Klettersteigboom der vergangenen beiden Jahrzehnte kann das Grathüttl auch eine Geschichte der Selbstüberschätzung und Dummheit erzählen. Zusperren freilich kann man es deshalb natürlich nicht. Zugesperrt wegen des Umbaus ist derzeit das Alpine Museum auf der Münchner Praterinsel. Dort aber steht das alte Grathüttl im Garten - für alle, die nach der Wiedereröffnung mal reinschnuppern wollen, ganz ohne Gefahr.


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