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Biwaks in den Alpen Schachtel in letzter Not

Sie leuchten rot, glänzen silbrig-grau oder sehen aus wie Mondlandefähren: Biwakschachteln trotzen Wind und Wetter und bieten Schutz bei Notfällen am Berg. Auch wenn sie prinzipiell allen offenstehen, sind sie für eine Sache überhaupt nicht gedacht.

Von: Sebastian Nachbar

Stand: 02.07.2022

Das hölzerne Wildalmkirchl-Biwak Blick auf 2.457 Meter Höhe im Steinernen Meer | Bild: picture-alliance/dpa

Januar 2018. Ein 44 Jahre alter Mann aus dem Landkreis Traunstein startet auf Schneeschuhtour. Sein Ziel: Das Prax-Biwak in den Loferer Steinbergen auf rund 1800 Metern Höhe. Die App auf seinem Handy meldet gutes Wetter – und lockt den Mann damit in eine Falle. Denn als er am nächsten Tag absteigen will, tobt ein Schneesturm. Der Mann reagiert richtig: Er bleibt, wo er ist. Er schmilzt Schnee, kocht Tee und verschiebt seinen Abstieg auf den nächsten Tag. Dann, als Wetter und Lawinengefahr nicht besser werden, auf den übernächsten, den überübernächsten, und so weiter. Das Ziel seiner Tour ist gleichzeitig seine Rettung: Die Biwakschachtel. Ohne sie würde der Mann bald erfrieren.

Schutz auf langen, alpinen Klettertouren

Ein Mann und eine Frau in der Biwakhütte Bivacco del Baus, Provinz Cuneo, Region Piemont

Biwakschachteln. Diese kleinen Behausungen aus Holz, Plastik oder Wellblech krallen sich an die exponiertesten und abgelegensten Orte am Berg. Sie sind manchmal Rettung in letzter Not. Entstanden sind sie an Orten, an denen Kletterinnen und Kletterer Schutz brauchen, wenn sie lange alpine Touren unternehmen. Biwakschachteln sind entstanden zu einer Zeit, als die Ausrüstung schwerer, der Wetterbericht schlechter und die Rettung am Berg schwieriger war. „Früher sind Klettertouren nicht an einem Tag gemacht worden, sondern sind einfach länger gegangen. Und wenn jemand in die Nacht reinkäme beim Abstieg, dann ist es besser, wenn man ein Biwak hat“, sagt Hanspeter Mair, Geschäftsbereichsleiter Alpine Raumordnung und beim Deutschen Alpenverein zuständig für das Ressort Hütten und Wege. Er spricht zum Beispiel das Lalidererspitzen-Biwak im Karwendelgebirge an. Wenn Seilschaften dort aus der bis zu 800 Meter hohen Laliderer-Nordwand aussteigen, geht oft bereits die Sonne unter. Um dann nicht im Dunkeln den ganzen Abstieg machen zu müssen, wurde die Biwakschachtel gebaut.

Entstanden sind die ersten Biwakschachteln ab 1900, als es langsam losgeht mit langen, alpinen Klettertouren. Oft sind es damals lokale Freiwillige, meist selbst Bergsteiger, die eine Notunterkunft an „ihrem“ Berg aufstellen. Die erste Biwakschachtel am Jubiläumsgrat etwa, zwischen Zugspitze und Alpspitze, stammt aus dem Jahr 1915, das Solvaybiwak am Matterhorn aus dem Jahr 1917. Weitere bekannte Biwakschachteln sind das Vallot-Biwak am Mont Blanc, das Glocknerbiwak oder das Watzmann-Ostwand-Biwak. An den Namen dieser Gipfel merkt man schon: Biwakschachteln stehen gern an großen Bergen. Sie sind Zeitzeugen der Kletter-Geschichte. Und fürs alpine Bergsteigen sind sie auch gedacht, nicht als Ausflugsziel für romantische Nächte. „Biwakschachteln sind vorgesehen für diejenigen, die Schutz suchen. Nicht für diejenigen, die sich einen schönen Abend machen wollen.“

Kein Ausflugsziel für romantische Nächte

Steinbock (Capra ibex) schaut zur Biwakhütte Bivacco del Baus, hinten der Monte Gelas, Provinz Cuneo, Piemont

Zumindest in den Biwaks, die der DAV in Bayern, Tirol und Kärnten betreut, funktioniert das nach Angaben von Mair bislang gut. In einzelnen Biwaks vom Österreichischen Alpenverein, ÖAV, allerdings gab es während der Pandemie Probleme, als so manche Biwakschachtel gerne mal für Partys zweckentfremdet wurde, vor allem an Sonnwend oder Silvester. Beim ÖAV weiß man von angezündetem Inventar, größeren Mengen leerer Flaschen und Müll, der zurückgelassen wird. Solche Aktionen zerstören den Geist des Biwakierens für diejenigen, die sorgsam damit umgehen, sagt Mair: „Ich würde mir wünschen und richte da einen Appell an die Community, die Biwaks doch für diejenigen offen zu halten, die ernsthafte Touren machen.“

Noch ein anderer Gedanke drängt sich auf: Wenn das Niveau im Klettern weiter steigt, die Leute immer mehr im Camper auf dem Parkplatz schlafen und es noch mehr Usus wird, selbst die längsten Touren an einem Tag durchzuziehen, wozu braucht es dann überhaupt noch Biwaks? Hanspeter Mair glaubt nicht, dass Notunterkünfte irgendwann überflüssig werden: „Es mag durchaus sein, dass die Ausrüstung leichter, dass das Klettern schneller passiert. Aber es gibt halt immer noch Allrounder, die das in einer Normalzeit durchführen. Und dann froh sind, wenn sie eine Biwakschachteln haben.“

Biwak so verlassen, wie es vorgefunden wurde

Für alle, die in einer Biwakschachtel übernachten müssen, gilt: Das Biwak ist mindestens genauso sauber zu verlassen, wie es vorgefunden wurde. Müll muss wieder mitgenommen werden. Fenster und Türen müssen gut verschlossen werden. Hinterlassenschaften werden vergraben oder mit Steinen bedeckt. Zu Hause wird die Übernachtungsgebühr überwiesen.

Der Schneeschuhgeher, der im Januar 2018 auf dem Prax-Biwak in den Loferer Steinbergen festsaß, hat dort zehn Tage lang ausgeharrt. Davon sechs Tage ohne Essen. Als er erkannt hat, dass sich die Lawinenlage nicht so bald entspannen würde, hat er den Notruf gewählt und wurde per Hubschrauber ins Tal geholt.


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