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Serie "Love" Komödienpapst Judd Apatow steigt auf Netflix um

Ja, die Oscars waren: zu weiß und zu wenig auf der Höhe der Zeit. Die wirklich wichtigen Gesellschaftsthemen werden derzeit in Serien verhandelt. Nun ist mit Judd Apatow einer der erfolgreichsten Regisseure zu Netflix übergelaufen.

Von: Michael Bartle (Text) und Anne Philippi (Interview)

Stand: 29.02.2016

Komödienpapst Judd Apatow (2009) | Bild: picture-alliance/dpa

Eine Tankstelle ist vermutlich der einzig logische Platz in Los Angeles, an dem sich die beiden Mittdreißiger Mickey und Gus zum ersten Mal begegnen können. In LA findet das halbe Leben im Auto statt. Mickey und Gus haben beide gerade Beziehungen verkackt, beide sind gefangen in Jobs, die sie nicht ganz fordern. Gus ist an einem Filmset Lehrer für unverschämt reiche und verzogene schulpflichtige Seriendarsteller. Der Nerd sieht aus wie eine 2016er Version des jungen Woody Allen und träumt davon, selbst als Drehbuchautor entdeckt zu werden. Mickey arbeitet als Producerin für eine Radio-Talksendung, was ganz okay wäre, wenn der Star und Moderator der Sendung ihr nicht andauernd an die Wäsche wollte. Würden die beiden in eine Schweiger/Ulmen/Schweighöfer-Komödie zwangsentführt, sie müssten wohl permanent drittklassige Unterwäsche-Witze reißen. Aber Mickey und Gus sind von Glück geküsst – sie sind Figuren von Judd Apatow.

"Mir gefällt es, dass die beiden etwas älter sind. Und dass sie Jobs haben. Warum funkt es bei den beiden? Was hält sie zusammen und was treibt sie wieder auseinander? Mit was müssen sie umgehen lernen, wenn sie eine Beziehung eingehen? Die emotionalen Herausforderungen einer Beziehung – das zeigen wir in ‚Love‘ so heftig, dass man es gerade noch ertragen kann. Und es geht um einen bestimmten Moment im Leben, an dem du herausfinden musst, wer du eigentlich genau bist und wohin die Reise gehen soll. Sie wissen sehr genau, wo sie stehen – und sie sind ziemlich einsam."

Judd Apatow

Judd Apatow sitzt in einem Landhotel in Pasadena, die Luft ist schlecht, die Iphones und Mikrofone auf dem Tisch versuchen alle, den einen irren, abgefahrenen, gerne auch vulgären Satz von ihm einzufangen. Denn Judd Apatow ist seit längerer Zeit einer der erfolgreichsten Typen Hollywoods. „Triff Judd Apatow, wenn du in Hollywood was werden willst“, ist der knappe Ratschlag von Comedian und Schauspielerin Amy Schumer. Apatow hat als Regisseur selbst Box Office Hits gelandet wie „Brautalarm“ oder „This Is 40“, die alles in einem waren: schweinslustig, vulgär, lebensklug, absoluter Mainstream und trotzdem fantastisch gut geschrieben. Apatow hat aber auch James Franco, Seth Rogan und Adam Sandler entdeckt oder gefördert und ist Lena Dunham als Produzent bei „Girls“ zur Seite gestanden. Die zehnteilige Serie „Love“ ist seine erste Arbeit für Netflix.

"Das Schöne an Netflix ist: Sie heuern Leute an, denen sie vertrauen. Und sie lassen dich erstmal eine ganze Staffel machen. Wenn es dann nicht passt, dann lassen sie dich halt keine Zweite machen. Aber sie grätschen dir nicht permanent dazwischen oder nerven dich in jeder Sekunde des Produktionsprozesses – so wie andere Sender das immer tun. Wenn du dich mit Menschen einlässt, die keine Ahnung haben, was du da eigentlich tust, die deine Sprache nicht verstehen, dann wird es immer einen aus der Entscheider-Riege geben, der dich mit allen Mitteln bekämpfen will. Man braucht die richtigen Partner, sonst gibt es jahrelang Krieg."

Judd Apatow

Apatow ist nichts heilig

Gus, die Hauptfigur der neuen Netflix-Serie „Love“ ist ein Nerd wie sein Schöpfer. Judd Apatow, 48, große Nase, angegrauter Vollbart Marke Erdkundelehrer, pfeift auf den koksbefeuerten Glamour und den überkandidelten Neureichen-Chic Hollywoods. Wie Quentin Tarantino oder Manuel Neuer war er erstmal Fan, bevor er selbst ein Star wurde. Als Kind nimmt er mit einem schrottigen Kassettenrekorder Saturday Night Life auf und tippte jeden Gag ab. Als Zwölfjähriger schreibt er Drohbriefe an Steve Martin, er werde die Paparazzi auf ihn hetzen, wenn er ihm kein Autogramm schickt. Apatow ist nichts heilig – aber als Autor nimmt er seine Figuren ziemlich ernst.

Bis auf wenige Ausnahmen ist auch Apatows Personal ziemlich fixiert auf die Bedürfnisse der männlichen Mittelklasse und fast ausschließlich weiß. Für diesen Persilschein hat Apatow schon ganz schön auf die Fresse bekommen. Seine Filme seien manchmal sexistisch. Frauen würden in seinen leicht weirden „Coming Of Age“-Klamotten als hysterisch und mit Haaren auf den Zähnen dargestellt. Apatow hat mit zunehmendem Alter offenbar selbst die Schnauze voll von dieser Art Filme. Schon „This Is 40“ hatte mit dem Krisengebiet Midlife Crisis eine andere Zielgruppe und die Netflix Serie „Love“ dreht sich fast schon zu differenziert und im Schneckentempo um Großstadtmenschen, die mit über 30 immer noch nicht ihren Platz im Leben gefunden haben.

Apatow hat genug vom Klischee

"Es sieht so aus, als würde es mich langsam zu Themen hinziehen, die mich wirklich interessieren. Ich hab so viel gemacht über junge Menschen, über Highschool, College, das erste Kind, aber langsam krabbel ich nach vorne. Ich bin wohl an dem Punkt, an dem nur noch sehr erwachsene Schauspieler meine Rollen ausfüllen können (Gelächter). Eigentlich fühlt sich sogar „Love“ so an, als wäre ich schon zu alt dafür."

Judd Apatow

Apatow wird das große Strukturproblem Hollywoods nicht lösen, das mehrheitlich heterosexuelle, überwiegend männliche und vor allem kolonial weiße Blicke auf die Welt exportiert. Aber sein Schritt raus aus dem System zum neuen Player Netflix zeigt: Hollywood hat nicht nur ein strukturelles und ein moralisches Problem. Das größere dramaturgische Potential ist bis auf weiteres auf dem Serienmarkt zu finden.


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