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Psycho-Onkologie Krebs seelisch gut überstehen

Eine Krebsdiagnose ist ein fundamentaler Einschnitt im Leben eines Menschen. Auch die psychischen Auswirkungen sind enorm - für Betroffene und Angehörige. Helfen kann die Psycho-Onkologie.

Stand: 19.10.2021 |Bildnachweis

Zuspruch für einen Krebspatienten durch eine Mitarbeiterin einer klinischen Einrichtung | Bild: picture-alliance/dpa

Eine Krebsdiagnose ist ein fundamentaler Einschnitt im Leben eines Menschen. Alles ändert sich - von einem Tag auf den anderen. Selbstverständlich hat das auch Auswirkungen auf die Seele eines Menschen. Und es muss ein Weg gefunden werden, mit der Krankheit umzugehen.

Expertin:

Dr. Pia Heußner, leitende Oberärztin Psycho-Onkologie am Klinikum Garmisch-Partenkirchen, Standort Murnau

Manchen Patienten hilft dabei positives Denken, andere brauchen eher Ablenkung. Zudem müssen Ängste bewältigt werden – vor Schmerzen, vor Hilflosigkeit, vor dem Tod. Und auch die Angehörigen und das medizinische Personal sind immensen Belastungen ausgesetzt: Sie wollen einerseits gerne helfen und brauchen andererseits mitunter selbst Unterstützung. In allen diesen Punkten Hilfestellung zu geben, ist Aufgabe der Psycho-Onkologie - eine große Herausforderung, gerade in Zeiten chronisch knapper Kassen.

Dem Text liegt ein Gespräch mit Dr. Pia Heußner zugrunde, leitende Oberärztin Psycho-Onkologie am Klinikum Garmisch-Partenkirchen, Standort Murnau.

Betroffene können sich direkt an den Verein Lebensmut e.V. wenden.

Der Schock der unerwarteten Krebsdiagnose steckt vielen Betroffenen lange in den Knochen. Wie geht man damit um? Hilft allein positives Denken? Die Psycho-Onkologie befasst sich mit den emotionalen Belastungen von Patienten und Angehörigen, wenn sie mit einer Krebserkrankung konfrontiert sind.

Mit dem Schock der Diagnose umgehen

Am Anfang jeder Krebserkrankung steht für die Betroffenen der Schock der unerwarteten Diagnose. „Daraus entsteht für die meisten Patienten ein Katastrophenszenario. Die Welt wird von heute auf morgen komplett auf den Kopf gestellt, ähnlich wie nach einem schweren Unfall“, sagt Dr. Pia Heußner, Psycho-Onkologin und Oberärztin am Klinikum Großhadern in München. Wie der Einzelne dann mit dieser emotionalen Herausforderung umgeht, hängt von verschiedenen Faktoren ab: Einerseits von den Persönlichkeitsmerkmalen des Betroffenen, andererseits davon, ob ein funktionierendes soziales Umfeld da ist. Jemand, der schon immer sehr lösungsorientiert und pragmatisch war, geht mit der Herausforderung anders um als jemand, der immer schon am Leben gezweifelt hat.

Die geeignete Bewältigungsstrategie finden

Wenn die individuellen Krankheitsbedingungen geklärt sind, muss eine persönliche Bewältigungsstrategie gefunden werden. Den Prozess der Krankheitsbewältigung nennt man in der Fachsprache „Coping“. Zunächst ist es dabei wichtig, die Krebserkrankung nicht mehr als unabwendbare Katastrophe wahrzunehmen, sondern als Herausforderung, die bewältigt werden kann. Der Weg dorthin kann individuell sehr verschieden sein: Dem einen Patienten hilft es, jede Information über seine Erkrankung zu sammeln, die er bekommen kann. Für andere ist viel Ablenkung, etwa durch körperliche Aktivität oder leichten Sport, Musik oder Freunde, hilfreicher.

Flexibel bleiben

In verschiedenen Phasen einer Krebserkrankung können unterschiedliche Bewältigungsstrategien richtig sein. Unsichere Prognosen oder Rückfälle können die Lage drastisch verändern.

"Viele Patienten kommen mit ihrer persönlichen Coping-Strategie sehr gut zurecht, bis sich die Situation durch ein bestimmtes Ereignis plötzlich völlig anders darstellt. Dabei spielt nicht unbedingt eine Rolle, ob das jeweilige Ereignis vorhersehbar war oder nicht."

Dr. Pia Heußner

„Positives Denken“ hilft nicht jedem

Ein häufiges Stichwort bei der Bewältigung einer Krebserkrankung ist das sogenannte „Positive Denken“. Gerne wird eine solche Haltung von hilflosen Angehörigen oder Freunden gegenüber dem Patienten eingefordert. Aber: Das ist nicht für jeden der richtige Weg.

"Wenn Angehörige zu vehement positives Denken einfordern, kann das beim Betroffenen sogar Versagens- oder Schuldgefühle auslösen."

Dr. Pia Heußner

Gefühle zulassen?

Auch das Zulassen von Angst und Verzweiflung, manchmal aber auch das Nicht-Wahrhaben-Wollen der Erkrankung kann in einzelnen Phasen wichtig und hilfreich sein. Allerdings darf das Verleugnen der Krankheit nie so weit gehen, dass die Therapie behindert wird oder abhängige Personen, wie z.B. Kinder dadurch in Gefahr geraten.

Grundsätzlich gilt: Wenn jemand positiv denken kann, kann das gut für ihn sein. Aber dafür, dass positives Denken den Krankheitsverlauf günstig beeinflusst, gibt es keine wissenschaftlichen Beweise.

Lebensqualität als Krebskranker

Entgegen einer weitverbreiteten Ansicht ist die Lebensqualität von Krebspatienten durchaus nicht in jeder Phase schlecht. Grundsätzlich beeinflussen fünf Hauptfaktoren die Lebensqualität:

  • Körperliche Verfassung
  • Seelisches Befinden
  • Das soziale Gefüge, in das jemand eingebettet ist
  • Die gesellschaftlichen und familiären Rollenfunktionen, die jemand einnimmt
  • Spiritualität

Je nach Persönlichkeit des Patienten und Situation sind die einzelnen Faktoren von unterschiedlicher Gewichtung. Auch Betroffene, die körperlich in einem sehr schlechten Zustand sind, können ihre Lebensqualität als relativ gut empfinden, und hingegen physisch fitte Erkrankte in einer spirituellen Krise als sehr schlecht. Zur Erhaltung der Lebensqualität tragen auch eine möglichst schonende, nebenwirkungsarme Behandlung und ein respektvoller, selbstwertstützender Umgang mit dem Patienten bei.

Es gibt keine „Krebspersönlichkeit“

Was für die Bewältigung einer Krebserkrankung gilt, gilt auch für ihre Entstehung: Dafür, dass bestimmte Charakterzüge Einfluss auf die Bildung von Tumoren hätten, gibt es keine wissenschaftlich eindeutigen Belege. Das bedeutet: Die in den vergangenen Jahrzehnten so gerne beschworene "Krebspersönlichkeit", die für den Ausbruch der Krankheit verantwortlich sein soll, gibt es nicht!