Eine bessere Lage hätte Kálmán Hécz für sein Geschäft kaum finden können: Direkt am malerischen, weitläufigen Hauptplatz von Györ mit seiner Benediktinerkirche und der Mariensäule:
"Ich betreibe hier ein Weinrestaurant. Und abends, nach acht, neun Uhr, kommen viele hierher. Meistens unter der Woche. In der Fabrik arbeiten etwa 11.500 Leute. Es gibt viele Chefs, gut verdienende Leute, die sich hier, in der Innenstadt, ein Glas Wein leisten können. Oder in ein gutes Restaurant essen gehen. Also, die Stadt profitiert davon."
Audi wichtiger Arbeitgeber
Györ mit seinen rund 130.000 Einwohnern und Audi mit seinen über 11.600 Mitarbeitern bilden seit bald 25 Jahren eine enge Symbiose, seit der Entscheidung des Ingolstädter Konzerns, in der verkehrsgünstig gelegenen Stadt im Nordwesten Ungarns ein großes Motoren- und Automobilwerk hochzuziehen. Zulieferer, Dienstleistungsunternehmen, Gastronomie, die Stadt und Region: Wenn Audi aktuelle Sorgen hat, wie mit der Abgasaffäre, stehen die allermeisten Einwohner auf der Seite von Audi. Kálmán Hécz:
"Ich habe darüber in den Zeitungen gelesen. Dann habe ich gehört, dass eine Schicht ausgefallen sei. Leute haben weniger gearbeitet. Aber dann, soweit ich weiß, geht mit der geplanten Produktion des Q3 alles wieder wie vorher. Ich denke, es wird künstlich aufgebauscht. Ich habe auch ein deutsches Auto. Etwas Besseres als deutsche Wagen kenne ich nicht. Hinter allem steht nur amerikanischer Neid, nichts anders."
Genauso denkt auch der Chef der Industrie- und Handelskammer von Györ, Imre Pinter-Pentek. Das Ganze hätten die US-Behörden betrieben, um den deutschen Automobilunternehmen im Allgemeinen und Audi sowie der Volkswagen-Gruppe im Besonderen zu schaden:
"Die Kreise, mit denen ich in Kontakt bin, denken, dass es um einen wirtschaftlichen Kampf zwischen Amerika und Europa geht. Die ganze Welt nutzt das aus. Niemand hat ein Interesse daran, dass die Volkswagen-Gruppe Schaden nimmt. Ich bin sicher, dass diese Geschichte in unserer Region keine größeren Auswirkungen hat."
Man merke der Stadt an, dass die Präsenz des Autokonzerns das Verhalten der regionalen Unternehmer verändert habe, glaubt der IHK-Chef von Györ erkannt zu haben. Imre Pinter-Pentek:
"Die Qualitätserwartung von Audi bemerkt man nicht nur bei den Lieferanten, sondern in der ganzen Stadt, beim Frisör, im Restaurant, im Hotel: Die Haltung von Audi hat die ganze Stadt geprägt."
Menschen sorgen sich
Die Kaufkraft der Bevölkerung habe zugenommen, allerdings, so IHK-Chef Pinter-Pentek: Sehr viele Einwohner von Györ und der Region würden zum Einkaufen in die drei benachbarten Hauptstädte fahren, die alle nahezu gleich weit von der Audi-Stadt entfernt liegen: Wien, Budapest und Bratislava. Györ sei sehr von Audi abhängig, gibt die Lehrerin Adrienn Végh zu bedenken:
"Meiner Meinung nach, es ist toll, solange sie hier sind. Sie schaffen sehr viele Arbeitsplätze. Ich mache mir Sorgen, was passieren wird, falls sie gehen. Wir kennen diese Multis: Sie packen alles in zwei Wochen zusammen und sie sind weg, dorthin, wo es billige Arbeitskräfte gibt. Deswegen sorge ich mich. Denn hier, in Györ, arbeitet fast jeder Dritte für Audi. Es gibt finanzielle Zulagen für die Arbeiter. Sowas ist bei ungarischen Firmen nicht üblich. Aber die Arbeit ist deutlich mehr."
Über 30 Millionen Motoren und eine Million Autos haben die Werkhallen von Audi Ungarn seit 1993 verlassen, ab dem nächsten Jahr sollen in Györ Elektromotoren für den Audi-Konzern gebaut werden. Für die Regierung von Ministerpräsident Viktor Orban handele es sich um eine "strategische Partnerschaft", wie Orbans Sprecher Zoltan Kovacs formuliert. Gegenüber dem ARD-Studio Wien betont Kovacs mit Blick auf mögliche Auswirkungen der Abgasaffäre auf Ungarn:
"Alles, was mit der deutschen Industrie geschieht, einschließlich der Automobil-Hersteller, hat eine Wirkung auf uns."
Lange dürfe sich aber die Abgasaffäre nicht mehr hinziehen, mahnt Regierungssprecher Kovacs abschließend; obgleich bislang negative Auswirkungen auf Ungarn nicht zu erkennen seien:
"Wir glauben fest daran, dass die Bundesregierung und die deutsche Autoindustrie das so schnell wie möglich ausräumen werden."
ARD Studio Südosteuropa