Der Oberhof im Ultental Südtiroler Bergbauernhöfe zwischen Tradition und Moderne
Zum Abschluss unserer Serie über „Südtiroler Bergbauernhöfe zwischen Tradition und Moderne“ blicken wir noch einmal ins Ultental, zum Oberhof. Der Hof aus dem 13. Jahrhundert liegt eine halbe Wegstunde von St. Gertraud entfernt in knapp 1600 Metern Höhe. Bewirtschaftet wird er von zwei Brüdern. Sie würden, so hieß es, den Hof wie vor hundert Jahren ohne Maschinen bewirtschaften, außerdem sei es „ein Hof ohne Frau und Balkon“. Das wollten wir genauer wissen und sind beim Blick hinter die Fassade auf eine berührende Lebensgeschichte gestoßen.
Beim Aufstieg von St. Gertraud zum Oberhof, auf dem Wanderweg hinauf zum Weißbrunnstausee, der direkt am Hof vorbeiführt, ist schon bald zu sehen: Am Wohnhaus fehlt südseitig der Balkon, das „Gländer“, wie man hier sagt. Es ist dem Lawinenwinter 1986 zum Opfer gefallen. Nur die Stützen ragen ins Leere. Trotzdem wirkt der Oberhof erhaben. Seit 1680 ist er ein Erbhof, sagt Luis Schwienbacher nicht ohne Stolz.
Ein Hof, zwei Brüder. Eigentlich drei, doch Sepp, der älteste Bruder ist Pfarrer in Partschins. Der jüngste, Wascht, noch auf der Tufer Alm beim Vieh, und Luis, der mittlere, Jahrgang 1954, allein am Hof. Mit der Sense mäht er gerade einen steilen Wiesenfleck. Natürlich haben sie mittlerweile auch einen Motormäher und auch eine Motorsäge für die Holzarbeit, aber der Luis setzt auf eine gewisse Entschleunigung und, wo möglich, auf Handarbeit. „Die Maschine treibt den Menschen“, resümiert Luis Schwienbacher, das führt zu Stress und ist nicht gut.
Bis vor kurzem waren Helfer vom Verein für freiwillige Arbeitseinsätze auf dem Oberhof tätig, darunter einen erfahrenen Bauern aus Nordtirol, der - Jahrgang 1936 – die schwere Arbeit aber nicht mehr machen kann und aufgehört hat. Mit den anderen Helfern war Luis nicht zufrieden, da sie sich die Mitarbeit eher als romantischen Bergurlaub vorgestellt haben und oft auch falsche Erwartungen hatten, zum Beispiel, dass man jeden Tag mittags auf Kosten des Hofbesitzers ins Gasthaus gehen kann.
Als der Großvater von Luis Schwienbacher 1903 den Oberhof übernommen hat, lagen 10.500 Gulden Schulden auf dem Hof. Ein Gulden war eine Meistertagschicht eines Schneiders oder Schusters. Ein Kilo Butter oder ein Kilo Honig haben damals auch einen Gulden gekostet. Urgroßvater und Großvater haben sich die Schulden geteilt und getilgt, dank reichem Waldbesitz drüben auf der Fiechter Seite mit Fichte, Lärche und Zirbe.
Zur Zeit des Vaters gab es noch einen Knecht am Oberhof. In den 1950er-Jahren haben angedingte Knechte im Jahr von Lichtmeß auf Lichtmeß 18.000 Lire im Monat verdient, die Verpflegung am Hof war fei und auch die Wäsche wurden ihnen gemacht. Viele Mädchen und Buben kamen auch aus Bagni di Rabbi übers Joch ins Ultental und haben sich hier den Sommer über verdingt, ähnlich den Schwabenkindern in Nordtirol.
Matthias Schwienbacher, der Vater der drei Brüder, ist schon 1962 an Magen- und Leberkrebs verstorben. Die drei Buben waren damals 6, 9 und 11 Jahre alt. Den Hof musste dann die Mutter alleine weiterführen. Vergangenes Jahr ist sie im Alter von 90 Jahren verstorben, nachdem sie einige Jahre von Luis und Wascht am Hof gepflegt worden war. Auch der Tod der Großmutter bewegt Luis immer noch, weil er ein Beispiel für die so ganz und gar nicht gute alte Zeit ist. Es begann mit einer Lungenentzündung nach schwerer Holzarbeit. Zunächst hatte sich die Großmutter wieder erholt, beim Gang auf das eiskalte Plumpsklo aber einen Rückfall erlitten – und das teure Penicillin konnte sich damals kein Ultner Bergbauer leisten.
Auch auf dem Oberhof war das Leben nie einfach, auch nicht als 1937 der Strom aus einem kleinen Wasserkraftwerk für mehrere Höfe kam und zunächst drei Glühbirnen pro Hof erhellt hat: eine in der Stube, eine in der Küche, eine im Stall. 20 Jahre später wurde dann oben im Talschluss der Weißbrunnsee aufgestaut und die Straße zum Stausee hinauf gebaut. Sie führt direkt hinter dem Oberhof vorbei und die Schwienbachers haben durch den Straßenbau eine gute Waldweide verloren. Natürlich gab es eine Entschädigung, die aber den ideellen Verlust von Grund und Boden nicht aufwiegen konnte. So wie der Vater damals mit dem Schicksal gehadert hat, so hadert auch sein Sohn Luis heute mit seiner persönlichen Lebenssituation. Er wird vermutlich der letzte Schwienbacher am Oberhof sein, da er ehe- und kinderlos geblieben ist.
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Karte: Der Oberhof