Wenn Kinder nicht mehr nach Hause kommen, kann das viele Gründe haben: Manche reißen schlichtweg von zuhause aus, manche verirren sich auf dem Heimweg oder werden in einen Unfall verwickelt. Schlimmstenfalls fallen sie einem Gewaltverbrechen zum Opfer oder werden entführt - von Kinderhändlern oder Kinderschändern, aber auch vom anderen Elternteil.
So erging es auch dem neunjährigen Sohn einer Münchnerin. Der Vater hat ihn heimlich von Deutschland nach Marokko gebracht, der Kontakt ist abgebrochen. Seit über sechs Monaten hat die junge Mutter ihr Kind nicht mehr gesehen.
"Mein Sohn muss sich so fühlen, als wäre ich tot oder als hätte ich ihn verlassen." Mutter eines vom Vater nach Marokko entführten Jungen
Die Münchnerin hat Tränen in den Augen, wenn sie über ihr Kind spricht. Inzwischen gilt der Bub als vermisst.
Schwierige Rückführung aus dem Ausland
Immer wieder werden Kinder von Elternteilen ins Ausland verschleppt. Für solche internationalen Kindesentführungen gibt es eigentlich ein Abkommen zwischen über 80 Staaten. Es besagt, dass die Rückführung der Kinder innerhalb von sechs Wochen angeordnet werden soll. Dafür sind die Behörden in den jeweiligen Ländern zuständig. Für betroffene Eltern ist in Deutschland das Bundesjustizministerium der Ansprechpartner. Doch von ihm fühlt sich die Münchner Mutter im Stich gelassen:
"Die haben überhaupt keinen Druck ausgeübt, kein Interesse daran gezeigt, dass mein Kind zurückkommen soll." Mutter eines vom Vater nach Marokko entführten Jungen
Gegenüber Kontrovers, dem Politikmagazin des BR Fernsehen, verweist das Justizministerium auf die Gerichte im Ausland:
"Ein unmittelbarer Einfluss auf die dortige Verfahrensweise, insbesondere in gerichtlichen Verfahren, ist den deutschen Stellen nicht möglich." Antwort des Bundesjustizministeriums
Vermisste Flüchtlingskinder
Bei den meisten der rund 2.600 Vermissten-Fälle in Bayern handelt es sich aber nicht um einheimische Kinder, sondern um unbegleitete minderjährige Flüchtlinge. Sie wurden in Heimen untergebracht, aus denen sie verschwunden sind. Viele von ihnen sind weitergezogen, um in ein anderes Land zu kommen. In Deutschland werden sie dann als vermisst gemeldet.
Andreas Hüner ist stellvertretender Leiter der evangelischen Kinder- und Jugendhilfe Feldkirchen. Die Jugendhilfe betreibt Wohneinrichtungen, in denen junge Flüchtlinge leben. Dort kommt es immer wieder vor, dass Kinder und Jugendliche verschwinden:
"Wir haben seit 2012 circa 400 unbegleitete minderjährige Flüchtlinge in Obhut genommen und davon sind etwa 20 weitergereist. Das sind fünf Prozent. Das klingt prozentual wenig, aber dahinter stecken 20 Schicksale." Andreas Hüner, evangelische Kinder- und Jugendhilfe Feldkirchen
"Sehr viele dramatische Fälle"
Um vermisste Menschen wiederzufinden, betreibt das Rote Kreuz einen internationalen Suchdienst. Seit 2013 können Geflüchtete auf der Website "Trace the Face" Gesuche aufgeben. Hunderte der Suchanfragen beziehen sich auf minderjährige Flüchtlinge. Oftmals verlieren sich Familien auf dem Seeweg nach Europa.
"Wir haben sehr viele dramatische Fälle, wo mehrere Kinder einer Familie vermisst werden. Die Eltern konnten an Land gehen und die Kinder haben sie anschließend nicht gefunden." Marina Brinkmann, Rotes Kreuz
Viele Menschen versuchen über die Gesuche aber nur noch eine Bestätigung zu bekommen, für das traurige Schicksal ihrer Familienmitglieder.