Parteichef Christian Lindner, der bayerische Spitzenkandidat Martin Hagen und sein Kollege aus Hessen, Stefan Naas, kommen lächelnd auf die Bühne in der Berliner Parteizentrale – obwohl sie keinen Grund zum Lächeln haben. Sie versuchen trotz der schlechten Wahlausgänge in den Ländern Zuversicht zu verbreiten. Bloß nicht als Opfer der eigenen Strategie dastehen.
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Streit in Kauf genommen, manchmal sogar provoziert
Bis zum vergangenen Sonntag setzten viele Liberale darauf, mit klarer Kante und Profilschärfung Wählerinnen und Wähler für sich zu gewinnen. Streit in der Ampel-Koalition wurde dafür in Kauf genommen, manchmal sogar provoziert. So ist es noch nicht lange her, dass FDP-Generalsekretär Bijan Djir-Sarai den grünen Koalitionspartner in der Debatte um den richtigen Kurs in der Migrationspolitik als "Sicherheitsrisiko für das Land" bezeichnete. Viele fragten sich danach, warum die FDP mit diesem "Sicherheitsrisiko" überhaupt zusammen regiert.
Diese Wortwahl ist nur ein Beispiel für den oft rauen Ton in der Koalition. Dabei ist es nicht nur die FDP, die zur eigenen Profilierung gegen die Koalitionspartner austeilt. Auch SPD und Grüne können das. Fakt ist allerdings, vielen Bürgern gehen Egotrips und Dauerstreit auf die Nerven. Immer mehr haben den Eindruck, die Regierung beschäftigt sich mehr mit sich selbst als mit den Problemen des Landes.
Bisherige Strategie geht nicht auf
Die FDP, die in den vergangenen zwei Ampel-Jahren häufig am lautesten Kritik äußerte oder ihr Veto einlegte, glaubte lange, damit könne sie bei den eigenen Anhängern punkten. Die Profilierung zahle sich irgendwann aus. Doch das Gegenteil passiert bisher – wie die Landtagswahlen in Bayern und Hessen zum wiederholten Mal zeigen. Den Liberalen gelingt es nicht, die Serie an Misserfolgen bei Landtagswahlen zu stoppen. In Bayern flog die FDP mit drei Prozent am Sonntag aus dem Landtag.
Nach der Wahlschlappe in Berlin im Februar machten die Liberalen die Gründe für das schlechte Abschneiden überall aus, nur nicht bei der FDP. In der Partei wurden die Rufe nach mehr "FDP pur" in der Ampel noch lauter, der Streit in der Koalition ebenfalls. Leichte Zuwächse in bundesweiten Umfragen im Frühjahr und Frühsommer auf acht bis neun Prozent ließen liberale Spitzenpolitiker aufatmen. Inzwischen sind die Werte aber wieder gesunken. In einer Umfrage von Infratest Dimap für die ARD kam die FDP Ende September bundesweit auf nur noch sechs Prozent.
Kurswechsel bei der FDP?
Auch jetzt, nach den deutlichen Wahlverlusten in Bayern und Hessen, will Lindner nicht über eigene Fehler sprechen. Dennoch scheint dieses Mal eines anders zu sein: Die lauten Rufe nach mehr Profilierung bleiben bisher aus. Lediglich der stellvertretende Parteivorsitzende Wolfgang Kubicki protestiert in der Bild-Zeitung mit Blick auf die Regierungskoalition: "So kann es nicht weitergehen." In der Atomkraft-Frage, beim Heizungsgesetz oder in der Migrationspolitik "lagen oder liegen wir konsequent im Gegensatz zur Mehrheitsmeinung", sagt Kubicki.
Auf die Frage, wie der künftige Kurs aussehen soll, wie die Stimmung für die eigene Partei gedreht werden könnte, zeigen sich viele Liberale nachdenklich, mitunter auch ratlos. Christian Lindner betont jedenfalls: "Wir orientieren uns strikt an Positionen und Inhalten." Es gehe um die sachliche Klärung von Problemen. Die Themen, die die Menschen derzeit beschäftigten wie die wirtschaftliche Entwicklung, eine "Klimapolitik mit Augenmaß" und die Begrenzung der Zuwanderung, seien Themen der FDP, so Lindner. Dennoch machten die Wählerinnen und Wähler ihr Kreuzchen am Wochenende woanders.
Lindner: Wahlergebnis sei "Arbeitsauftrag"
Lindner sieht die Wahlergebnisse als "Arbeitsauftrag" für alle drei Ampel-Parteien. Das Regierungshandeln müsse nun kritisch reflektiert werden. Denn "die Ampel-Parteien werden nicht individuell bewertet, sondern die Ampel als Ganzes wird von den Menschen beurteilt", so Lindner. Und zwar schlecht beurteilt, wie die Umfragen zeigen. So gaben in einer Infratest Dimap-Umfrage 53 Prozent der Befragten an, dass die Landtagswahl eine gute Gelegenheit sei, der Ampel einen Denkzettel zu verpassen. Deshalb hätten auch alle drei Regierungsparteien Einbußen erzielt und deswegen brauche es jetzt eine gemeinsame Analyse, erklärt Lindner weiter. Klar ist aber auch: Die schlechten Noten für die Ampel bedrohen die FDP viel stärker als SPD und Grüne. Martin Hagen, Vorsitzender der Liberalen in Bayern, sagt: "Die FDP in Bayern hat kein Polster, bei dem man sagen kann, wenn die FDP insgesamt mal ein, zwei Prozent nachgibt, ist man immer noch sicher im Landtag."
Unmut in der FDP
Steckt in den schlechten Wahlergebnissen vielleicht doch eine Chance, dass sich die Koalition im Bund zusammenrauft. Mehr Disziplin statt Krawall? Schon vor den Wahlen in Bayern und Hessen wuchs in der FDP der Unmut über das Image der Ampel als zerstrittener Haufen, der wenig zustande bringt. Vor allem einige jüngere FDP-Politiker halten den Weg der eigenen Profilierung zulasten des Gesamtprojekts "Ampel-Regierung" für falsch. Sie befürchten, eine untergehende Ampel werde die FDP mit in den Abgrund reißen. Statt Streit auf offener Bühne wünschen sie sich, mehr hinter den Kulissen, um den richtigen Weg zu ringen und um die eigenen Themen und Positionen zu kämpfen.
Partei steckt in einem Dilemma
Viele Anhänger, die in den vergangenen Wochen auf FDP-Veranstaltungen oder an Infoständen der Partei zu finden waren, teilen diese Meinung und wünschen sich ein geräuschloseres Zusammenarbeiten von SPD, Grünen und FDP. Appelle von Spitzenpolitikern der SPD und Grünen an alle Ampel-Partner, künftig weniger zu streiten, scheint Lindner jedoch nicht ernst zu nehmen. Diejenigen, die das forderten, seien dieselben, die zugleich neue inhaltliche Forderungen stellen würden, so der FDP-Vorsitzende.
Bei den Wahlkampfterminen der Liberalen waren auch viele Anhänger zu finden, die genau das Gegenteil forderten, nämlich mehr Kontroverse und mehr Konflikt. Bei einer Veranstaltung mit Christian Lindner in Starnberg sagte ein älterer Mann: Die FDP würde viel zu viele Kompromisse eingehen und ihre eigenen Positionen zu wenig herausstellen.
Wird die Lage für Lindner gefährlich?
Die Zerrissenheit der Anhängerschaft ist ein Dilemma für die Partei. Offene Kritik am Parteichef gibt es in der FDP bisher nicht. Mitunter ist ein Grummeln zu hören, das aber nicht nach außen getragen wird. Die FDP-Spitzenkandidatin für die Europawahl, Marie-Agnes Strack-Zimmermann, sagt: Christian Lindner habe nach wie vor starken Rückhalt in der Partei.
Viele Bundestagsabgeordnete wissen, dass sie ohne Lindner nicht im Bundestag sitzen würden. Er war es, der die Partei aus der außerparlamentarischen Opposition zurück in den Bundestag und in die Regierung führte. Doch wie viele Niederlagen werden noch kommen, bis die Parteimitglieder dem FDP-Chef die Gefolgschaft verweigern? Allzu viele Sorgen muss Lindner sich derzeit nicht machen, ein möglicher Nachfolger ist bisher nicht erkennbar.
Lindner setzt auf die nächste Bundestagswahl
Der Parteivorsitzende wirkt bei der Pressekonferenz in der Berliner Parteizentrale so, als würden ihn die Niederlagen in Bayern und Hessen nicht besonders belasten. Und das liegt nicht nur am lächelnden Auftritt zu Beginn der Pressekonferenz. Er selbst hat die nächste Bundestagswahl im Blick und sagte jüngst in der "Frankfurter Allgemeinen Sonntagszeitung": "Wenn es einen Wahltermin gibt, an dem ich mich orientiere, dann den im September 2025." Bis dahin könnte aber von den Liberalen nicht mehr viel übrigbleiben.
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