Afrikanische Migranten in Italien, nahe Rom (Archivbild von 2017)
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Italien debattiert den Umgang mit Migranten (Archivbild von 2017)

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Krawalle und Übergriffe: Italien diskutiert über Integration

Krawalle und Übergriffe: Italien diskutiert über Integration

Eingeschlagene Scheiben, fliegende Steine und Frauen, die sexuell belästigt wurden: Nach Krawallen in Italien, an denen fast nur Jugendliche mit Migrationshintergrund beteiligt waren, ist die Polizei alarmiert – und die Gesellschaft sucht Lösungen.

In Riccione südlich von Rimini atmen sie auf. Der befürchtete Flashmob mit Krawallen ist ausgeblieben. Die Sicherheitsmaßnahmen der örtlichen Polizei am Wochenende haben offensichtlich Wirkung gezeigt. Jugendliche mit Migrationshintergrund hatten in einem Musikvideo auf TikTok dazu aufgerufen, in Massen nach Riccione zu kommen. Bildtext: "Peschiera war nur das Warmmachen – sehen wir, wie es in Riccione wird." Dazu eine marokkanische Flagge.

Italienische Sicherheitsbehörden in Alarmbereitschaft

Eine Botschaft, die die italienischen Sicherheitsbehörden in Alarmbereitschaft versetzt hat. Denn in Peschiera am Gardasee war Anfang des Monats ein ähnlicher Flashmob in Randale ausgeartet. Scheiben von Geschäften wurden eingeschlagen, Steine flogen, Flashmob-Teilnehmer sprangen auf Autos herum. Die über 2.000 Jugendlichen, fast alle mit Migrationshintergrund und zwischen 16 und 20 Jahren alt, seien vor allem aus den nahegelegenen Großstädten Mailand, Brescia und Bergamo an den Gardasee gekommen, sagt die Polizei. Motto des über TikTok organisierten Treffens am italienischen Nationalfeiertag: "Afrika in Peschiera".

Auf der Rückfahrt soll es in einem Zug nach Mailand zu sexuellen Übergriffen gekommen sein. Mindestens 16 Mädchen und junge Frauen haben Anzeige erstattet. Eine Minderjährige, die mit fünf Freundinnen aus dem Vergnügungspark Gardaland zurückkam, schilderte im Onlineportal der Zeitung "Il Giorno", was sie im Zug erlebt hat: "Da waren viele Jungs, vor allem Nordafrikaner und speziell Marokkaner, weil wir gesehen haben, dass sie marokkanische Flaggen dabeihatten." Während sie mit ihren Freundinnen durch den Zug gegangen sei, "haben sie begonnen, uns zu berühren, überall. Auf dem Hintern, auf den Beinen, an den Hüften".

Ermittlungen wegen sexueller Belästigung

Die Staatsanwaltschaft ermittelt gegen 30 Jugendliche wegen sexueller Belästigung. Vor allem die italienische Rechte versucht jetzt, die Vorfälle politisch auszuschlachten. In seinen sozialen Netzwerk-Accounts fordert Lega-Führer Matteo Salvini unzufriedene Jugendliche mit Migrationshintergrund faktisch auf, das Land zu verlassen: "Wenn ihr euch in Italien nicht wohlfühlt: Ciao, ciao, die Welt ist groß." Und den "offensichtlich etwas abgelenkten Müttern und Vätern" der Migrantenkinder empfahl Salvini angesichts der Vorfälle in Peschiera und den Aufrufen für Riccione "ein Paar Ohrfeigen auszuteilen".

Vor einem Abrutschen in Ausländerfeindlichkeit warnt Kwanza Musi Dos Santos. Die Vorsitzende einer Organisation von Migrationskindern in Rom beklagt eine ungenügende Integrationspolitik in Italien und sagt mit Blick auf die Ausschreitungen am Gardasee: "An der Basis dieses Verhaltens ist Unzufriedenheit." Es kämen hier viele Dinge zusammen: "Das Patriarchat, soziale Sorgen und das Gefühl, in Italien geboren und aufgewachsen, aber nicht wirklich anerkannt zu sein." Dann, so Musi Dos Santos, gebe es die sozialen Netzwerke, die diese Personen zusammenführen: "Daraus ergibt sich dann die Kraft des Rudels."

Mit Migrationshintergrund: Mehr Probleme in Schule und Arbeit

Das Gefühl, abgehängt zu sein, beginnt für viele Kinder mit Migrationshintergrund in Italien bereits in der Schule. Sie haben deutlich größere Schwierigkeiten als ihre italienischen Altersgenossen – doppelt so häufig müssen sie eine Klasse wiederholen. Als Erwachsene tun sie sich auf dem Arbeitsmarkt schwer, das Durchschnittseinkommen von Migrantinnen und Migranten liegt aktuell rund 40 Prozent unter dem der Italienerinnen und Italiener.

Linke, vor allem aber auch katholische Gruppen drängen seit Jahren auch auf eine Reform des Staatsbürgerrechts. Antonio Russo, Vizechef der katholischen Sozialorganisation ACLI, appelliert: "Das Staatsbürgerschaftsrecht ist als Recht gedacht, sich als Teil einer Gemeinschaft zu fühlen. Es soll integrieren." In Italien sei es ein politischer Zankapfel. Er dagegen halte es "für eine Reform des Anstands, die unerlässlich ist." Bislang haben in Italien geborene Kinder ausländischer Eltern keinen Anspruch auf die italienische Staatsbürgerschaft. Sie können sie erst ab 18 erwerben, unter bestimmten Bedingungen.

Der Anteil der Ausländer in Italien liegt bei rund zehn Prozent, seit 2000 hat er sich fast vervierfacht. Marokkanerinnen und Marokkaner sind nach Menschen aus Rumänien und Albanien die drittgrößte Migrantengruppe in Italien.

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