Eigentümlich fremdartig und doch vertraut klingt sie, verträumt und verwunschen - die Musik, die zu Beginn der 70er Jahre in Abeba entwickelt wurde. Ob den wenigen Musikern klar war, was sie da schufen? Dass sie eine neue Kunstform namens Ethio Jazz aus der Taufe hoben? Einige Pioniere dieses Stils, darunter Mulatu Astatke und der Organist Hailu Mergia, werden jetzt wiederentdeckt. Die beiden Pioniere werden seit einigen Jahren zu Jazz- und Weltmusikfestivals eingeladen. Astatke und Mergia kreierten ein wiedererkennbares Idiom mit Bläsersätzen, die nur aus wenigen blue notes, aus fünf Tönen bestehen.
Pionier des Ethio-Jazz
Jetzt hat Hailu Mergia ein neues Studio-Album am Start: Auf Lala Belu denkt der Äthiopier den Ethio Jazz weiter, auch wenn die Lässigkeit und der Charme früherer Aufnahmen dabei auf der Strecke bleiben. Tastenkünstler Hailu Mergia, einer der Pioniere des Ethio Jazz, ist Autodiktat. Das Akkordeonspielen hat er sich als Jugendlicher selbst beigebracht. Mittlerweile lebt Bergia jedoch in den Vereinigten Staaten. In Washington, D.C. arbeitet er als Taxifahrer.
"Ich hab nie aufgehört, Musik zu machen. Ein Vorteil beim Taxifahren ist, es gibt immer wieder Atempausen. Ich hab ein Keyboard hinten im Wagen. Es wird mittels Batterien betrieben. Wenn ich jemanden abgesetzt habe oder auf neue Kunden warte, hol ich mein Keyboard ‚raus, setz mich hinten ‚rein und übe ein bisschen. Oder ich spiel einfach drauf los. Denn: Wenn ich nicht spiele, geht’s mir nicht gut." Hailu Mergia.
Während der Sechziger Jahre spielte Hailu Mergia in der Armee Akkordeon. Nach seiner Entlassung trat er in kleinen Nachtclubs auf, bis er die Walias Band als Organist gegründet hat. Dieses Oktett spielte in den großen Hotels von Addis Abeba, Äthiopiens Hauptstadt. Die Walias-Band errang schnell den Ruf, die beste Gruppe des Landes zu sein. Man trat nicht nur im Radio und bei Fernsehshows auf, die Band begleitete auch Musik-Stars wie Duke Ellington und Maceo Parker bei Gastspielen. Trotz dieses Höhenflugs blieb der Äthiopier Hailu Mergia auf dem Teppich.
"Mir war es egal, ob ich berühmt bin oder nicht. Über so etwas hab ich gar nicht nachgedacht. Wo immer ich hinging, sagten die Leute: Oh, da kommt Hailu Mergia, aber das war mir egal. Wir haben besser verdienten und wurden immer populärer. Das wiederum hat uns ermöglicht, unsere eigenen Stücke zu verfolgen." Hailu Mergia
Als die Walias-Band zu einer US-Tournee aufbrach, hatte sich Äthiopien verändert, nun herrschte eine Militärdiktatur. Hailu Mergia ergriff die Möglichkeit beim Schopf und blieb in den Staaten. Nur: Von der Musiker konnte er hier nicht leben.
Folk-Jazz und Hard-Bop
Lala Belu hat Hailu Mergia mit dem australischen Schlagzeuger Tony Buck und dem Kontrabassisten Mike Majkowski eingespielt. Der Ethio-Jazz ist nun zwar noch allgegenwärtig, aber Mergia streckt die Fühler aus in Richtung Folk-Jazz und kantigem Hard-Bop. Mit den neuen Stücken beweist Hailu Bergia, wie geschmeidig das Idiom nach wie vor ist.
Denn die Saat des Ethio Jazz ist eh‘ schon aufgegangen – es gibt mittlerweile längst unzählige afrikanische und nicht-afrikanische Bands, die diesen Stil mit eigenen Stücken pflegen.