Stetig klettert die Zahl der Neuinfektionen mit dem Coronavirus nach oben. Im vergangenen Monat hat sie sich vervierfacht. Inzwischen liegt die Sieben-Tage-Inzidenz laut Robert Koch-Institut bei 20,4. Das RKI warnt: Die Inzidenz steigt schneller als im Sommer 2020. Gesundheitsämter könnten schon jetzt nicht mehr alle Infektionsketten zurückverfolgen.
Besonders häufig infizieren sich den Angaben zufolge junge Menschen. In seinem Bericht schreibt das RKI: "Der derzeitige Anstieg der Inzidenz ist vor allem in den Altersgruppen der 10- bis 34-Jährigen zu beobachten (...)." Aber auch in den Altersgruppen bis 49 Jahre sei die Tendenz steigend. Nur Menschen, die älter als 55 Jahre sind, steckten sich kaum mehr an.
FDP zurückhaltend wegen Inzidenz
FDP-Gesundheitsexperte Andrew Ullmann beunruhigen diese Zahlen nicht. Die Inzidenz sage in dieser Zeit wenig aus: "Wenn man von einem sehr niedrigen Wert auf einen niedrigen Wert steigt, ist das kein Grund, in Panik zu verfallen." Entscheidend sei viel eher die Zahl der Patienten auf den Intensivstationen. Dort entspannte sich die Lage in den vergangenen Monaten. Laut der Deutschen Interdisziplinären Vereinigung für Intensiv- und Notfallmedizin (Divi) gibt es gerade 387 Covid-Intensivpatienten. Im Frühjahr lag der Spitzenwert bei über 6.000.
Sorge macht dem Würzburger Bundestagsabgeordneten Ullmann dagegen das schleppende Tempo der Impfkampagne. Dieses werde darüber entscheiden, wie stark die vierte Welle der Pandemie Deutschland treffen werde. Die Zahl der Menschen, die sich impfen lassen, ist in den vergangenen Monaten immer weiter gefallen. In der vergangenen Woche wurden nur noch knapp über 2,5 Millionen Impfdosen verabreicht. Seit Wochen werden nicht mehr als 100.000 Erstimpfungen täglich verabreicht. "Das ist viel, viel, viel zu wenig, um die angestrebten Ziele zu erreichen", sagt Ullmann.
Im politischen Berlin ist man sich uneinig darüber, wie man damit umgehen soll.
Erster Streitpunkt: Wie umgehen mit Nicht-Geimpften?
Für Aufregung sorgte der Vorschlag des Bundesgesundheitsministers Jens Spahn (CDU), Nicht-Geimpften den Zugang zu Gastronomie und Veranstaltungen zu verwehren, selbst wenn diese einen negativen Test vorweisen können. Allerdings nur für den Fall, wenn die Infektionszahlen weiter steigen und Krankenhäuser an Kapazitätsgrenzen kommen.
Beim Koalitionspartner SPD stieß Spahn damit auf großen Widerspruch. Sowohl Bundesjustizministerin Christine Lambrecht als auch mehrere sozialdemokratische Ministerpräsidenten äußerten Zweifel an der rechtlichen Zulässigkeit einer solchen Maßnahme. Lambrechts Parteifreundin Sabine Dittmar, die Mitglied im Gesundheitsausschuss ist, hält sie ebenfalls für wenig erfolgsversprechend. Stattdessen müsse das Impfangebot zu den Menschen: "Vor den Supermarkt, vors Fußballstadion, in die Einkaufsstraße, in die Wohnsiedlung oder auch vor der Schule."
Der FDP-Gesundheitsexperte Ullmann pflichtet der Sozialdemokratin bei. Der Kreativität dürfe hier keine Grenzen gesetzt werden. Auch eine Bratwurst könne angeboten werden, Hauptsache die Impfbereitschaft erhöhe sich. Spahns Vorschlag, urteilt er, sei eine "Impfpflicht durch die Hintertür".
Die FDP fordert zusätzlich eine breit angelegte Aufklärungskampagne. Es gebe viele Menschen, die zwar bisher noch nicht geimpft, aber nicht impfskeptisch seien. Es reiche nicht, nur zu sagen, Impfungen seien gut. "Das ist zu einfach. Wir müssen dramatisch mehr Aufklärung betreiben, damit auch ein bayerischer Wirtschaftsminister versteht, warum Impfungen so wichtig sind", sagt Ullmann mit einem klaren Seitenhieb auf Freie Wähler-Chef Hubert Aiwanger.
CSU-Landesgruppenchef Alexander Dobrindt unterbreitete in den Zeitungen der Funke Mediengruppe den Vorschlag, Impfstationen an Flughäfen und Bahnhöfen zu errichten. So bekämen Reiserückkehrer schnell und unkompliziert ein Impfangebot. Linken-Fraktionschef Dietmar Bartsch sprach sich für eine Impfprämie aus, und zwar in Form eines Gutscheins über 50 Euro für Gastronomie oder Einzelhandel in den Innenstädten. Das wäre laut Bartsch ein Konjunkturpaket über drei bis vier Milliarden Euro für die Innenstädte, die stark unter Corona gelitten haben.
Zweiter Streitpunkt: Verlängerung der epidemischen Lage
Gesundheitsminister Spahn regte in einem Bericht des Redaktionsnetzwerks Deutschland (RND) an, die epidemische Notlage von nationaler Tragweite nicht zu verlängern. Sie läuft am 11. September aus. Viele Anti-Corona-Maßnahmen, etwa die Maskenpflicht sowie die Kontaktnachverfolgung von Gästen der Gastronomie, sind an diese Feststellung gekoppelt. Es ist der Bundestag, der über eine Verlängerung entscheidet.
Spahn sagte dem RND zufolge bei einer Sondersitzung des Bundestags-Gesundheitsausschusses am Mittwoch, aus seiner Sicht seien alle nötigen Anschlussregelungen für den Fall des Auslaufens bereits getroffen worden. Und falls weitere Maßnahmen wider Erwarten nötig seien, könnten diese auf Länderebene beschlossen werden. Demnach habe Spahn das Auslaufen des Notlage-Status als ein "politisches Signal" bezeichnet.
Auch diese Forderung des Gesundheitsministers sieht der Koalitionspartner kritisch. SPD-Kanzlerkandidat Olaf Scholz sprach sich dafür aus, die Notlage zu verlängern. "Das wird sein müssen, wenn man mich fragt", sagte Scholz. Sabine Dittmar führt aus, dass die Corona-Politik auf eine sichere, rechtliche Grundlage gestellt werden müsse: "Zwar können die Bundesländer Maßnahmen treffen, wenn es regionale Ausbrüche gibt, aber wenn wir ein Infektionsgeschehen haben, das weiterhin bundesweit auftritt und sich dynamisch entwickelt, könnte ein Auslaufen der epidemischen Lage aus rechtlicher Sicht problematisch sein." Noch hat sich die Bundesregierung nicht auf eine gemeinsame Linie einigen können.
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