Tilmann Kleinjung, Leiter der Redaktion Religion & Orientierung
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Kommentar: Der Professor nervt, aber das muss Politik aushalten

Kommentar: Der Professor nervt, aber das muss Politik aushalten

Die Staatsregierung hat den Wirtschaftsethik-Professor Lütge aus dem Bayerischen Ethikrat entlassen. Grund dafür waren umstrittene Äußerungen zu den Lockdown-Regeln. Tilmann Kleinjung meint: der Professor nervt, aber das muss Politik aushalten.

Der Bayerische Ethikrat steckt noch in den Kinderschuhen. Seit seiner Gründung im Oktober und der ersten Sitzung im Dezember letzten Jahres hat er sich noch nicht zu Wort gemeldet, geschweige denn eine Stellungnahme produziert.

Da irritiert es natürlich, wenn ein Mitglied sich mit pointierten und kritischen Äußerungen weit aus dem Fenster lehnt, so wie es Christoph Lütge in den letzten Wochen immer wieder getan hat. Wenn er dabei den Eindruck erweckt hat, für den gesamten Rat zu sprechen, dann ist das tatsächlich ein schweres Foul. Als einfaches Mitglied des Gremiums hat er aber das gute Recht, seinen kritischen Blick auf die Corona-Maßnahmen von Bund und Freistaat öffentlich zu vertreten. Auch ich halte die Thesen des Professors von der TU München für falsch, seine Ethik ist fragwürdig. Die Kritik am Lockdown mit dem hohen Durchschnittsalter der Verstorbenen zu begründen, ist menschenverachtend. "Diese Menschen wären ohnehin an anderen Krankheiten gestorben", sagt Lütge und propagiert so einen Sozialdarwinismus, der mit dem moralischen Grundkonsens unserer Gesellschaft nicht vereinbar ist.

  • Zum Artikel "Ethikrat: Staatsregierung entlässt Lockdown-Kritiker Lütge"

Die richtige Reaktion auf solche Thesen ist die kritische Auseinandersetzung. Der Ausschluss aus dem institutionellen Diskurs kann nur die ultima ratio sein. Der Professor nervt, aber das muss Politik aushalten. Staatskanzleichef Florian Herrmann hat sich eindeutig distanziert, auch Lütges Arbeitgeber, die TU München hat deutlich gemacht, dass der Wirtschaftsethiker mit seiner Wortwahl nicht die Ansicht der Universität vertritt. Gut so.

Was ist die Aufgabe eines Ethikrates? Er soll die Politik beraten und deren Tun unter ethisch-moralischen Gesichtspunkten bewerten. Das ist in diesen Tagen notwendiger denn je, wo Politikerinnen und Politiker unter dem Eindruck einer verheerenden Pandemie Entscheidungen treffen müssen, die massiv in unser aller Leben eingreifen. Christoph Lütge vertritt in dieser Debatte eine Minderheitenmeinung, was aber nicht bedeutet, dass man sich mit ihr nicht argumentativ auseinandersetzen muss und kann. Genau das geschieht in einem Ethikrat. Im Zweifelsfall, das hat die Ethikrats-Vorsitzende Breit-Keßler bestätigt, gibt es die Möglichkeit, bei Stellungnahmen auch Minderheitenvoten zu veröffentlichen.

Die Einmischung der Staatsregierung wirkt in diesem Fall nicht nur ungeschickt, sondern ist auch kontraproduktiv. Es entsteht der Eindruck, als seien ethische Gutachten nur dann willkommen, wenn sie das eigene Regierungshandeln argumentativ unterfüttern. Das aber ist nicht die Aufgabe eines Ethikrates.

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