Wer sitzt in den Abschiebeflügen nach Afghanistan und welche berufliche Qualifikation bringen die Menschen mit? In der Kontrovers-Wahlarena sagte die SPD-Spitzenkandidatin Natascha Kohnen, die Staatsregierung schiebe die Falschen ab und verwies auf den Fachkräftemangel in Deutschland. Ohne sich direkt auf den Abschiebeflug der 69 Afghanen von München nach Kabul vom 3. Juli 2018 zu beziehen, sagte die Politikerin, in dem Flugzeug hätten 51 Menschen aus Bayern gesessen, "die uns hier als Fachkräfte unglaublich helfen".
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Wir haben bei der Bayern-SPD nachgefragt, auf welche konkreten Fälle sich Kohnen stützte und woher sie wisse, dass es sich bei den Passagieren um Fachkräfte gehandelt habe. In ihrer Antwort räumt die Partei einen Fehler ein:
"Dieser Satz ist leider fehlerhaft. Die Zahl ist nicht korrekt. Das kann in der Hitze einer Livesituation passieren. Frau Kohnen bezog sich auf die mehrfach von Unionsseite vorgenommene Aussage, Zitat: 'Wir schieben nach Afghanistan immer noch nur Gefährder und Straftäter ab.' Tatsache ist: 46 Männer, die Bayern abgeschoben hat, sind keine Straftäter." Pressesprecher der Bayern-SPD
Bayern schiebt besonders rigoros ab
Diese Zahl stimmt wiederum. An dem Flug vom 3. Juli hatten sich neun Bundesländer beteiligt. Aus Bayern wurden 51 Männer abgeschoben, wovon allerdings nur fünf Straftäter waren. Der von der SPD zitierte Satz "Wir schieben nach Afghanistan immer noch nur Gefährder und Straftäter ab" stammt von Armin Schuster, dem Innenexperten der CDU-Fraktion im Bundestag. Vom Polit-Magazin "Panorama" darauf angesprochen, sprach Schuster von einem Fehler, denn: Im Juni hatte das Auswärtige Amt die Sicherheitslage in Afghanistan neu bewertet, die Bundesregierung ihren teilweisen Abschiebestopp daraufhin aufgehoben.
Damit konnten nicht mehr nur Gefährder und Straftäter, sondern alle ausreisepflichtigen Afghanen wieder nach Afghanistan abgeschoben werden. Während die meisten Bundesländer trotzdem noch überwiegend Straftäter in den Flieger nach Kabul setzten, schob Bayern auch abgelehnte Asylbewerber ab, die keine Straftaten begangen haben, und berief sich auf geltendes Recht.
Abschiebung trotz Ausbildung
Im BR-Fünfkampf erneuerte Kohnen ihren Vorwurf. „Das zweite Problem ist - nicht nur, dass Bayern die Falschen abschiebt - , sondern dass Bayern auch diejenigen, die zu uns kommen, nicht sofort in Arbeit gehen lässt.“ Unterstützung bekam sie vom FDP-Spitzenkandidaten Martin Hagen: "Ausgerechnet in Bayern, wo wir den größten Fachkräftemangel haben, wo unsere Arbeitgeber, unser Mittelstand, unsere Handwerker händeringend nach Azubis suchen. Wir schieben tatsächlich die Falschen ab.“
Und auch im TV-Duell zwischen Ministerpräsident Markus Söder, CSU, und Ludwig Hartmann, Grüne, zwei Tage zuvor ging es um die fehlenden Fachkräfte und darum, dass Bayern womöglich die "Falschen" abschiebe. "Wir haben immer wieder Fälle, wo jemand abgeschoben wird, der kurz vor einer Ausbildung steht. Und das ist doch einfach verkehrt. Das sagen die Unternehmen, das sagen die Industrieverbände", sagte der Co-Spitzenkandidat in der Sendung.
Fachkräfte fehlen in Deutschland zum Beispiel im Handwerk, in der Gastronomie und in der Pflege. Innenminister Joachim Herrmann (CSU) hatte im August deshalb erklärt, er wolle auch abgelehnte Asylbewerber, die eine schulische Ausbildung als Pflegehelfer machen, besser vor Abschiebungen schützen. Die Neuerung solle die jetzige 3+2-Regelung erweitern.
Die 3+2-Regel hat die Bundesregierung im Bundesintegrationsgesetz vom Sommer 2016 festgeschrieben. Sie sichert Geflüchteten zu, ihre Berufsausbildung zu beenden und zwei weitere Jahre in dem Beruf arbeiten zu können, auch wenn ihr Asylantrag währenddessen abgelehnt wird. Von Vertretern aus der Wirtschaft kommt aber immer wieder die Klage, dass auch gut integrierte Asylbewerber ihre Ausbildung gar nicht erst anfangen dürfen oder es zu Problemen kommt, nachdem sie ihre Lehre beendet haben.
Der Bayerische Rundfunk hat mehrfach solche Fälle aufgegriffen, darunter auch den des Afghanen Esam M. Der 27-Jährige saß in dem Abschiebeflug vom 3. Juli nach Kabul, obwohl die Konditorei Riedmair aus Garching ihn gerne als Bäckerlehrling angestellt hätte. Oder der Fall Marof G. aus Kaufbeuren: Ein Metallbau-Betrieb hätte den Afghanen gerne zum Schweißer ausgebildet. Dass er abgeschoben worden sei, sei eine "absolute Sauerei", beklagte die Chefin anschließend im BR-Gespräch.
IHK: Bayern sehr restriktiv
Der bildungspolitische Sprecher der bayerischen Industrie- und Handelskammern, Hubert Schöffmann, glaubt nicht, dass die Fachkräftelücke in Deutschland ausschließlich durch die Asylbewerber geschlossen werden kann. Er sieht in ihnen aber ein "ganz wichtiges Puzzlestück in der Bekämpfung des Fachkräftemangels". Seine Kritik deshalb: Die 3+2-Regel werde in Bayern zurückhaltend und nicht einheitlich umgesetzt.
"Die Intention des Gesetzes ist eigentlich klar, Rechts- und Planungssicherheit für die Unternehmen. Auf dem müssen die Unternehmen aufbauen, wenn sie sich in der beruflichen Integration engagieren. Nur haben wir hier eben den Fakt, dass es in Bayern sehr restriktiv ausgelegt wird. Und wir noch einen sehr uneinheitlichen Verwaltungsvollzug in Bayern haben." Hubert Schöffmann, bildungspolitischer Sprecher der bayerischen Industrie- und Handelskammern
Dem widerspricht das Innenministerium: Bayern halte sich strikt an geltendes Bundesrecht. Die Behörde teilte zudem mit, das Asylrecht sei nicht dazu da, den Fachkräftebedarf der deutschen Wirtschaft zu decken.
Fazit: Die genannte Zahl von Natascha Kohnen, dass in dem Abschiebeflug vom 3. Juli 2018 auch 51 Männer aus Bayern gesessen hätten, "die uns hier als Fachkräfte unglaublich helfen", ist falsch. Das bestätigt auch die SPD Bayern auf Nachfrage. Die Kritik von SPD und Grünen, dass unter anderem potenzielle Fachkräfte abgeschoben werden und teilweise keine Ausbildung aufnehmen dürfen, äußern Vertreter aus der Wirtschaft aber regelmäßig. Sie fordern mehr Rechts- und Planungssicherheit für die Betriebe.