Der Krieg in Nahost hat das Leben vieler Jüdinnen und Juden in Deutschland verändert. Die Zahl antisemitischer Vorfälle steigt. Gerade Eltern sind verunsichert.
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Ein Junge mit einer Kippa auf dem Kopf.

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Sorge vor Anschlägen: Wie sich jüdische Eltern im Alltag fühlen

Der Krieg in Israel und Gaza hat das Leben vieler Juden in Deutschland verändert. Die Zahl antisemitischer Vorfälle steigt. Gerade Eltern sind verunsichert und haben Angst um ihre Kinder - wollen sich aber auch nicht einschüchtern lassen.

Auf den ersten Blick herrscht Normalität in Münchens einzigem jüdischen Kindergarten am Sankt-Jakobs-Platz. Die Kinder spielen, um 8.30 Uhr wird gemeinsam gefrühstückt. Von der erhöhten Polizeipräsenz rund um das Areal im Herzen der Landeshauptstadt kriegen sie nichts mit. Auch Ausflüge finden weiterhin statt, sagt Kitaleiterin Irina Sokolov, aber selbstverständlich mit eigenem Sicherheitspersonal, ausgebildet in Israel.

Die Kinder haben sich längst daran gewöhnt, nur mit Personenschutz unterwegs zu sein. "Sie sagen dann immer, unsere Jungs fahren mit", erzählt Irina. "Das gehört für die Kinder zum Alltag längst dazu". Dennoch macht es sie traurig, dass ihre Kita wieder mehr beschützt werden muss.

Angst vor Anschlägen

Viele Eltern habe ihre Kinder in den vergangenen Wochen lieber zu Hause betreut - aus Angst vor Anschlägen auf jüdische Einrichtungen. Die Verunsicherung bei Jüdinnen und Juden ist in diesen Tagen groß. Auch viele israelische Familien sind wegen des Krieges in ihrer Heimat nach Deutschland gekommen, die Kinder besuchen bereits den jüdischen Kindergarten. Nun leben sie auch hier in Angst, wurden von der Gemeinde aufgefordert, keine jüdischen Symbole in der Öffentlichkeit zu tragen und auf der Straße lieber nicht Hebräisch zu sprechen.

Ein Vater aus der jüdischen Kita – er möchte sicherheitshalber anonym bleiben – hat zwar keine Angst, aber schon ein mulmiges Gefühl, weil man einfach nicht wisse, wie es jetzt weitergeht und was noch alles passieren kann. Er und seine Familie fühlen sich schon jetzt in ihrem Leben eingeschränkt, erzählt er. "Man selbst passt mehr auf. Wenn am Freitag mit Freunden telefoniert wird und man sich Shabbat Shalom wünscht, dann wird die Stimme leiser und man schaut sich um, ob jemand einen hört. Wenn man aus jüdischen Einrichtungen rauskommt, guckt man sich um, wer ist denn da?", erzählt er.

Auch die Frage, in welcher Welt sein Kind aufwächst, ist plötzlich allgegenwärtig. Noch sei sie zu klein, um zu verstehen, was da gerade um sie herum passiert, sagt der Münchner, aber die jungen Eltern beschäftigen sich seit dem 7. Oktober täglich mit dem Thema. "Gerade, wenn man in der Rolle eines Familienvaters ist, überlegt man gerade ganz genau, wie man seine Familie beschützen kann. Und wie lautet der Plan B, wenn man einen bräuchte?" Aktuell, so sagt er, ist diese Frage für ihn nicht zu beantworten.

Anstieg antisemitischer Straftaten

Dass der Konflikt in Nahost längst Auswirkungen auf unsere Sicherheitslage hat, meldet auch der Verfassungsschutz. Seit dem Angriff der Hamas auf Israel wurde ein deutlicher Anstieg von antisemitischen Vorfällen in Deutschland registriert. Mehr als 1.800 Straftaten meldet die Behörde. Auch wenn Antisemitismus in Bayern und in Deutschland nie weg war, scheint er nun in besonderer Heftigkeit wieder aufzuflammen.

Das macht nicht nur Nelly sorgen. Sie ist Mutter von zwei Kindern, Jüdin, Münchnerin. Der Terror gegen Israel bedeutet für sie auch ein Angriff auf Juden in Bayern. Die Gefahr, die Angst, sagt sie, sei da – genau wie die Frage, ob man seine Kinder mit einem guten Gefühl in den Kindergarten bringen kann oder nicht. Immer vor Augen, dass jüdische Einrichtungen zu Zielscheiben werden können und ganz konkret einer Bedrohung ausgesetzt sind.

Wunsch nach mehr Solidarität

Ihre Heimat zu verlassen, kommt für die junge Frau aber nicht infrage: "Ich bin hier geboren und aufgewachsen, mein Vater ist schon in München geboren und aufgewachsen, bei aller Angst, Bedenken und Wut, packe ich meine Koffer nicht", sagt sie. "Ich bin hier, um zu bleiben. Ich lebe in Deutschland, in einer Demokratie, wenn hier jemand wegmuss, dann sind das Salafisten, Islamisten und Terroristen und alle, die Gewalt schüren und zu Gewalt aufrufen und unsere Werte nicht so leben."

Und das bedeutet nicht nur Demonstrationen aufzulösen, findet Nelly. Um sich sicherer zu fühlen, hier in Bayern, wünscht sie sich nicht nur ein härteres Durchgreifen der Behörden und strafrechtliche Konsequenzen, sondern vor allem auch mehr Solidarität von der Zivilgesellschaft. Nicht nur Worte, sondern auch bewusst Zeichen setzen, damit sich Jüdinnen und Juden nicht alleingelassen fühlen: "Dass, wenn ein Fußballspiel eines jüdischen Sportvereins abgesagt werden muss wegen einer Bedrohung, dann vier Schulen aus München kommen und sagen, wir stellen uns an die Seite der Sportler, damit sie keine Angst haben müssen."

Werte, die sie auch ihren Kindern vermitteln will – in der Hoffnung, dass sie ohne Angst als Juden in einer demokratischen Gesellschaft aufwachsen können.

Im Video (Archiv): Antisemitische Vorfälle im Alltag

Über 2.700 Straftaten mit Bezug zum Krieg in Israel und im Gazastreifen zählt das Bundeskriminalamt - darunter hunderte, die direkt gegen Juden gerichtet sind. Ein Skandal für die Gesellschaft, sagt der bayerische Antisemitismusbeauftragte.
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Über 2.700 Straftaten mit Bezug zum Krieg in Israel und im Gazastreifen zählt das Bundeskriminalamt.

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