Christopher Kloeble ist mit sechs Jahren zu den Tölzer Knaben gekommen. Das Singen hat ihm Freude gemacht. Noch heute ist er dankbar dafür, dass er sich durch den Chor intensiv mit Musikwerken auseinandersetzen und sie so viel besser kennenlernen konnte. Wenn er damals aber zwei Mal die Woche an der Bushaltestelle saß, um zur Probe nach München zu fahren, dann hatte er Angst. Vor allem vor dem Vorsingen.
"Da musste man einzeln vorsingen, einer nach dem anderen. Wer es gut konnte, durfte sich sofort setzen. Wer nicht, musste stehen bleiben und es immer wieder singen. Wenn man es dann immer noch nicht konnte, schimpfte der Chorleiter und hat einen zur Strafe stehen lassen. Wir sind dann auch beschimpft worden. Wenn man erst 9 Jahre alt ist, dann löst das schon sehr viel Angst aus, und man ist natürlich auch sehr abhängig von der Meinung der anderen. Während man da steht, schauen einen 30 andere Knaben an und lachen oder machen Witze darüber, dass man das jetzt nicht hinkriegt." Christopher Kloeble, Schriftsteller und ehemaliger Sängerknabe bei den Tölzer Knaben
Zur Strafe: Im Konzert nicht mitsingen
Es kam auch vor, dass der Chorleiter sich direkt vor dem Konzert ein paar Buben rausgepickt hat, die nicht mitsingen durften, weil sie es angeblich nicht konnten.
"Und dann gehen alle anderen raus und singen, und man sitzt da hinter der Bühne irgendwo mit zwei anderen, die man natürlich überhaupt nicht sehen will, weil die einen nur an die eigene Scham erinnern, dass man es nicht geschafft hat. Man versucht, nicht zu weinen, weint aber natürlich trotzdem. Draußen auf der Bühne hört man den Chor und das Orchester und denkt sich: 'Ich hätte dabei sein sollen. Ich habe jetzt alle enttäuscht, ich bin ja ziemlich scheiße, dass ich das nicht hingekriegt habe. Ich hätte mal besser üben sollen.' Mein Gedanke war jedenfalls nie: 'Wie gehen die denn mit mir um! Die hätten mich eben anders darauf vorbereiten sollen.' Ich dachte immer, dass die Schuld bei mir liegt." Christopher Kloeble
Schuldgefühle als Druckmittel
Schuldig haben sich die Kinder auch gefühlt, wenn der Gründer und jahrzehntelange Leiter der Tölzer Chorknaben Gerhard Schmidt-Gaden nach einer Generalprobe mit Claudio Abado unzufrieden mit ihnen war.
"Dann ist es auch passiert, dass der in den Probenraum kam zu uns und die Tür knallte und sagte: 'Ihr seid alle blöde Arschlöcher! Ihr Arschlöcher könnt ja überhaut nichts. Das ist so scheiße, was ihr da gesungen habt', und dann die Tür knallt und geht. Da hatte man so das Gefühl: 'Wir haben den Chorleiter enttäuscht und wir müssen das jetzt wieder gutmachen, indem wir uns mehr Mühe geben, weil sonst ist das ja unsere Schuld.'" Christopher Kloeble
Chorleiter singt Spottlied auf einen Chorknaben
Der Romanautor Christopher Kloeble hat seine Erlebnisse bei den Tölzer Knaben auch in Kurzgeschichten verarbeitet. Jetzt hat er ein Erinnerungsbuch veröffentlicht, in dem er auch über seine Zeit bei den Tölzer Knaben berichtet. - Mit die schlimmste Stunde war für ihn, als der Chorleiter auf einer Busfahrt ein Spottlied auf ihn gedichtet hat, mit dem Titel „Fass von Königsdorf“, weil er dort her kam und damals dick war.
"Ich bin eben wie ein Fass, was rollt und springt usw.. Von den Lied wurden mehrere Strophen gesungen, und es war furchtbar, weil die anderen Jungs einen mit Häme angeschaut haben und mit einer gewissen Lust daran, dass ich da jetzt fertig gemacht wurde. Einigen war es auch ein bisschen peinlich, die haben einem gar nicht in die Augen schauen können. Aber dass das so vom Chorleiter ausging!" Christopher Kloeble
Geschäftsführung des Tölzer Knabenchors: Kein Kommentar
Ein anderer Tölzer Knabe, der ungenannt bleiben will, bestätigt das Klima von Angst, Demütigung und emotionaler Gewalt und erzählt auch, dass er vom Chorleiter Gerhard Schmidt-Gaden die schlimmste Ohrfeige seines Lebens bekommen hat. - Die heutige Geschäftsführerin der Tölzer Knaben, Barbara Schmidt-Gaden, will sich über die Vorkommnisse aus der Ära ihres Vaters nicht äußern. Eine Anfrage an ihn selbst blieb unbeantwortet.