Am Wochenende war bekannt geworden, dass Nordrhein-Westfalen ein Kopftuchverbot für Mädchen unter 14 Jahren erwägt. Jede Frau solle selbstbestimmt entscheiden, ob sie Kopftuch trägt oder nicht, erklärte NRW-Integrationsminister Joachim Stamp (FDP). Diese Selbstbestimmung sei bei Kindern jedoch noch nicht vorhanden.
Union und FDP für ein Verbot
"Prinzipiell ja", sagte Bundesinnenminister und CSU-Chef Horst Seehofer heute in München auf die Frage, wie sinnvoll er ein solches Verbot fände. Auch Nordrhein-Westfalens Ministerpräsident Armin Laschet sowie CDU-Vize Julia Klöckner schlossen sich in Berlin einer entsprechenden Forderung an. Das Kopftuch bei Mädchen habe keine religiöse Bedeutung, betonten beide. "Wenn wir Gleichberechtigung ernst nehmen, sollten wir genau das hinterfragen", sagte Landwirtschaftsministerin Klöckner mit Blick auf den Wunsch einiger muslimischer Eltern, dass schon Mädchen ein Kopftuch tragen sollten. Klöckner warnte, es müsse vermieden werden, dass Kinder mit "kruden Geschlechterbildern" aufwachsen. "Das nimmt Kindern die Chance, sich selbst zu entscheiden", sagte Laschet. Auch FDP-Chef Christian Lindner trat für ein solches Verbot ein.
Lehrerverbände begrüßen den Vorstoß
Lehrerverbände und liberale Muslime begrüßten die Überlegungen ebenfalls. Der Präsident des Deutschen Lehrerverbandes, Heinz-Peter Meidinger, sagte der "Bild"-Zeitung, ein Kopftuchverbot würde dazu beitragen, Diskriminierung und Mobbing aus religiösen Gründen zumindest tendenziell den Boden zu entziehen. Er forderte, eine "bewusste Demonstration religiöser Symbole bei religionsunmündigen Kindern" zu unterlassen. An weiterführenden Schulen sei dies aber etwas anders, schränkte er ein.
Die Vorsitzende des Deutschen Philologenverbandes, Susanne Lin-Klitzing, sagte, es dürfe in einer Demokratie keine Unterordnung des einen Geschlechts unter das andere geben. "Ein Kopftuch kann aber als Symbol dafür verstanden werden und hat deshalb im Unterricht nichts zu suchen", sagte sie der "Bild".
Liberale Muslime: "Längst überfällig"
Auch liberale Muslime äußerten gegenüber der Zeitung Zustimmung. Die Rechtsanwältin Seyran Ates, Mitgründerin der liberalen Ibn-Rushd-Goethe-Moschee in Berlin, bezeichnete eine solche Regelung als "längst überfällig". Der Islamismus-Experte Ahmad Mansour sagte: "Wir brauchen ein Verbot, um Kindern zu ermöglichen, ideologiefrei aufzuwachsen ohne Geschlechtertrennung und Sexualisierung." Der deutsch-palästinensische Psychologe bezeichnete ein Kopftuch für ein Kind als "eine Form von Missbrauch".
Immigrantenverbände: Verschleierungstendenz nimmt zu - nicht Koran-konform
Auch die Bundesarbeitsgemeinschaft der Immigrantenverbände (BAGIV) forderte heute ein Kopftuchverbot, um muslimische Kleinkinder vor Diskriminierung zu schützen.
"Immer mehr Eltern verschleiern ihre Kinder bereits Jahre vor der Pubertät und legen eine sehr extreme Interpretation der Religion an den Tag." Präsident der Bundesarbeitsgemeinschaft der Immigrantenverbände (BAGIV), Ertan Toprak
Darüber dürfe ein freiheitlich-demokratischer Staat nicht weiter hinwegsehen. Toprak verwies darauf, dass nach dem Koran ein Kopftuch ohnehin erst in der Pubertät vorgeschrieben sei. Vor allem Kleinkinder müssten "vor dem religiösen Totalitarismus der Eltern geschützt werden". Von einer Religionsfreiheit könne hier gar keine Rede sein. Vielmehr würde die Religion instrumentalisiert und missbraucht, um die politische Dimension des Islam voranzubringen. An die Adresse der Politik sagt er: "Die Politiker sollten endlich die theoretischen Symboldebatten über den Islam beenden, und dem politischen Islam in der Praxis die Grenzen aufzeigen."
Linke: Demokratiebildung stärken
Dagegen lehnte der thüringische Bildungsminister Helmut Holter (Linke) ein Kopftuchverbot für Mädchen ab. "Alle Kinder sollen sich zu freien und selbstbestimmten Individuen entwickeln können", sagte er der "Bild"-Zeitung. Der derzeitige Vorsitzende der Kultusministerkonferenz sprach sich dafür aus, stattdessen die Demokratiebildung in den Schulen stärken.
Grüne: Muslimverbände müssen Position beziehen
Der frühere religionspolitische Sprecher der Grünen im Bundestag, Volker Beck, fordert in der Debatte um ein Kopftuch-Verbot für minderjährige Mädchen eine Positionierung der muslimischen Verbände. Ein Verbot halte er grundsätzlich nicht für sinnvoll, weil es um eine Frage der Religionsfreiheit gehe, sagte Beck in Berlin. Man müsse aber fragen, ob das Tragen von Kopftüchern bei Minderjährigen überhaupt religiös begründet werde. Die Politik sollte mit den Islam-Verbänden darüber reden, wie sie dazu stehen, dass die Praxis zunehmend in Gemeinden Einzug halte. "Das ist nicht der traditionelle Glaube im Islam", sagte Beck, Er warnte auch deswegen vor einer gesetzlichen Regelung, weil man "im Drehbuch" derjenigen spielen würde, "die im islamischen Bereich auf Polarisierung setzen".
Islamrat: Muslimische Mädchen müssen begleitet werden
Der Vorsitzende des Islamrates, Burhan Kesici, monierte: "Kopftuchzwang und Kopftuchverbot schlagen in dieselbe Kerbe: Beide entmündigen Musliminnen." Die jetzt angestoßene Debatte sei "populistisch, symbolgeladen und inhaltsleer". Die Vorstellung, muslimischen Mädchen würde das Kopftuch aufgezwungen, sei überholt."In einigen wenigen Fällen mag diese Behauptung vielleicht zutreffen. Jedoch wegen einer vermuteten Minderheit nun bei allen jungen Musliminnen die grundgesetzlich geschützte Religionsfreiheit einzuschränken, ist unverhältnismäßig und verfassungswidrig", so der Vorsitzende. Mit Blick auf mögliche Zwänge erklärte er, dass muslimische Mädchen gestärkt und begleitet werden müssten. Frauen mit Kopftuch seien im Alltag häufig Diskriminierungen ausgesetzt.
Vorstoß ursprünglich aus Österreich
Vergangene Woche hatte die österreichische Regierung angekündigt, Kindern das Tragen von Kopftüchern an Kindergärten und Grundschulen verbieten zu wollen. Es gehe darum, muslimische Kleinkinder vor Diskriminierung zu schützen, aber auch der Entwicklung von Parallelgesellschaften entgegenzutreten, sagte Bundeskanzler Sebastian Kurz (ÖVP).