Die Angst davor, es sich mit seinen europäischen Nachbarn oder auch mit seinen NATO-Partnern endgültig zu verscherzen, scheint bei dem türkischen Präsidenten Erdogan nicht sehr stark ausgeprägt zu sein. Sonst hätte er sich wohl kaum dafür entschieden, eine Militär-Offensive gegen kurdische Truppen in Syrien ausgerechnet in einer Zeit zu starten, in der die zerrütteten Beziehungen zur EU sich gerade vorsichtig zu entkrampfen begannen.
Gefahr für syrische Friedensgepräche
"Ich bin extrem beunruhigt", bekundete die EU-Außenbeauftragte Mogherini. Sie fürchtet unter anderem, dass die Militäraktion zum Risiko für die Syrien-Friedensgespräche werden könnte. Noch gar nicht wirklich absehbar ist jedoch, wie verheerend die Folgen für die Beziehungen der beiden NATO-Nationen Türkei und USA ausfallen werden. Denn jene syrischen Kurden, gegen die Ankara nun vorgeht, sind genau jene Kämpfer - YPG genannt - auf die Washington vertraute, um den sogenannten 'Islamischen Staat' in die Knie zu zwingen. Und die man von US-Seite in Syrien auch weiter brauchen wird:
"Schauen Sie sich die Erklärung von US-Außenminister Tillerson an: Die USA werden in den Gebieten nördlich und östlich des Euphrates-Flusses bleiben, um eine Rückkehr des IS zu verhindern. Dabei werden die USA auf ihre regionalen Alliierten angewiesen sein, wozu YPG gehört." Marc Pierini, ehemaliger EU-Botschafter in Ankara
Die Türken hätten lange auf eine US-Strategie für Syrien warten müssen, erklärt Pierini - und waren entsetzt, als sie dann kam: Denn für die Türkei sind die Kurden-Kämpfer nichts anderes als der bewaffnete Arm der PKK - somit also aus Ankaras Sicht Terroristen und ein Sicherheitsrisiko direkt entlang der Grenze.
Offensive gegen kurdische US-Verbündete
Noch, erklärt der Türkei-Experte Sinan Ülgen der Denkfabrik Carnegie Europe, seien die Folgen der Offensive gegen die Kurden für die US-Beziehungen begrenzt, weil sie in von Russland kontrolliertem Gebiet stattfinde. Aber:
"Das würde sich sofort ändern, wenn die Operation ausgeweitet würde auf von den USA kontrollierte Regionen." Sinan Ülgen, Türkei-Experte
Dann stünden sich auf einmal zwei NATO-Alliierte sozusagen Auge in Auge gegenüber. Der ehemalige türkische Diplomat Ülgen hält es für keine Denksportaufgabe, sich auszurechnen, wem so eine Situation in die Karten spielen würde, wie er im ARD-Interview erklärt:
"Das wäre ein großer Gewinn für Russland, wenn wegen dieser Operation die US-Türkei-Beziehungen in den vollen Krisen-Modus übergehen." Sinan Ülgen
Aber auch so schon ist das Verhältnis Ankara-Washington schwer belastet - und übrigens auch das zwischen den beiden Präsidenten Erdogan und Trump. Was auch an der Entscheidung des US-Präsidenten liegt, Jerusalem als Israels Hauptstadt anzuerkennen. Die Offensive, die türkische Militärs "Operation Olivenzweig" getauft haben, scheint indes wenig förderlich dafür, dass in den ohnehin extrem strapazierten Beziehungen Ankaras zu seinen NATO-Partnern und den EU-Staaten so etwas wie Entspannung Einzug hält. Im Gegenteil.