Die Grünen-Politikerin Katharina Schulze kennt es, das Ziel von Hetzkampagnen im Internet zu sein. Besonders zur bayerischen Landtagswahl 2018 wurde die Fraktionschefin von rechten Accounts attackiert und beleidigt. Es wurden manipulierte Bilder von ihr in Umlauf gebracht, in Foren wurde dazu aufgerufen, "Schmutz" über sie zu suchen und sogar, sie zu vergewaltigen.
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Online-Desinformation im Wahlkampf
Schulze wirft der bayerischen Staatsregierung vor, trotz dieser Erkenntnisse kaum etwas im Kampf gegen sogenannte Fake News im Internet unternommen zu haben. Das Innenministerium entgegnet auf Anfrage von BR24, die Staatsregierung setze sich "seit Jahren" gegen die "wachsenden Gefahren von Desinformation im Internet" ein. Etwa bei der strafrechtlichen Verfolgung oder indem sie die Medienkompetenz stärke. Die Gefahr von Desinformation sehe sie auch im derzeitigen Europawahlkampf gegeben:
"Im Vorfeld der Wahlen zum Europäischen Parlament 2019 erwartet die EU-Kommission, dass gezielt Desinformationskampagnen gegen die [europäische] Union, ihre Organe und ihre Politik gestartet werden. Die Bayerische Staatsregierung teilt die Befürchtung, dass es zu entsprechenden Desinformationskampagnen kommen kann." Bayerisches Innenministerium
EU-Taskforce gegen Fakes aus Russland
Gegen die befürchteten Desinformationskampagnen hat die Europäische Union eine seit 2015 bestehende Taskforce vergrößert. Sie soll vorwiegend Fakes aus Russland aufdecken und ein positives Bild der EU vor allem in Osteuropa vermitteln. Laut einem Sprecher beschäftigen sich derzeit acht der 16 Mitglieder mit dem Aufdecken von Desinformation, dem sogenannten Debunking. Das Team dokumentiert seine Ergebnisse auf der Website "EU vs. Disinfo" - seit dem Start kamen so knapp 5.500 Fälle zusammen. Ob die EU damit tatsächlich groß angelegte Fake-Kampagnen eindämmen kann, bleibt aber umstritten.
Falschmeldungen über die EU, Bayern und Politiker
Oft ist die EU selbst Ziel gezielter Fake-Aktionen. Über sie existieren nicht nur zahlreiche Mythen und Halbwahrheiten im Internet, sondern auch eindeutige Lügen. So stieß die EU-Taskforce in einer georgischen Zeitung zum Beispiel auf die Behauptung, die Präsidenten des Parlaments und der Kommission hätten keinerlei Entscheidungsbefugnisse und führten lediglich die Anweisungen Frankreichs und Deutschlands aus.
Die Widerlegung der EU fällt dementsprechend prägnant aus: "Formale Entscheidungen in der EU werden einstimmig beziehungsweise mehrheitlich von den Mitgliedsstaaten gefällt und vom Parlament mit entschieden. Die Kommission und die Hohen Vertreter der Europäischen Union für Außen- und Sicherheitspolitik haben ein Initiativrecht bei der Gesetzgebung."
Für Bayern sind in der EU-Datenbank für den gesamten Zeitraum zwei Meldungen hinterlegt, die beide schon älter sind. In einem Fall hatte eine in Tschechien berüchtigte und reichweitenstarke Fake-Nachrichtenseite vermeldet, Deutschland würde Muslime als Polizisten anheuern, die die Scharia einführen sollten.
In einem weiteren Artikel - zu finden auf der Seite von RIA Novosti, die zur staatlichen russischen Medienagentur Rossija Sewodnja gehört - wird eine angeblich bayerische Zeitung namens "Kraichgau News" zitiert. Diese berichtet von 20.000 Flüchtlingen aus Bayern, die Ende 2018 von der Ukraine aufgenommen werden sollen. Nur, so klärt die EU-Taskforce auf: Die "Kraichgau News" ist weder eine Zeitung noch kommt sie aus Bayern. Auf der Internetplattform aus Baden-Württemberg kann jeder Nutzer beliebig Meldungen verfassen und veröffentlichen. Was deshalb kaum verwundert: Die Behauptung über die geflüchteten Menschen ist eine Lüge. Ein entsprechendes Abkommen zwischen dem ukrainischen Präsidenten Petro Poroschenko und Bundeskanzlerin Angela Merkel habe es nicht gegeben, schreiben die ukrainischen Faktenprüfer von "Stop Fake".
Politiker häufiges Ziel von Desinformationskampagnen
Als EU-Kommissionspräsident sieht sich auch Jean-Claude Juncker häufig direkten Attacken im Internet ausgesetzt. Rechte Websites wollten ihm kürzlich die Aussage zuschieben, er bestimme am Ende die Posten, egal wie die EU-Wahl ausfalle. Wie das Recherchenetzwerk Correctiv zeigt, hat sich der Urheber aus einem Interview mit Juncker bedient und daraus die gefälschte Aussage zusammengebastelt.
Auch die Bundeskanzlerin Angela Merkel bleibt nicht verschont von Falschmeldungen. Mit einer plumpen Fälschung sollte belegt werden, dass sie in "Geldwäsche in großem Umfang" verwickelt sein könnte. Correctiv zeigt auf, wie sich der Fake verbreitete und wie auch der bayerische AfD-Landtagsabgeordnete Christian Klingen den Text auf seinem Facebook-Profil teilte.
Je bekannter, desto mehr Fakes
Wir haben bei den bayerischen Kandidaten zur Europawahl nachgefragt, wie sie sich gegen mögliche Desinformationskampagnen gegen sie selbst oder ihre Partei wappnen.
"Permanent" mit Falschmeldungen konfrontiert sehe sich der EVP-Spitzenkandidat Manfred Weber - unter den bayerischen Kandidaten der mit Abstand bekannteste Politiker. So wurden Aussagen des CSU-Politikers bewusst falsch zitiert, um Stimmung zu machen, wie Webers Sprecher Christian Hügel gegenüber BR24 ausführt. "Völlig haltlose" Behauptungen über Weber würden in die Welt gesetzt. Meistens würden Zitate abgewandelt oder so zugespitzt, dass sie nicht mehr der Realität entsprächen. "Die offensichtlich klare Lüge kommt auch vor, aber seltener", so Hügel.
Für solche offensichtlichen Lügen nennt der Sprecher zwei Beispiele: Im ersten sei die gesamte Werbelinie der CDU Nordrhein-Westfalen gefälscht worden. Zu sehen sind, neben der EU-Flagge und den Farben der Deutschlandfahne, das CDU-Logo und ein Foto Webers mit der vermeintlichen Aussage, die Partei wolle ein elitäres Europa schaffen. "Das Zitat ist frei erfunden, mit dem Ziel zu diskreditieren", sagt Sprecher Hügel.
Ein zweites Beispiel zeigt den EVP-Spitzenkandidaten neben einem weiteren erfundenen Zitat: "Ich liebe die EU mehr als meine Heimat Bayern". Dadurch, dass das Logo des ZDF und die Fernsehsendung Markus Lanz genannt werden, soll suggeriert werden, dass der Satz authentisch sei. Doch auch dieses Statement ist gefälscht und in der Talkrunde so nie gefallen.
Vor allem Fakes zu Themen, die "stark emotionalisieren"
Um Weber sammle sich ein Social Media Team, das vor allem Facebook und Twitter, aber auch andere soziale Medien scannt, so Hügel. Mehrmals am Tag werde ein Report erstellt, das den Mitarbeitern ein Bild über die Stimmung im Netz vermitteln soll. Die Reports setzen sich zusammen aus Statements politischer Gegner, Medienberichten und Suchanfragen über Weber und Reaktionen auf eigene Beiträge, zum Beispiel auf seiner Facebook-Seite. Rechtlich vorgegangen sei das Team gegen gefundene falsche Behauptungen noch nicht, behalte sich das jedoch vor. Und auch verdächtige Accounts würden der jeweiligen Plattform regelmäßig gemeldet.
Wenn das Team auf Falschmeldungen trifft, handle es sich meistens um Themen, die "stark emotionalisieren": Migration, Verbrechen, Russland oder Patriotismus zum Beispiel. Von wem die falschen Informationen stammen, sei kaum herauszufinden, sagt Hügel. Dabei beobachtet das Team, dass die negativen Kommentare häufig in Wellen auftreten, "so zugespitzt, dass es sehr koordiniert aussieht".
Wie wappnen sich bayerische Kandidaten gegen Fakes?
Neben Manfred Weber haben wir auch die weiteren Kandidaten der CSU nach ihrer Erfahrung mit Desinformation befragt, außerdem die bayerischen Kandidaten der SPD, der Grünen, der Linken, der FDP und der AfD. Von 17 Anfragen haben wir von zehn Kandidaten eine Rückmeldungen erhalten. Dabei wird deutlich, dass mit abnehmender Bekanntheit auch das Aufkommen von Fakes rapide sinkt. Außer Weber ist von den bayerischen Kandidaten noch niemand auf Falschmeldungen über sich selbst gestoßen. Auch in der Datenbank der EU-Taskforce tauchen ihre Namen nicht auf, übrigens aber auch nicht der Manfred Webers.
Die SPD-Europaabgeordnete Maria Noichl steht auf Platz drei der bundesweiten Kandidatenliste und war wie alle anderen noch nicht persönlich von Angriffen betroffen. Falls sie während des Wahlkampfs Ziel einer Kampagne werden sollte, würde sie die falsche Tatsachenbehauptung richtig stellen, ihre Unterstützer online mobilisieren und gegebenenfalls rechtliche Schritte einleiten, schreibt sie auf die BR24-Anfrage. Ihr Parteikollege Ismail Ertug, auf dem zehnten Listenplatz, schlägt zudem vor, sich direkt an Facebook zu wenden, die eigenen Follower zu warnen oder die Verbreiter einer Falschmeldung direkt anzusprechen.
Auch bei den Grünen sei man darauf vorbereitet, besonders in der heißen Wahlkampfphase attackiert zu werden. Die Spitzenkandidatin der bayerischen Grünen Henrike Hahn (Listenplatz 13) schreibt: "Wir haben Vorsichtsmaßnahmen getroffen, wenn Accounts gehackt werden oder das Corporate Design für gefälschte Wahlplakate oder Sharepics verwendet wird. Und wir kennen die Wege, wie dies möglichst schnell und effizient gemeldet wird." In der Partei sei man ebenso auf Hatespeech, also auf beleidigende Hassrede, wie auf andere strafrechtlich relevante Angriffe vorbereitet.
Kritik an EU-Taskforce und Fake-Accounts
Éric Bourguignon von der Partei Die Linke kritisiert unterdessen die EU-Taskforce. Sie sei "zu klein, zu schlecht ausgestattet und es ist unklar, welche Sanktionsmöglichkeiten sie haben". Die Partei bereite sich mit Faktenchecks vor. Denn auch sie sei regelmäßig mit falschen Behauptungen konfrontiert: "Unsere Haltung für Europa und gleichzeitig für grundlegende, soziale Veränderungen der EU wird von interessierter Seite gern als 'antieuropäisch' bezeichnet. Das ist falsch. […] Bisweilen werden gefälschte Bilder mit unserem Logo versehen und damit unsere Position falsch dargestellt."
Der FDP-Kandidat Phil Hackemann (Listenplatz 11) hat sich mit solchen Accounts beschäftigt, die Falschmeldungen verbreiten: "Klickt man auf die Profile der Kommentatoren, findet man dann oft das übliche Bild: Profil erst kürzlich erstellt, wenige Freunde (bzw. genauso verdächtige Kontakte), Bild von Google Bilder (oder gar nicht vorhanden) etc." Von staatlicher Seite und den Internetkonzernen fordert er klare Strategien gegen Fake-Accounts. Die frühere FDP-Bundestagsabgeordnete Marina Schuster (Platz 21) sieht vor allem die Bundesregierung in der Pflicht, wenn es um die Bekämpfung von Falschmeldungen geht.
Bei der AfD hat keiner der drei angeschriebenen bayerischen Kandidaten auf unsere Anfrage reagiert.