Bei der Jahrestagung des Internationalen Währungsfonds und der Weltbank steht ein Aufsteller vor dem Haupteingang mit der Aufschrift "Annual Meetings 2023 Marrakech".
Bildrechte: picture alliance/dpa | Christophe Gateau
Audiobeitrag

In Marrakesch geht die Jahrestagung von IWF und Weltbank zu Ende.

Audiobeitrag
>

IWF und Weltbank: Tagung mit ambivalenten Signalen

IWF und Weltbank: Tagung mit ambivalenten Signalen

Die Weltwirtschaft hangelt sich, so wirkt es, von Krise zu Krise. Geopolitische Probleme und ein kleiner Hoffnungsschimmer - all das hat das Jahrestreffen von IWF und Weltbank im marokkanischen Marrakesch bestimmt.

Es wirkt ein bisschen surreal: Auf einem freien Gelände zwischen Altstadt und Flughafen ist in Marrakesch in Marokko für eine Woche eine Zeltstadt für die rund 15.000 Gäste aus aller Welt aufgebaut. Die Klimaanlagen surren, um die Temperaturen für die Hunderte von Panels auf dem Veranstaltungsgelände erträglich zu gestalten, draußen hat es bis zu 37 Grad. Der Aufbau der Zelte begann vor etwa drei Monaten - ähnlich wie man das vom Oktoberfest auf der Münchner Theresienwiese her kennt. Nur die Fahrgeschäfte fehlen.

Erst zum zweiten Mal IWF-Jahrestagung in Afrika

Bunt geht es dennoch zu: Zwischen Kostümträgerinnen und Anzugträgern bewegen sich auffallend viele Delegierte in traditionellen arabischen und afrikanischen Trachten. Was auch dem Tagungsort geschuldet ist: Es ist erst das zweite Mal, dass der Internationale Währungsfonds (IWF) und die Weltbank ihre Jahrestagung in Afrika durchführen. Was ganz Marokko stolz macht, wie der deutsche Botschafter im Land, der gebürtige Aschaffenburger Robert Dölger, feststellt: Marokko erhält die Möglichkeit, sich als aufstrebende Wirtschaft zu präsentieren. Wobei, so ergänzt Dölger, auch der Fußball das Land in wahren Freudentaumel versetzt hat, nachdem es die Nationalmannschaft bei der WM in Katar bis ins Halbfinale geschafft hatte. Und 2030 soll das nordafrikanische Land sogar Co-Gastgeber einer Fußball-WM werden.

Tagung in Marokko - trotz Erdbeben

Beinahe hätte die Tagung allerdings verlegt werden müssen. Anfang September erschütterte ein schweres Erdbeben das Land, fast 3.000 Menschen verloren das Leben. Bei IWF und Weltbank wurde daran gedacht, in Washington oder digital zu tagen, auch um die Aufräumarbeiten nicht zu gefährden. Schließlich mussten auch Fahrzeuge und Arbeiter, die beim Aufbau der Zeltstadt eingesetzt waren, zwischenzeitlich abgezogen werden. Doch Marokko bat eindringlich darum, die Tagung nicht abzusagen. Zumal in Marrakesch selbst keine Schäden sichtbar sind - dazu muss man schon gut eine Stunde in kleinere Dörfer fahren.

Noch keine schwerwiegenden Auswirkungen des Nahost-Konflikts

Für die Gäste aus der internationalen Finanzwelt spielt zunächst auch ein anderes Thema im Vordergrund: Welche Folgen hat die jüngste Eskalation im Nahen Osten nach dem Terror der Hamas? IWF-Direktorin Kristaline Georgiewa spricht von einer weiteren Wolke, die den Horizont verdunkelt. Christian Sewing, der Chef der Deutschen Bank, der in Marrakesch den Bundesverband deutscher Banken vertritt, sieht im Moment noch keine schwerwiegenden wirtschaftlichen Auswirkungen. Das könne sich aber schnell ändern - sollte der Iran direkt in den Konflikt mit einbezogen werden oder der Ölpreis dauerhaft über 100 Dollar steigen.

Deutschland erwartet 0.5 Prozent Minus beim BIP

Dabei kämpft die Welt bereits mit genug Krisen. Der Internationale Währungsfonds hat seine Wirtschaftsprognosen gesenkt, besonders schlecht sieht es für Deutschland aus - hier rechnet der IWF mit einem Minus beim Bruttoinlandsprodukt von 0,5 Prozent. Das Bild vom "kranken Mann Europas" hält Bundesbank-Präsident Joachim Nagel allerdings für falsch - gerade bei einer internationalen Tagung wie in Marrakesch zeige sich, dass Deutschland nach wie vor als Stabilitätsanker gesehen wird.

Zinslasten für die Staaten wachsen weiter

Die Weltwirtschaft wird aber nicht allein von geopolitischen Krisen belastet. Viele Staaten stehen einerseits vor großen finanziellen Herausforderungen insbesondere für den Umbau zu einer klimaneutralen Wirtschaft, betont Gita Gopinath, die Ex-Chefökonomin des IWF; andererseits haben sich die Finanzierungsbedingungen wegen der gestiegenen Zinsen massiv verschlechtert. In Marrakesch werden neue Zahlen vorgelegt, wie sich die Zinslasten der Staaten in den kommenden Jahren entwickeln. Gopinath nennt das Beispiel der USA, wo die Zinsen 2019 einem Anteil von 8 Prozent der Staatseinnahmen entsprachen - ein Anteil, der bis 2028 auf 14 Prozent steigen könnte.

Finanzminister Lindner sieht sich bestätigt

Zahlen, durch die sich Bundesfinanzminister Christian Lindner (FDP) in seiner Haushaltspolitik klar bestätigt sieht. Höhere Schulden würden einerseits künftige Handlungsspielräume schmälern und zugleich die Geldpolitik der EZB konterkarieren: Der Versuch, mit geliehenem Geld die Konjunktur zu beleben - Linder nennt als Beispiel Forderungen, den Bau zu unterstützen - würde die Inflation anfeuern und die Notenbank zwingen, noch stärker gegen die Inflation vorzugehen.

Aufbruchssignale aus Marrakesch

Doch auch wenn die Diskussion über die geopolitischen und wirtschaftlichen Risiken dominiert - aus Marrakesch kommen auch Signale des Aufbruchs. Am deutlichsten wird dies bei der Reform der Weltbank, die sich künftig neben der Armutsbekämpfung der Bekämpfung des Klimawandels sowie anderer grenzübergreifender Probleme widmen will. Allein schon darauf ist Entwicklungshilfeministerin Svenja Schulze (SPD) stolz. Darüber hinaus sei es bemerkenswert, so Schulze, dass bei diesem Thema eine Verständigung auch mit Russland und China möglich war.

Geopolitische Spannungen beeinflussen Abschlusserklärung

Bei anderen Themen funktioniert das nicht: Bei der Neuaufteilung der Gewichte innerhalb des IWF gibt es noch keine Ergebnisse. Auch an anderer Stelle zeigen sich Differenzen: Während die Finanzminister aus den G7-Staaten, die nur westliche Demokratien umfassen, bei ihrem informellen Treffen in Marrakesch den Terror der Hamas klar verurteilen und ihre Solidarität mit Israel bekunden, kommt dieses Thema in der Abschlusserklärung der G20-Staaten nicht zur Sprache.

So geht von der Tagung in Marrakesch ein ambivalentes Signal aus: Der Einigung zur Reform der Weltbank sowie der stärkeren Einbeziehung Afrikas durch die Wahl des Tagungsortes stehen die weiterhin starken geopolitischen Spannungen gegenüber - die eben auch Auswirkungen auf die Weltwirtschaft haben.

Das ist die Europäische Perspektive bei BR24.

"Hier ist Bayern": Der BR24 Newsletter informiert Sie immer montags bis freitags zum Feierabend über das Wichtigste vom Tag auf einen Blick – kompakt und direkt in Ihrem privaten Postfach. Hier geht’s zur Anmeldung!