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Sozialrichter Robert von Renesse

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Ein Richter ruiniert seine Karriere im Kampf um Ghettorenten

Ein Richter ruiniert seine Karriere im Kampf um Ghettorenten

Sozialrichter Jan-Robert von Renesse hat früheren Ghettoarbeitern zu Rentenzahlungen verholfen. Für Holocaustopfer ist er ein Held. Seine Karriere hat er darüber ruiniert. Jetzt erhält Renesse den Dachau-Preis für Zivilcourage. Von Julia Smilga

Der Dachau-Preis für Zivilcourage ist für den Sozialrichter Jan-Robert von Renesse bereits die dritte Auszeichnung in diesem Jahr. Im Oktober bekam er den Preis der jüdischen Gemeinde Düsseldorf, im November ehrte ihn die Janusz Korczak Akademie in Berlin mit einem Preis für Menschlichkeit. Diese Anerkennungen stehen in krassem Gegensatz zur beruflichen Situation des Richters.

Disziplinarverfahren gegen Richter von Renesse

Jan-Robert von Renesse kämpfte viele Jahre lang für eine angemessene Entschädigungen der Ghettoopfer. Gleichzeitig stand er im Zentrum eines schweren Konflikts am Landessozialgericht Nordrhein-Westfalen.  

"Das war so ein Albtraum, dass ich mich ernsthaft gefragt habe – wovon werde ich meine Familie ernähren, wenn ich aus der Justiz rausgeworfen werde." Jan-Robert von Renesse, Sozialrichter

Der Streit mit der NRW-Justiz gipfelte in einem Disziplinarverfahren vor dem Dienstgericht in Düsseldorf. Der damalige Nordrhein-Westfälische Justizminister Thomas Kutschaty von der SPD warf Renesse "Rufschädigung der Sozialgerichtsbarkeit" vor. 

"Indem er der nordrhein-westfälischen Justiz vorgeworfen hat, dass sie Absprachen und Anordnungen trifft, die zum Nachteil der Holocaustüberlebenden gewirkt haben. Das ist so nicht richtig, das kann die Justiz so nicht stehen lassen." Marcus Strunk, stellvertretender Pressesprecher NRW-Justizministerium

Kampf um Ghettorenten: "Schreiendes Unrecht"

Der Streit hatte damit begonnen, dass Renesse Ghettorentenanträge aus Israel anders verhandelte als damals in Deutschland üblich.

"Das Schlimmste war, dass man sie nicht persönlich angehört hat. Als ich Richter wurde, sagte mir mein Präsident: Machen Sie Ihre Gerichtsverfahren so, als wäre die Klägerin Ihre eigene Großmutter. Wenn ich mir vorstellen würde, meine Großmutter klagt auf Rente und kriegt höchstens einen Fragebogen zugeschickt und kann sich nie persönlich, direkt von Angesicht zu Angesicht, äußern und ihr Leid klagen - dann würde ich sagen, das ist ein schreiendes Unrecht" Jan-Robert von Renesse, Sozialrichter in Essen

Ein Unrecht, das nach Renesses Meinung hausgemacht war. Rente gibt es in Deutschland nur für freiwillige und bezahlte Arbeit. Um eine Rente zu bekommen und dafür eine Entlohnung bekamen - und wenn es nur ein Stück Brot war. Doch von den 88.000 Ghetto-Arbeitern, die die Rente beantragt hatten, konnten nur die wenigsten einen solchen Beweis erbringen.

Besonders schwer hatten es die israelischen Antragsteller in dem für sie zuständigen Land Nordrhein-Westfalen. Ihre Anträge wurden zu über 90 Prozent abgelehnt. Eine Klage vor Gericht hatte kaum Erfolg. Denn die zuständigen Richter urteilten meist ausschließlich nach Aktenlage.

Der Richter wird zum Rebell

Doch es kam zu Verzögerungen. Rentenkasse und Justiz in Nordrhein-Westfalen vereinbarten ein Moratorium, die Klagen sollten ein halbes Jahr nicht bearbeitet werden. Richter Renesse wurde zum Rebell und bearbeitete seine Fälle weiter. Er stößt auf Widerstand und wird 2010 endgültig von den Ghettorentenfällen abgezogen.

2012, nach über drei Jahren Streit, wendet sich Renesse mit einer Petition an den Bundestag. Er fordert eine längere rückwirkende Zahlung der Ghettorenten und prangert die Zustände in der nordrhein-westfälischen Justiz an. Dieser politische Schritt war es, der den Ghettorentnern am Ende Gerechtigkeit verschaffen sollte, die Karriere des Richters aber besiegelt.

Wegen der Vorwürfe gegen die Justiz muss er sich vor einem Richterdienstgericht verantworten. Renesse bietet sein Schweigen an, weicht in der Sache aber nicht zurück.

"Ich würde die Sache beenden und für immer meinen Mund halten. Soweit werde ich gehen. Was ich nicht kann: Ich kann nicht sagen, ich habe etwas Falsches getan." Richter Jan-Robert von Renesse

"Gedankt wurde ihm nur von den Überlebenden"

Das Verfahren ist inzwischen abgeschlossen, er darf seine Vorwürfe gegen die NRW-Justiz nicht wiederholen. In der Sache aber hat Richter Jan-Robert von Renesse einen historischen Erfolg errungen. Auf seine Petition hin verabschiedete der Deutsche Bundestag 2014 ein neues, großzügigeres Ghettorentengesetz.