Menschenrechtsorganisationen, NGOs, Journalisten sowie Flüchtende und Migranten selbst haben Fälle von sexualisierter Gewalt durch kroatische Polizisten entlang der kroatisch-bosnischen Grenze dokumentiert. Sie fanden bei illegalen Abschiebungen statt, sogenannten Pushbacks. Die kroatischen Behörden dementieren solche Berichte und weisen alle Vorwürfe zurück.
"Wer von euch ist schwul?"
Das sei seine Gruppe von kroatischen Polizisten gefragt worden, erzählte ein Mann aus Bangladesch NGOs und dem britischen Guardian Ende Oktober 2020. Alle hätten sich nackt ausziehen und dann hintereinander stellen müssen, die Hand auf der Schulter des Vordermanns. Dann seien sie geschlagen und ausgeraubt worden. "Bist du schwul?" habe einer der Polizisten erneut einen der Männer gefragt, bevor dieser dann mit einem Ast sexualisiert misshandelt worden sei.
"Ich wollte in diesem Moment lieber tot sein." Zeuge sexualisierter Gewalt
Zwei junge Männer aus Afghanistan erzählen hier von besonders brutalen Übergriffen, die sich am 12. Oktober 2020 abgespielt hätten. Die beiden werden mit einer Gruppe von insgesamt neun Menschen von der kroatischen Polizei erwischt, nachdem sie ohne hierfür gültige Papiere die Grenze überquert haben. Das Gespräch mit den beiden jungen Männern aus Afghanistan wurde im November 2020 bei Sarajevo auf Dari geführt. Die Erlebnisse haben wir gekürzt wiedergegeben, die Namen der beiden sind dem ARD Studio Wien/Südosteuropa bekannt. Wir nennen sie Zeuge 1 und Zeuge 2.
Auf einer Polizeistation in Zagreb
"Es war Oktober, Ende Oktober, als wir unser letztes 'Game' versucht haben", berichtet Zeuge 1. Man habe die Grenze nach Kroatien überqueren und dann weiter nach Italien gelangen wollen. Leider habe das "Game" nicht geklappt und man sei von der kroatischen Polizei geschnappt worden. "Wir waren fünf Afghanen und sie haben uns nach Zagreb zu einer Polizeistation gebracht. Wir waren zwei Tage und Nächte dort, dann ist so gegen 1 bis 2 Uhr nach Mitternacht ein Polizeiauto gekommen, das Auto, das Flüchtlinge zur Grenze bringt, um sie nach Bosnien zu deportieren." In dem Auto hätten vier Menschen gesessen, die arabisch gesprochen hätten. Insgesamt seien es neun Personen gewesen. Man sei ca. ein bis eineinhalb Stunden gefahren und dann dort angekommen, wo man abgeschoben werden sollte.
"In der Polizeistation in Zagreb haben wir einen Antrag auf internationalen Schutz gestellt - wir sind Flüchtlinge", sagt Zeuge 2. Man habe in Kroatien bleiben wollen. "Sie sagten nein." Eine freundliche Polizistin habe erklärt, sie würde den Antrag auf Asyl ja weiterleiten, aber es habe keinen Sinn, denn die Männer aus Afghanistan seien nicht die Ersten, die Asyl wollten. Man werde sie sowieso abschieben und den Antrag werde man nicht annehmen, so die Beamtin. Sowas mache man hier nicht.
"I will kill you"
Zeuge 1 fährt fort: "Wir haben aus dem Autofenster bis zu 17 Polizisten gesehen, sie waren sehr groß und breitschultrig und alle trugen schwarze Masken und waren nicht zu erkennen. Sie erlaubten uns nur einzeln auszusteigen." Die Beamten hätten zuerst die Taschen der Migranten durchsucht und diese dann weggeschmissen. Danach hätten die Polizisten ihnen gesagt, sie sollten nicht nach oben schauen und keinen Augenkontakt aufbauen. Dann wären sie durchsucht und dazu aufgefordert worden, sich auszuziehen. Auch die Unterhose hätten sie ablegen müssen. "Währenddessen, haben uns immer zwei oder drei Polizisten mit Fäusten, Tritten und Schlagstöcken geschlagen", so Zeuge 1.
"Do not come back to Croatia"
Alle Polizisten, die man gesehen habe, seien sehr groß gewesen und hätten ihre Gesichter verdeckt gehabt. "Sie waren bereit, uns zu foltern und sie waren darauf vorbereitet, sie benutzten Schlagstöcke, dazu auch noch Fäuste und Füße." Ihre Uniformen und sogar die Handschuhe seien schwarz gewesen, erinnert sich Zeuge 1. Und die Englischkenntnisse der Polizisten seien nicht gut gewesen. "Zum Beispiel konnten sie nur sagen 'why came you to Croatia', 'I will kill you', 'do not come back to Croatia'.
Unbeschreiblich beschämend
"Sie hatten keine normalen Schlagstöcke, sondern von Bäumen abgeschnittene Äste. Diese dienten ihnen als Foltermittel für Flüchtlinge", sagt Zeuge 2. Die Polizisten hätten daraus ein Spiel gemacht - mit Levels. Nach dem ersten Level habe man die Flüchtlinge gezwungen, sich hinzulegen. Eine dritte Person habe sich dann auf die bereits Liegenden legen müssen und eine vierte Person oben drauf. "Es war wie eine Sexposition, so musstest du dich hinlegen. Es ist unbeschreiblich beschämend", erzählt Zeuge 2. "Weil Mann auf Mann ist im Islam auch nicht erlaubt. Wir mussten es aber erdulden und es über uns ergehen lassen. Wir hatten keine Wahl." Die Beamten hätten sie gezwungen so zu tun, als ob sie Sex haben würden.
"Ich wollte in dem Moment lieber tot sein, als solch eine Erniedrigung zu erleben." Zeuge 2
Sie hätten nur lebendig da rauskommen und nach Bosnien gehen wollen, sagt Zeuge 2. Diese Erlebnisse vergesse man sein Leben lang nicht. Auf Arme, Beine, Kopf, Oberkörper hätten die Polizisten mit Fäusten, Füßen und Stöcken geschlagen. Dann habe man sie in einer Linie aufgestellt. Alle neun. Die Beamten hätten jeweils einen umringt und auf ihn eingeschlagen, bis er die Grenzlinie passiert habe. Dann sei der Nächste aus der Reihe dran gewesen - bis alle durch waren und alle die Grenzlinie überschritten hätten. "Erst dann war es vorbei."
Sie schlugen länger als eine Stunde auf uns ein
"Es war ein sehr schwieriger Moment. Dieses Gefühl hatte ich noch nie in meinem Leben. Sogar in meinem Land, in dem Krieg herrscht und all die anderen Probleme sind, habe ich so ein Gefühl nicht gekannt", sagt Zeuge 2. In dem Augenblick denke man an das Ende seines Lebens. Das Schlimmste sei gewesen, dass man weder für sich noch für andere etwas hätte tun können. "Du konntest nur zuschauen wie sie wild und barbarisch foltern." Das Ganze habe länger als eine Stunde gedauert. "Ich kann den Moment und das Gefühl kaum beschreiben, aber ich denke, dass sogar der Tod selbst einem leichter fallen würde, als diese Folterungen durchzuhalten."
Einheimische haben geweint
Nach der Folter seien sie durch Dunkelheit, Nässe und Kälte bis zu einem verlassenen Haus gegangen, erzählt Zeuge 1. "Wir hatten Angst, dass wir aus Versehen wieder nach Kroatien kommen und sie uns dieses Mal sicher töten. Also haben wir uns entschieden, bis zum Sonnenaufgang in dem Haus zu bleiben." Danach hätten sie sich aus Müllsäcken, die draußen lagen, eine Art Hülle gebaut, um zumindest ihren Intimbereich zu decken. Sie seien dann zu einem nahe gelegenen Dorf gegangen. Die Einheimischen hätten ihnen geholfen und Kleider gegeben. "Sie haben sogar wegen uns geweint, weil wir so bemitleidenswert ausgesehen haben. Zusammengeschlagen und nackt."
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