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Ziegenkarussell

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Corporate Rococo: Stefan Dillemuth im Münchner Lenbachhaus

"Regulär 10 Euro, ermäßigt 5" heißt die Ausstellung des Künstlers Stefan Dillemuth im Münchner Lenbachhaus. Der Titel klingt weit profaner, als die vieldeutige und spielerisch Kunst von Dillemuth ist. Von Christine Hamel

Da hängt eine Glühbirne von der Decke und sendet zuckende und blinkende Signale zu einem auf dem Boden angeordneten Kreis aus gekochten Spaghetti. „Return of the Arecibo Message“ nennt sich dieses Schlüsselwerk in der Ausstellung von Stephan Dillemuth im Münchner Lenbachhaus. Die Arecibo Botschaft ist eine Radiowellennachricht, die 1974 vom Arecibo Observatorium in Puerto Rico ins All gesendet wurde – eine Message an Außerirdische, die uns Menschen hier vorstellen sollte – unter anderem mit unserer DNA, mit unseren Zahlen und den Formeln der Chemie. Ihr Empfang wurde nie bestätigt und ob die Botschaft bei den Aliens angekommen wäre, muss auch dahingestellt bleiben. Kommunikation ist immer ein Risikounternehmen – das gilt auch für die Kunst Stephan Dillemuths. Ich finde, die Dinge müssen erstmal so ungewöhnlich sein oder so anders, dass man neugierig wird und selber versucht, was zusammen zu reimen, ja ich denke, so ein erster Schritt ist erst einmal Neugier zu machen und die dann ein bisschen am Kochen zu halten.

Coroprate Rokoko

Die Kunst im Dienste des Staunens und Verblüffens. Da stehen zwei Ziegen auf sich drehenden Zahnrädern und schauen sich eine Diashow mit den Arbeiten des Künstlers an. Eine Ziege wird dabei gefilmt, der Betrachter auch. Multimedial und kaleidoskopisch erzählt Stephan Dillemuth vom Lebensraum als Panoptikum. In einer anderen Arbeit wirkt wie ein Überwachungsballett, das der 1954 geborene Künstler die zunächst ganz profan beschreibt: „Es sind sechs Kameras, die sich da im Kreise drehen und sich gegenseitig überwachen, gleichzeitig wird man aber auch selber aufgenommen und woanders sieht man die Situation, wo man selber die Arbeiten betrachtet.“ „Corporate Rokoko“ nennt Dillemuth diese Vervielfältigungen wie durch Spiegel, die danach fragen, wie viel Privatheit es angesichts um sich greifender Überwachungsgelüste noch gibt. In einer sehr hoch aufgetürmte Perücke stecken die Kameras in den Lockenwicklern. Da geht es nicht nur um die Ausspähung der Bürger, sondern auch um den Zauber der Verrückungen. Dillemuths Kunst liebt Andeutungen, weckt Ahnungen und verschreibt sich dabei weniger dem Verborgenen als den künstlich erzeugten Nebeln. Eine spielerische Attitüde, getragen von feinsinnigem Humor und breit angelegtem Wissen. „Das Versagen, die animalischen Instinkte zu kontrollieren“ ist eine Arbeit, die zwei Gipshände zeigt, die gierig nach etwas fassen. Aus den in Gips abgegossenen Unterarmen ragen Schweinshaxen. Das schauerliche theatralische Arrangement ist nur schwer zu fassen, denn es liegt in einem Glaskasten, in dem sich – je nach Klima – Kondenswasser bildet. Ein Verweis auf die Hitze des Raffens.

Farbnebel des Ungefähren

Der Wechsel von Erkennbarkeit und Unerkennbarkeit der Motive, die Unentschiedenheit und Zweideutigkeit der Situation, das Offenbleiben hat Methode in der Ausstellung, der Stephan Dillemuth den ganz und gar profanen und eindeutigen Entweder-Oder-Titel „Regulär 10 Euro, Ermäßigt 5“ gegeben hat. Die Frage, ob schön oder nicht schön hingegen wirft eine Galerie von 38 Frauenportraits auf. Im schwarzen Farbnebel des Ungefähren verfangen, scheinen sie sich nicht ganz ans Licht zu wagen, geradezu als gebe es kein Hinaus aus der Nacht der Vergeblichkeit. Die neoexpressiven Portraits sind ein Echo auf die „Schönheitengalerie“ von 28 Münchnerinnen im Nymphenburger Schloss, die Joseph Karl Stieler für Ludwig I gemalt hat. Dillemuth verwandelt alles in Konzeptkunst: „Das war eben 1984 oder 1985, wo ich die gemalt habe und das war natürlich zu Zeiten der Punkbewegung, da hat man Kategorien wie schön und hässlich befragt auf ihre Gültigkeit. Es gab da auch so eine Invertierung: das Schöne ist hässlich, das Hässliche ist schön. Es ist immer wieder wichtig, dass solche Hinterfragungen geschehen, weil durch Marketing, Zeitgeist natürlich immer Neubewertungen erfolgen beziehungsweise auch Schönheitsideale weiter geschaffen werden, worunter mehr als die Hälfte der Bevölkerung auch leidet.“ Hintergründig verwebt und kunstvoll verrätselt sind die Botschaften der Kunst – ob sie ankommen, steht manchmal in den Sternen. Aber die Freiheit der Kunst wirkt ansteckend.