Die Autoren von kinokino, dem Filmmagazin im BR Fernsehen lassen 2022 Revue passieren. Viel haben sie gesehen, doch einige der folgenden Produktionen haben sie besonders beeindruckt.
Antje Harries von kinokino ist beeindruckt von Emma Thompson in der Komödie "Meine Stunden mit Leo". Thompson spielt darin eine sexuell frustierte Lehrerin und Witwe, die sich einen Callboy (Leo) mietet, um endlich auch mal einen Orgasmus zu erleben. Ein kluger Film über Sexualität, gesellschaftliche Rollenbilder, die eigene Befreiung.
Kenneth Branagh feiert das Kino mit seinem Drama "Belfast"
Florian Kummerts Top des Jahres ist Kenneth Branaghs autobiografischer Spielfilm "Belfast" - ein schwarzweißes Drama über eine Familie und ihr Leben in den 60er Jahren in der irischen Hauptstadt. Eine Familie gebeutelt von ersten Unruhen zwischen Katholiken und Protestanten, bedroht von Entwurzelung durch den stetig gewaltsamer werdenden Konflikt vor der Haustür. "Belfast" ist laut Kummert aber auch ein ergreifendes Plädoyer für die Macht des Kinos. Wenn die Familie beim Besuch eines Lichtspieltheaters vom Geschehen auf der großen Leinwand verzaubert wird, wechselt der Schwarzweiß-Film "Belfast" kurz zum Farbfilm - ein großartiger inszenatorischer Kniff von Regisseur Branagh.
"Elvis" lebt
Für Heiko Rauber machte Baz Luhrmanns "Elvis" das Rennen als bester Film 2022 - eine visuell und klanglich rauschhafte Inszenierung von Aufstieg und Fall des "King of Rock'n'Roll", getragen vor allem durch die Präsenz von Oscarpreisträger Tom Hanks als Elvis' Manager Tom Parker. Doch auch Austin Butler in der Titelrolle ist eine Entdeckung. Laut Rauber passen Butler die Schuhe des King genauso gut wie Elvis' sein Glitzeranzug.
Netflix, besser Dich!
Doch nicht nur Beeindruckendes, auch Ärgerliches hatte das Kino 2022 zu bieten. kinokino-Autor Heiko Rauber verzieht leicht das Gesicht, als er seinen Flop, die Komödie "Liebesdings" vorstellt. Elyas M'Barek spielt hier mehr oder weniger sich selbst als überforderten Filmstar stets auf der Flucht vor den Medien und den Fanscharen. Eines Tages rettet er sich in ein Kleinkunsttheater, trifft auf eine feministische Komikerin ... und kommt natürlich mit ihr zusammen. Anika Deckers Film ist nicht nur sehr flach, er gibt sich als moderne Geschichte über Geschlechtergleichheit und pro Feminismus, nur um dann doch wieder in die gleichen Klischees zu verfallen. Und sich am Ende mit der Hetero-Lovestory als Mogelpackung herauszustellen.
Während Florian Kummert mit den Augen rollt, wenn er von der "Horror-Gurke" "Halloween Ends" spricht - der schlechteste Film der neuen "Halloween"-Reihe mit der einst so resoluten Jamie Lee Curtis als lahme Oma - holt kinokino-Autor Gregor Wossilus zu einem Rundumschlag nicht gegen einen Film, sondern gleich einen ganzen Streaming-Service aus: Netflix. Ein Dorn im Auge ist dabei die Veröffentlichungspolitik von Netflix, ihre aufwendigen, teuren Filme nur wenige Wochen in die Kinos zu bringen. "Im Westen Nichts Neues" - für Deutschland im Oscarrennen - sei ein Film, der förmlich nach der großen Leinwand schreit, ein intensives Erlebnis im Kino. Doch dort läuft er gerade mal vier Wochen. Der wunderbare Krimi "Glass Onion - A Knives Out Mystery", in dem Ex-Bond Daniel Craig herrlich gegen sein 007-Image anspielt - er lief gerade mal eine Woche in den Kinos. Netflix mache große Filme für die große Leinwand, wo sie ein großes Publikum sehen sollte. Aber Netflix schickt sein Publikum dahin, wo es seit Jahren ist: nach Hause auf die Couch! "Hast Du vergessen, dass wir alle im Lockdown waren?" fragt Wossilus und verlangt eine dreimonatige Kino-Auswertung der Netflix-Spielfime. Dem Kino täte das ganz sicher gut. Und den Netflix-Filmen erst recht.
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