Von Freiheit und Haft, von Verzweiflung und Hoffnung handeln Faraj Bayrakdars Gedichte, die nun als Liederzyklus in der deutschen
Version uraufgeführt werden. Die Haft und das Exil, das sind für den 67-Jährigen Exil-Syrer zwei Seiten einer Medaille:
Ich interessiere mich für das Paradoxe, für Widersprüchliches, für Gegensätze. Wenn ich irgendetwas Schönes sehe, denke ich sofort an das Gegenteil davon in Syrien. Wenn ich gut geschlafen habe, denke ich sofort an die Zeit in Haft, in der ich jahrelang nicht schlecht geschlafen habe. Ein anderes Beispiel: wenn ich ein Liebespaar im Park sehe, denke ich sofort daran, dass das in Syrien verboten ist. - Faraj Bayrakdar
"Wie gefährlich muss ich sein?"
Faraj Bayrakdar gehörte der verbotenen kommunistischen Arbeiterpartei in Syrien an und bekämpfte als Journalist das syrische Regime und den Staatspräsidenten Hafiz al-Assad, dem Vater des heutigen Staatschefs Baschar al-Assad. Im März 1987 wurde er verhaftet, schildert er in dem Dokumentarfilm „Geschichte der Freiheit“.
In den frühen Morgenstunden durchsuchten sie das Haus und nahmen mich fest. Als wir aus dem Haus kamen, dachte ich, ich könnte entkommen. Aber die Siedlung war abgeriegelt. Auf den Dächern ringsum waren Bewaffnete. Ich hätte nie gedacht, dass meine Stimme, mein Stift (mein Schreiben) so gefährlich ist, dass sie so viele Bewaffnete im Einsatz haben bei meiner Festnahme. - Faraj Bayrakdar
"Keine Besucher, kein Radio, kein Geld"
14 Jahre lang verbrachte er in verschiedenen Gefängnissen. Jahrelang wusste seine Familie nicht, ob er überhaupt noch am Leben ist. Zu Beginn der Haft wurde er 11 Monate lang brutal gefoltert. - Faraj Bayrakdar
Es war so brutal, dass ich oft auf die Intensivstation kam. Wenn ich mich erholt hatte, wurde ich wieder gefoltert. Ich war von allem isoliert, keine Besucher, kein Radio, kein Geld. Es gab gerade genug essen, um nicht zu verhungern. Nach fünf Jahren wurden wir auf internationalem Druck vor Gericht gestellt. Die meisten wurden zu 14 oder 15 Jahren verurteilt.
Er dichtete ohne Papier
In der Isolationshaft dichtet er ohne Stift und Papier, er memoriert die Gedichte. Später, als er einmal im Monat für wenige Minuten
seine Familie sehen durfte, schrieb er sie auf Zigarettenpapier. So gelang es, die Gedichte nach draußen zu schmuggeln. Der Schriftstellerverband PEN startete eine Kampagne für Bayrakdar, auch amnesty international setzte sich für ihn ein. Als ihm fünf Jahre nach seiner Entlassung wieder eine Festnahme drohte, entschied er sich für das Exil.
Als ich zum ersten Mal festgenommen wurde, war meine Tochter 4 Jahre alt. Sie hat 14 Jahre darauf gewartet, mich wieder zu sehen. Als ich mich entschied, ins Exil nach Europa zu gehen, war mein Sohn 2 Jahre alt. Ich wollte nicht, dass er dieselbe Erfahrung machen muss. Deshalb habe ich mich für das Exil entschieden. - Faraj Bayrakdar
Sind die Europäer rassistisch?
Bayrakdar vermisst Freunde und Verwandte in Syrien. Das Land und das Leben dort vermisst er nicht. In ein paar Jahren, so hofft er, wird
sich jemand gefunden haben, der Assad ablösen kann. Der syrische Exildichter beobachtet auch die Politik in Europa. Die Skepsis gegen Flüchtlinge, die in Teilen der Bevölkerung laut und oft artikuliert wird, bezeichnet er als Rassismus. Den europäischen Staatschefs gibt er eine Mitverantwortung an der Flüchtlingssituation
Ich denke, wenn Europa schon nach dem ersten syrischen Flüchtling der syrischen Diktatur die Maske vom Gesicht gerissen hätte, dann hätten sie viele Millionen retten können. Dann wäre alles ok. - Faraj Bayrakdar
Ruhig äußert der 67-Jährige seine Kritik an der Politik, genauso ruhig erzählt er von der Folter in Syrien. Ganz so, als würde er die Emotionen für seine Gedichte aufsparen.
Heute Abend um 19 Uhr in der Bayerischen Akademie der Schönen Künste, Max-Joseph-Platz 3, 80539 München