Es gewittert. Drinks werden eingeschenkt. Menschen in Badeanzügen ziehen Gartenstühle über die Terrasse. Eiswürfel klirren in den Gläsern. Die Hitze drückt. Zwei Familien verbringen ihre Ferien in einem Sommerhaus, um sie herum der Dschungel. So beginnt „La Ciénaga“. Mit ihrem Kinodebüt hat Lucrecia Martel 2001 das argentinische Kino erneuert. Wo vorher eher konventionell inszeniert wurde, immer ein bisschen garniert mit dem berühmten Magischen Realismus eines Gabriel Garcia Marquez, da kam plötzlich eine junge Frau daher, die Filme ohne konkreten Plot drehte, impressionistisch, aber ungemein präzise die Stimmungen eines Landes einfing.
Eigenwilliger Stil
Lucrecia Martel kokettiert mit ihrem eigenwilligen Stil, der fragmentarisch ist, in den man hineinfinden muss, der dann aber einen unglaublichen atmosphärischen Sog entwickelt. „La Ciénaga“ (auf Deutsch: „Der Morast“) war 2001 eine Abrechnung mit der weißen argentinischen Mittelschicht, die bis heute in Dekadenz und Agonie lebt, unfähig, das Land von den Geistern der Vergangenheit zu befreien und korrupte Strukturen zu bekämpfen. In der Anfangsszene knallt eine betrunkene Frau mit Gläsern in der Hand auf den Steinboden vor dem Pool, schneidet sich in die Brust, aber die anderen Erwachsenen nehmen kaum Notiz davon, holen sich neue Gläser und trinken munter weiter.
Unheilvolle Reise zu den Wurzeln des Rassismus
Die Zuschauer erleben in „La Cienaga“ fast physisch den maroden Zustand der argentinischen Gesellschaft. Im selben Jahr, in dem der Film entstand, ging Argentinien Bankrott. Die wirtschaftlichen Verhältnisse haben sich seit 2001 wieder gebessert, aber Rassismus, Machismus und eine spezielle Form von Apathie lähmen das Land nach wie vor. Davon handeln alle Arbeiten von Lucrecia Martel – auch ihre neue, „Zama“, die jetzt beim Filmfest zu sehen ist und bereits nächste Woche ganz regulär in die deutschen Kinos kommt. Darin erzählt Martel von einem Kolonialbeamten der spanischen Krone in der argentinischen Provinz, von einem Mann, der seit Jahren auf seine Versetzung wartet. „Zama“ ist eine unheilvolle Reise zu den Wurzeln des Rassismus – ein fiebernder Film, der mit hypnotischen Szenen an Klassiker wie Werner Herzogs „Aguirre, der Zorn Gottes“ erinnert. Martels Werke sind rätselhaft, sehr sinnlich und hemmungslos subjektiv. Wenn man eines von ihnen gesehen hat, kann es passieren, dass man süchtig wird.