Am Anfang hält sich Don Carlos eine Pistole ans Kinn, am Ende drückt er ab: Dazwischen läuft natürlich einiges schief im düsteren Spanien. Das ganze Land ist eine einzige Gruft: Im Keller stapeln sich die Totenschädel, im Palast drücken schwarze Wände schwer aufs Gemüt und schimmern grässlich, wie mit Eis oder Raureif überzogen. Ab und zu schaut der Großinquisitor vorbei und verbreitet Angst und Schrecken - und als ob das alles noch nicht deprimierend genug wäre, herrscht auch noch allgemeiner Liebeskummer.
Totentempel mit Schädelstätte
Kein Zweifel, Verdis "Don Carlo" ist ungefähr so verhängnisvoll wie ein schwarzes Loch: Kein Lichtstrahl entkommt dieser Oper, alle, die sich hierher verirrt haben, sind rettungslos verloren. Regisseur Jakob Peters-Messer und sein Ausstatter Markus Meyer wuchteten gestern Abend in Leipzig denn auch einen gewaltigen Totentempel auf die Drehbühne: Lauter alptraumhafte Verliese, dekoriert mit Kirchenbänken und Sarg, selbst der Festsaal wirkt eng und beklemmend. Eine riesige Heuschrecke hängt in einer Ecke an der Wand, offenbar das Wappentier dieses bizarren Schreckens-Staats.
Spanien: Eingemauert in Fanatismus
Wer jemals im Escorial-Palast in der Nähe von Madrid war, der weiß: Tatsächlich ist es ein imposantes, aber ungemein bedrückendes Riesen-Gebäude für die emsige Bürokratie und Gedankenpolizei des 16. Jahrhunderts. Insofern trifft die Leipziger Inszenierung mit ihrem strengen schwarz-weiß ohne einen einzigen Tupfer Farbe durchaus den Kern des Dramas. Hier hat sich ein ganzes Land eingemauert in seinem Fanatismus, und nicht mal Helden können helfen. Das Tragikomische am "Don Carlos" hat Regisseur Peters-Messer in Leipzig nicht interessiert: Es ist ja durchaus lachhaft, dass König Philipp II. sich in Schillers Trauerspiel mehr für seine Eifersucht als für den Aufstand in Flandern interessiert. Aber Oper ist ja keine Dokufiction!
Fünf Stunden sind es nicht
Schade, dass sich die Oper Leipzig für die vieraktige italienische Fassung von 1884 entschieden hat, da fehlt dann die wichtige Vorgeschichte der Urfassung. Die allerdings nimmt fünf Stunden in Anspruch, was schon den Parisern 1867 zuviel war - in Leipzig blieb es denn auch bei gestrafften dreieinhalb Stunden. Da musste sich das Publikum eben im Programmheft einlesen, um den ganzen Frust von Don Carlos zu verstehen. Der nämlich war mit Elisabeth kurzzeitig verlobt, die dann doch aus politischen Gründen seinen Vater Philipp II. heiraten musste, also von seiner Geliebten zu seiner Stiefmutter wurde. Ist tatsächlich so passiert, 1558, und zweifellos ein dankbarer Stoff, der allerdings auch etwas mehr Aktualisierung vertragen hätte, als bei Regisseur Jakob Peters-Messer zu sehen war.
Mehrheitsfähige Inszenierung, musikalische Qualität
Nun ist die Oper Leipzig vor allem deshalb wieder besser besucht, weil sie auf unaufgeregte, unspektakuläre und mehrheitsfähige Inszenierungen setzt, dafür aber musikalische Qualität bietet. Einmal mehr überzeugte das Gewandhausorchester unter der Leitung des scheidenden Kapellmeisters Anthony Bramall. Souverän und diszipliniert geht er zu Werke, lodernde Leidenschaften sind seine Sache nicht, aber in einem Ideendrama wie diesem geht das völlig in Ordnung. Sehr achtbare Leistungen lieferten die Sänger ab: Matthias Hausmann war ein herzergreifender Freiheitskämpfer Rodrigo, Kathrin Göring eine staunenswert auftrumpfende Prinzessin Eboli. Auch Riccardo Zanellato als König Philipp II. begeisterte mit Stimme, Aussehen und wirklich gravitätisch-königlichem Gestus. Der uruguayanische Tenor Gaston Rivero als Don Carlo meisterte seine Partie stimmlich großartig, hätte aber schauspielerisch noch emotionaler sein können. Bei Gal James als Königin Elisabeth war es genau umgekehrt: Sie spielte glaubwürdig, sang allerdings arg verschattet. Insgesamt viel Beifall, wenn auch keine Ovationen für das Regieteam.
Wieder am 8., 15. Oktober und 26. November.