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Cover zur Longlist des Deutschen Buchpreises 2017

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Kommentar: Die Longlist zum Deutschen Buchpreis 2017

Kommentar: Die Longlist zum Deutschen Buchpreis 2017

Viel Mittelfeld, wenige Schwergewichte auf der Longlist des Deutschen Buchpreises. Ausnahmen sind Ingo Schulze, Feridun Zaimoglu oder Franzobel. Favorit dürfte Thomas Lehr mit seinem Opus magnum "Schlafende Sonne" sein. Von Cornelia Zetzsche

Über dieses Thema berichtet: kulturWelt am .

20 aus 200 Titeln von über 100 Verlagen hat die siebenköpfige Jury gewählt, und will man diesem Jahrgang ein Etikett anheften, so heißt das: Mittlere Lage ohne Risiko – mit reichlich Spaßfaktor. Wenige Schwergewichte, viele Mittelfeldspieler, mittleren Alters, mittlerer Prominenz, die wenigsten im Mittelpunkt des Literaturbetriebs, von wenigen Ausreißern abgesehen.

Ingo Schulze, Feridun Zaimoglu, Franzobel

Ingo Schulze etwa und sein wunderlicher Held "Peter Holtz": ein Simplizissimus, ein Kaspar Hauser in der DDR, ein Waisenjunge und gelernter Kommunist, der nach der Wende reich wird, durchs Märchen des Kapitalismus stolpert und sich emanzipiert. Oder Feridun Zaimoglu, einer der zwei von zwanzig Autoren, die sprachlich etwas wagen. Die Sprache ist die eigentliche Heldin von Zaimoglus Luther-Romans "Evangelio".

Weshalb um Himmels willen ein Unterhaltungsmillionär wie Sven Regener mit der Longlist literarisch geadelt werden muss, bleibt ein Geheimnis dieser Jury aus Kritikern und Literaturveranstaltern. Keine Buchhändlerin ist diesmal dabei, sonst so gern die Stimme des Volkes, die Gewagtes aushebelt.

Köcheln auf mittlerer Flamme

Köcheln auf mittlerer Flamme also, das heißt auch: keine Verbeugung vor großen Namen wie Martin Walser, Uwe Timm oder Christoph Hein. Und – das ist erfreulich – kein künstlicher Hype um prominente Söhne und Töchter wie Theresia Enzensberger, Rudolph Herzog oder Simon Strauß. Aber eben leider auch kaum sprachliche Kapriolen, dabei wurzeln viele Nominierte in der Lyrik, wie Marion Poschmann, die erst mit Prosa in den Blick gerät.

Es gibt Politisches wie "Die Hauptstadt" von Robert Menasse, der ein Schwein durch Brüssel jagt. Oder wie Franzobels tragikomische Bootskatastrophe von 1816, "Das Floß der Medusa", auf dem nicht Afrikaner sitzen, sondern ihre Kolonialherren, ohne moralischen Kompass, eines der wenigen Bücher dieser Liste, die beißen, stechen, anrühren, wie es die Jurysprecherin versprach.

Thomas Lehr als Favorit?

Gut, es gibt Geheimtipps wie Christine Wunnicke, die seit Jahren ihre wunderbaren zarten Schattenrisse entwirft. Manchen, der schon zu lang im Schatten schreibt und nun ans Licht geholt wird, wie Mirko Bonné. Debütantinnen wie die Migrantin und angesagte Dramatikerin Sasha Mariana Salzmann vom Berliner Maxim Gorki Theater

Aber diese Longlist ist ein Themen- und Formen-Mix, der brav auf mittlerem Kurs die bunte Buch-Produktion des letzten Jahres spiegelt. Noch ungekrönter Favorit im Rennen und ein Wiederholungstäter ist Thomas Lehr. 2010 schrammte er schon einmal sehr knapp am Deutschen Buchpreis vorbei. Er ist einer der virtuosesten und klügsten Autoren des Landes, der in wenigen Tagen den ersten Band seines Opus magnum vorlegt: "Schlafende Sonne", ein hochartifizielles poetisches Porträt des 20. Jahrhunderts, aus der Sicht einer jungen Frau heute, mit jeder Menge Physik. 

Herausragend in diesem Club der zwanzig in – zumeist – mittleren Lagen. Wenn es im September mit rechten Dingen zugeht, trennt sich die Jury bei der Shortlist im September von zu viel mediokrer Unterhaltungsware und kürt im Oktober Thomas Lehr.