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Liebe ist nicht von Pappe: "Cosi fan tutte" in Würzburg

Liebe ist nicht von Pappe: "Cosi fan tutte" in Würzburg

So machen es alle, oder nicht? Zu Mozarts Zeiten, im Rokoko, war Treue jedenfalls keine Kardinaltugend. Liebe sollte allzeit vergnüglich bleiben. In Würzburg gelang eine überzeugende "Cosi fan tutte"- Inszenierung. Nachtkritik von Peter Jungblut.

Über dieses Thema berichtet: Die Kultur am .

Sie waren also doch zu pessimistisch, Mozart und sein Textdichter Lorenzo da Ponte: Nein, nicht alle Frauen sind untreu, nur ungefähr 55 Prozent. So jedenfalls war es auf der Bühne des Würzburger Mainfrankentheaters zu lesen, und die Dramaturgen werden ja wohl gründlich recherchiert haben! Gleichwohl bleibt "Cosi fan tutte" natürlich aktuell, geht es doch um die Unfähigkeit, den eigenen Treueschwüren zu genügen, Moral nicht nur zu predigen, sondern zu leben. Wer wäre daran nicht schon mehrmals gescheitert?


Die Beziehungskiste ist biegsam


Äußerst vergnüglich, aber auch etwas melancholisch wird das in der Inszenierung von Martina Veh vorgeführt: Ihre Ausstatter Momme Hinrichs und Torge Møller lassen in einer Videoprojektion während der Ouvertüre eine riesige Beziehungskiste durch den Raum schweben. Wie sich schnell herausstellt, ist da drin jede Menge los, und, ehrlich gesagt: Die Kiste ist nicht sehr haltbar, aber dafür äußerst biegsam. Kann schon passieren, dass sie auseinander fällt, dass sich in ihr Abgründe auftun, dass sich Wände und Perspektiven verschieben, ja etliche neue Kisten aufkreuzen, große wie kleine. Und drum herum wachsen paradiesische Blumen, die allerdings verdächtig nach männlichen und weiblichen Geschlechtsorganen aussehen. Offenbar wird dieser Garten der Lüste kräftig mit Hormonen gedüngt.


Böses Seminar über die Liebe


Überhaupt, der Boden, er ist gefährlich schwankend, und wird von so umtriebigen wie tollpatschigen Bewohnern besiedelt, die trotz blütenweißer Kostüme jedenfalls nicht sehr artig aussehen, eher leichtsinnig. Über gut drei Stunden hinweg wird "Cosi fan tutte" in Würzburg so zu einem heiter-anarchischen, ja mitunter richtig bösen Seminar über die Liebe. Mozarts Rokoko war nämlich, das wird vor allem im Text deutlich, keineswegs süßlich-verspielt, sondern kaltschnäuzig bis sarkastisch, wenn es um Sex ging. Die zum Untergang verdammte Oberschicht nahm sich diesbezüglich mehr Freiheiten, als die nachfolgende Französische Revolution jemals erkämpfte.


Dirigent spielte alle Rollen mit


Regisseurin Martina Veh schaffte es auch, die Längen in "Cosi fan tutte" weitgehend vergessen zu machen: Natürlich, heute würde Mozart das Ganze vermutlich in 90 Minuten erzählen, um dreieinhalb Stunden ebenso schnell vergehen zu lassen, bedarf es vieler optischer Einfälle. In Würzburg hatte die Bühnenmaschinerie denn auch soviel zu tun, dass sie hier und da vernehmlich knirschte und manche Drehung sinnfrei hinter sich bringen musste. Dafür glänzte der italienische Generalmusikdirektor Enrico Calesso einmal mehr mit seiner hingebungsvollen Leidenschaft: Er spielt alle Rollen selbst mit, buchstabiert jedes Wort voller Begeisterung, seufzt und lacht, ist gleichzeitig Kraftwerk und Magnetpol der Aufführung, an dem sich alle ausrichten. Eine überzeugende Leistung, auch von den Würzburger Philharmonikern.


Männer hängen in der Luft


Alle sechs Solisten machten den ernsten Spaß offensichtlich hochmotiviert mit: Silke Evers als kühle Blondine Fiordiligi, Marzia Marzo als lebensfrohe Brünnette Dorabella. Akiho Tsujii war eine verschlagene Zofe, Taiyu Uchiyama ein überraschend lässiger Philosoph Don Alfonso, der Treue für überschätzt hält, Geld dagegen für unterschätzt. Daniel Fiolka als Guglielmo und Roberto Ortiz als Ferrando schweben zeitweise buchstäblich in der Luft mit ihren machohaften Wertvorstellungen. Dafür müssen sie sich am Ende mit den längsten Hochzeitschleiern aller Zeiten abmühen. Die Beziehungskiste, die geht übrigens nach einem kräftigen Fußtritt zu Bruch, was wohl heißen soll: Die Liebe, die ist nicht von Pappe.


Wieder am 12., 22. und 24. Oktober.