Frenetischer Jubel für Josef Stalin, wo immer er auftauchte und redete – in Moskau herrschte Hysterie, damals, Ende 1936, als der bayerische Erfolgsautor Lion Feuchtwanger in die Stadt reiste. Stalin mordete sich mit brutaler Rücksichtslosigkeit zum Alleinherrscher, der erste Schauprozess gegen Parteifunktionäre war vorbei, weitere Prozesse folgten, und Chefankläger Andrei Wyschinski forderte, alle Stalin-Gegner wie „räudige Hunde“ zu erschießen.
Feuchtwangers "Geld wird jeden Tag mehr"
Ein denkbar düsteres, winterliches Moskau, in dem Angst und Schrecken regierten. Doch Lion Feuchtwanger, der als deutscher Emigrant und international gefragter Dichter recht fürstlich an der französischen Riviera lebte, wurde von den sowjetischen Behörden hofiert, wie Anne Hartmann für ihr lesenswertes Buch über den bizarren Moskau-Besuch des viel gelesenen Schriftstellers recherchiert hat.
"Er wurde überschüttet mit Komplimenten, mit Ovationen, wenn er irgendwo in einem Theater war oder in einem Kino. Man hat ihm, als er ankam, einen Pelzmantel geschenkt. Er kam mit vierzig Verträgen zurück, das ist natürlich unglaublich. Und er schreibt irgendwo: 'Geld habe ich hier sehr reichlich, es wird jeden Tag mehr.' Es gab Leserkonferenzen, und da wurde gesagt, allein im Kugellagerwerk Ordschonikidse gäbe es 15.000 Leser seiner Bücher, usw. Das war natürlich wirklich eine tolle Ego-Massage." Autorin Anne Hartmann
Spitzel: "Er hatte keine Ahnung"
Und zwar eine Massage, die wirkte. Feuchtwanger veröffentlichte nach seinem zweimonatigen Aufenthalt in der Sowjetunion eine Lobrede auf das Land im Allgemeinen und Stalin im Besonderen, Titel: „Moskau 1937“. Sogar die Schauprozesse fand Feuchtwanger nachvollziehbar. Ein folgenreiches Buch.
"Ich glaube, er hatte keine Ahnung, dass auch Personen aus seinem persönlichen Umfeld Berichte schrieben, über das, was er sagte, was er kritisierte – was natürlich zeigt, dass er im Grunde Objekt eines hochrangigen operativen Vorgangs war." Anne Hartmann
Feuchtwanger: Nur Stalin kann Hitler besiegen
Lion Feuchtwanger wurde wie ein Staatsgast behandelt, sprach sogar ein paar Stunden mit Stalin persönlich – das Wortprotokoll des Interviews hat Anne Hartmann in den Archiven entdeckt und als eines von zahlreichen Dokumenten ihrem so erhellenden wie spannenden Buch beigegeben. Ja, so funktionierte Stalins Terror-Herrschaft: Gewalt und Lüge, Schmeichelei und Drohungen. Feuchtwanger war nicht naiv, aber als ungemein eitler (und großzügiger) Emigrant empfänglich für Lobhudeleien – und er war überzeugt, dass nur Stalin die Macht hatte, Hitler zu besiegen. Deshalb dieses aberwitzige Buch, „Moskau 1937“.
"Er war ja bekannt als (...) Verfasser historischer Romane. Mein Vorschlag ist ja, dass man diesen Reisebericht auch als eine Art historische Novelle lesen kann, nur das er sein Modell nicht in die Vergangenheit projiziert, sondern in die Zukunft. Im Reisebericht sehe ich eigentlich ein ähnliches Verfahren, weil er im Grunde von allem abstrahiert, was er sieht, und eine Art Modell entwirft, eine Art Zukunftsentwurf eines idealen Staates, in dem ein Konsens aller herrscht und alle auch eine Zukunftsgewissheit haben und wissen: Morgen wird es besser als heute, und übermorgen wird es ideal." Anne Hartmann
Das FBI beschattete Feuchtwanger
Glück gebracht hat Lion Feuchtwanger der Moskau-Besuch nicht: Seine Stalin-Eloge „Moskau 1937“ war und blieb hoch umstritten und warf einen sehr langen Schatten:
"Dieses Buch hat ihn im Grunde bis an sein Lebensende verfolgt, denn er ist ja 1940 in letzter Minute in die USA ausgewandert und wurde dort vom FBI bis an sein Lebensende 1958 beschattet und bekam nie die amerikanische Staatsbürgerschaft, und ein wichtiger Grund dafür war eben dieses Moskau-Buch." Anne Hartmann
Anne Hartmann: "Ich kam, ich sah, ich werde schreiben« - Lion Feuchtwanger in Moskau 1937. Eine Dokumentation, Wallstein-Verlag, 39 Euro.