Wie wäre das? Statt einer mühselig zu planenden Work-Life-Balance – einfach zwei Leben. Eins für jeden Zweck: ein Arbeitsleben und ein Privatleben. Für einige Angestellte der fiktiven Firma Lumen ist das Realität. Sie haben dem Prozess der "Severance" zugestimmt, einer Hirn-Operation, die strikte Spaltung ermöglicht. Mark (Adam Scott) hat sich für die Operation entschieden, damit er nicht ständig an seine verstorbene Frau denken muss. Er sortiert seine Trauer aus. Denn sein Arbeits-Ich – genannt Innie – hat keine Erinnerungen an sein Leben außerhalb des Büros. Dafür weiß sein Freizeit-Ich – genannt Outtie –nichts von seiner Arbeit. Seine Erinnerungen sind örtlich gebunden. Das funktioniert. Bis sein Team Neuzugang erhält: Helly (Britt Lower). Die keine Sekunde länger in dieser Abteilung bleiben will.
Risse in den sorgsam getrennten Welten
Woran sich alle anderen gewöhnt haben, dem will sie sich nicht fügen: Dass sie seit der Severance nichts mehr weiß – welchen Hobbys sie nachgeht, welche Augenfarbe ihre Mutter hat, dass sie eine Arbeit verrichten soll, deren Sinn ihr nicht klar ist – Helly stellt den Status Quo anhaltend infrage. Britt Lower sagt über ihre Rolle: "Helly hat direkt ein Bauchgefühl, dass hier etwas nicht stimmt. Für mich repräsentiert sie das Es im Vergleich zum Ego. Sie ist instinktiv, wach, unverfälscht ehrlich, hat keine Angst vor der Konfrontation."
Durch Helly kommt auch Marks Innie ins Zweifeln. Und auch Marks Outtie wird misstrauisch – nur können seine beiden Ichs sich nicht über ihre Erfahrungen austauschen.
Bürowelt mit surrealen Zügen
Die Bürowelt in "Severance" wirkt wie eine mangelhafte Kopie unseres Alltags – ist aber doch nicht ganz unsere Realität. "Severance" behält sich wie etwa auch die Serie "Sex Education" vor, in welcher Zeit seine Figuren Leben: In der Freizeit verwenden sie Handys, ihre Büro-Bildschirme aber sind klobig und überholt. "Severance" kann auf mehreren Ebenen satirisch gelesen werden – voller Spitzen gegen andere Serien, die in Büros spielen ("The Office"/ "Stromberg") oder gegen das echte Arbeitsleben. Die Büro-Persönlichkeiten erinnern an Kollegen-Typen die wir kennen – satirisch stark zugespitzt. Der immer wieder trockene Humor ist vor dem Bildschirm lustig, in der Serie wird aber kaum gelacht. Im Büro meint man Windgeräusche zu hören, die Umgebung ist kalt, der Snackautomat sieht eher aus wie eine Kunstinstallation als eine Einladung zur Pause.
Schauspieler Zach Cherry hat auch den Dreh als sehr surreal erlebt: "Die Decke war ein bisschen zu tief, das Licht merkwürdig, der Teppich ein hypnotisierendes Grün – der Raum, in dem unsere Figuren arbeiten ist unglaublich groß und doch stehen nur vier kleine Schreibtische drin. Das alles hat geholfen dieses Gefühl von 'was ist hier los?' umzusetzen."
Aus Büro-Serie wird Mystery-Thriller
Jede noch so abstruse Überraschung fügt sich nahtlos ein, so rund hat Regisseur Ben Stiller den scheinbar unendlichen und nahezu menschenfeindlichen Büro-Kosmos inszeniert. Diese skurrile Atmosphäre erzeugt von Beginn der Serie an Spannung – noch bevor die eigentliche Handlung ins Rollen kommt. Bis die Arbeits-Persönlichkeiten sich erlauben zu verstehen, dass sie den unliebsamen Anteil des Lebens managen. Sie sitzen nie in der Sonne, tragen nie Morgenmäntel, sehen nie ihre Familien. Mit Beginn der Rebellion wird die Serie zu einem Mystery-Thriller, in dem Serien-Autor Dan Erickson die perfiden Möglichkeiten so einer Aufsplittung durchspielt. Er scheint uns zuzuflüstern: Begreift euer Leben ganzheitlich – ihr seht, wohin das sonst führen kann!
Inwiefern die Serie neben kunstvoll-surrealer Ästhetik auch mit einer in sich schlüssigen Geschichte punktet? Das wird eine zweite Staffel zeigen müssen. Wie immer mehr Serien sträubt sich auch "Severance" gegen die alte Logik, nach der in Staffel 1 eine Handlung abgeschlossen wird und dann – bei Publikumsgefallen – durch weitere Staffeln neue Geschichten hinzugefügt werden. "Severance" macht einfach Pause. Und bleibt eine Auflösung schuldig. Es gibt Serien, in die will man zurück, weil man in dieser Welt leben möchte. Das ist hier ganz sicher nicht der Fall. Es gibt aber auch Serien, in denen möchte man wandeln wie in einem Museum. Und "Severance" ist eine der eindrucksvollsten Ausstellungen, die es derzeit zu sehen gibt.
"Severance" ist ab dem 18.02. bei Apple TV+ abrufbar.
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