Der 42-jährige Kehlmann verlagert die Geschichte dieses angeblich 1350 in Mölln gestorbenen Narren ins Chaos des Dreißigjährigen Krieges, 1618 bis 1648. Er wird Augenzeuge der letzten großen Feldschlacht dieses Krieges in Zusmarshausen bei Augsburg, er flieht am Ende dieses Krieges ins Kloster Andechs am Ammersee, betreibt einen Zirkus in Holstein und arbeitet als Mineur in Westfalen. Für Kehlmann ist er ein in Zeit und Raum vagierender Narr, kein Spaßvogel, sonder ein undurchsichtiges, von zarter Dämonie umflirrtes Wesen.
"Tyll Eulenspiegel ist ja eigentlich kein Entertainer und er ist auch kein Scharlatan, jedenfalls nicht, wie ich ihn sehe oder wie ihn auch das alte Volksbuch zeichnet, er ist ja eher ein – in der ursprünglichen Überlieferung – brutaler und ziemlich bösartiger Soziopath. Also jemand, der sich überhaupt nicht in den ja damals gerade erst beginnenden zivilisatorischen Prozess einpasst. Die später in der Kindernacherzählung von Erich Kästner so lustig daherkommenden Streiche sind ja ursprünglich sehr, sehr brutale Gemeinheiten, die er Menschen antut – und da lachen auch nicht die Menschen, da lacht er und verschwindet. Also es gibt etwas sehr Brutales und ich finde eben nicht nur zart Dämonisches, sondern ursprünglich sehr massiv Dämonisches um die alte Figur des Narren." Daniel Kehlmann
Eher Figurenreigen als Schelmenroman
In "Tyll" gelingen Kehlmann immer wieder starke einzelne Szenen, und auch die Rahmengeschichte, die eine Rachegeschichte ist, funktioniert. Nicht jedem wird dabei gefallen, dass Kehlmann Tylls Lebensgeschichte bewusst zerfasern lässt.
"Tyll ist bei mir eigentlich schon die zentrale Figur, und er ist die bei weitem rätselhafteste Figur auch für mich, aber er ist auch sozusagen der rote Faden, an dem ich dieses ganze Figurenensemble aufhänge. Es gibt Kapitel im Buch, da hat er überhaupt nur kurze Gastauftritte, in anderen Kapiteln ist er die Hauptfigur, aber das Buch ist eher ein Reigen als ein Schelmenroman", so Kehlmann.
Cameo-Auftritt William Shakespeares
In diesem Reigen treten etwa die sogenannten "Winterkönige" auf, Elisabeth Stuart und Friedrich V. von der Pfalz. Ihren Spottnamen verdanken sie dem Umstand, dass sie nur einen Winter lang Könige von Böhmen waren. Immerhin aber sahen sie, da Elisabeth Stuart dem britischen Königshaus entstammte, bei Hofe Uraufführungen der Werke William Shakespeares. So bekommt der größte Dramatiker aller Zeiten dann auch einen gelungenen Cameo-Auftritt bei Kehlmann.
Daniel Kehlmann: "Tyll", Roman, 480 Seiten, Rowohlt 22,95 Euro