Wenn Josef Köpplinger, der Intendant des Münchener Gärtnerplatztheaters, seine Schirmmütze ablegt, dann ist das ungefähr so spektakulär, als ob Udo Lindenberg ohne Hut herumläuft oder Karl Lagerfeld auf seine Brille verzichtet. Die Basecap ist Köpplingers Markenzeichen - gestern Abend, zur feierlichen Wieder-Eröffnung seines Theaters, ließ er sie mal weg. Was für ein Neuanfang! Und er ist nicht nur ironisch zu verstehen:
Ich habe eine angeborene Licht-Sensibilität. Ich halte das nicht lange aus, ohne weinen zu müssen. Heute ist der Testlauf, ich dachte, es ist ein neues Haus, ich probiere das mal aus. Aber mittlerweile brennen die Augen schon wahnsinnig. Ich ziehe ich das heute mal durch. - Josef Köpplinger
Kultusminister Spaenle war erkältet
Natürlich wollten die Festgäste, darunter Franz Herzog von Bayern, sowie zahlreiche Intendanten und eine Handvoll Politiker, u.a. ein erkälteter Kultusminister Ludwig Spaenle, vor allem wissen: Was hat sich geändert, im Gärtnerplatztheater, dem Münchener Opern- und Operettenhaus, das sich immer auch als "Volkstheater" verstanden hat - im Gegensatz zur großen, prächtigen und teuren Staatsoper. Der Zuschauerraum wurde lediglich aufgefrischt, die gut 120 Millionen Euro teuren Bauarbeiten konzentrierten sich auf die technischen Anlagen, die Probenräume und den nagelneuen Verwaltungstrakt.
Kosten: Steuerzahlerbund irritiert
Ja, es hat lange gedauert und es war viel teurer als geplant, was den Steuerzahlerbund und den Bayerischen Rechnungshof irritierte, aber jetzt, nach der zweieinhalbstündigen Gala gibt sich Josef Köpplinger erleichtert:
Als Intendant bin ich einfach unfassbar stolz auf dieses Haus, auf und hinter der Bühne. Das sagt vermutlich jeder Intendant. Aber das durchzustehen fünf Jahre, dann am 12. September zu Saisonbeginn nicht drei Monate technischen Vorlauf gehabt zu haben, dann diese Neuproduktion, diese Riesen-Gala zu machen mit 230 Mitwirkenden, dass niemand die Nerven verloren hat, ich heute Nacht um drei und um fünf aufgewacht bin und gedacht habe: Wenn jetzt der Strom ausfällt, was machen wir dann! Aber irgendwann sagt man dann, das ist Theater, es ist nur Theater, aber es ist so wichtig, es ist so unendlich wichtig.
Hitlers Lieblingsoperette: "Lustige Witwe"
Nur drei Proben gab es für die Eröffnungsproduktion, die dennoch erstaunlich professionell ablief. Etwas Musical, etwas Operette und Oper, eine rasante Ballett-Einlage, Carl Orffs "Carmina Burana" und die "Dreigroschenoper": Das Gärtnerplatztheater legt Wert auf eine unterhaltsame Mischung. Das allerdings wussten auch die Nazis zu schätzen, Adolf Hitler persönlich kam gerne hierher, die "Lustige Witwe" war seine erklärte Lieblingsoperette, da kümmerte er sich auch um Details. Johannes Heesters, der Sänger des "Danilo", scheute sich damals nicht, mit der SS das Konzentrationslager Dachau zu besichtigen. Ein ganz düsteres Kapitel vermeintlich "leichte Muse".
Ich sehe auch im Unterhaltungstheater eine Verpflichtung, dem Demokratischen, dem Freien, einen Raum zu geben. Aber ich war nie derjenige, der mit einem moralinsauren Zeigefinger dahin zeigt, weil sonst geht man woanders hin oder spielt man das woanders. Unterhaltung hat mit Haltung statt zu finden. Aber dass tue ich keinem Herrn Hitler an, ihn damit in Verbindung zu bringen. Ich hätte das am liebsten verschwiegen, dass das seine Lieblingsoperette ist, weil die "Lustige Witwe" das nicht verdient hat. - Josef Köpplinger
"Totentanz" im Jahr 1914
Köpplinger wird die Operette im Jahr 1914 spielen lassen und als "Totentanz" inszenieren - schließlich begann damals der Untergang Europas. Und auch gestern war die NS-Zeit kurz Thema: Ein Goebbels-Zitat wurde verlesen, ein Tagebucheintrag, wonach er der Presse untersagte, über jüdische Vorfahren des Operettenkönigs Johann Strauss zu berichten. "Unpolitisch" war das Musiktheater also nie. Und doch: "There ist no Business like Showbusiness", wie es gestern Abend zum Schluss der Gala hieß. Der schöne Schein, er macht nicht nur viel Arbeit, er fordert auch Kraft, Engagement und manchmal sogar Mut:
Unser Haus steht für Freiheit. Hier arbeiten Menschen aus 43 Nationen, unterschiedlicher Glaubensrichtungen, einschließlich Atheismus. Unterschiedlicher sexueller Neigungen. Das ist die Gesellschaft, für die unser Haus steht: Eine offene, bunte Gesellschaft.
"Selbstverständlich" ist das heutzutage bekanntlich nicht immer. Der Intendant des Berliner Friedrichstadtpalasts erlebte ja gerade einen Shitstorm, weil er sich fragte, ob AfD-Wähler in seinem Revue-Theater noch willkommen sein sollten, so bunt und international, wie die Kunst nun mal ist. Mal sehen, wie die "Lustige Witwe" ihre Fassung bewahrt!