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Utopien für Realisten: Das neue Buch von Rutger Bregman

Utopien für Realisten: Das neue Buch von Rutger Bregman

Der junge Historiker und Journalist Rutger Bregman hat ein aufrüttelndes Buch geschrieben mit lauter Vorschlägen zur Veränderung, zur Verbesserung unserer Welt. „Utopien für Realisten“ heißt er und der Autor erntet international großes Lob dafür.

Über dieses Thema berichtet: kulturWelt am .

Die westliche Welt – das Land des Überflusses – sei in einen satten traumlosen Schlaf gefallen, ein politisches Koma – schreibt der Journalist und Historiker Rutger Bregman in seinem Buch:

"Radikale Ideen für eine andere Welt sind buchstäblich undenkbar geworden. Wir haben unsere Erwartungen bezüglich dessen, was wir als Gesellschaft erreichen können, deutlich zurückgeschraubt. Nun stehen wir vor der kalten, harten Wahrheit, dass uns ohne Utopie nur die Technokratie bleibt."

Wo die Utopien fehlen, da blüht ihr Gegenteil – die Dystopie. Wenn schon keine Träume, dann doch immerhin Albträume. Wenn schon keine Alternativen, dann doch immerhin alternative Fakten. Womit genau jenes Dilemma bezeichnet wäre, aus dem Rutger Bregman mit seinem Buch heraushelfen möchte. "Utopien für Realisten" meidet die Sprache der Alternativlosigkeit ebenso entschieden wie die alternativen Fakten.

Möglichst nahe an der Wirklichkeit

Bregmans Strategie besteht vielmehr darin, Alternativen auf Fakten zu stützen. Sprich: das scheinbar Utopische möglichst nahe an die Wirklichkeit heranzurücken. Und dort warten: das bedingungslose Grundeinkommen, die 15-Stunden Woche und eine Welt ohne Grenzen. Wie aber kommen wir dorthin? Welche Fakten sollen uns in die von Bregman anvisierten utopischen Zukünfte tragen? 

"Ein Blick in die Vergangenheit kann uns die Augen dafür öffnen, was sein könnte. Warum sollten wir uns theoretisch mit dem bedingungslosen Grundeinkommen beschäftigen, wenn wir in den siebziger Jahren ein Anschauungsbeispiel für seinen Aufstieg und Fall finden? "

Dauphin, Kanada, im Jahr 1973: Start des größten Feldversuches, der je zum bedingungslosen Grundeinkommen durchgeführt wurde. Jeder Einwohner, der unter der Armutsgrenze lebt bekommt umgerechnet etwa 19000 Dollar im Jahr. Vier Jahre lang. Bis eine konservative Regierung an die Macht kommt und das Experiment stoppt. Begründung: zu teuer! Nicht einmal für die Auswertung der Daten will man weiter Geld ausgeben. Die Ergebnisse scheinen sowieso klar: "Gibt man Menschen Geld, ohne dass sie dafür arbeiten müssen, so werden sie faul."

Entlastung für Gewissen und Brieftasche

Dreißig Jahre später wird der Feldversuch doch noch ausgewertet. Ergebnis: Die Menschen arbeiteten durchschnittlich genauso viel wie vorher. Außerdem wurden sie seltener krank, was das Gesundheitssystem entlastete und so die Kosten für das Programm deckte. Fazit: Die Armutsbekämpfung entlastet nicht nur unser Gewissen, sondern auch unsere Brieftasche.

Bregmans Mantra lautet: Was theoretisch plausibel klingt, ist empirisch noch lange nicht wahr. Und genau darin liegt der intellektuelle Hauptgewinn seines Buches: Denn es sind überraschende, mitunter sogar paradox anmutende Thesen, die er mithilfe zahlreicher Studien oder historischer Beispiele erhärtet: "Geld verschenken lohnt sich!" ist nur eine davon. Eine andere lautet: "Weniger Arbeit zahlt sich aus!" – Unternehmer wie der Autobauer Henry Ford, Pionier der 40-Stunden-Woche, konnten ein Lied davon singen.

Fundgrube für Argumente

Geschichte ist für Bregman jedoch nicht nur eine Fundgrube für Argumente, mit denen er seine politischen Forderungen untermauern kann. Der Blick zurück zeigt auch, dass Traum und Wirklichkeit nicht immer so weit auseinanderlagen, wie es heute den Anschein hat. Ausgerechnet der konservative US-Präsident Richard Nixon plante in den Sechzigern die Einführung eines Grundeinkommens in den USA - gegen die Bedenken seiner republikanischen Parteigenossen. 

"Den entscheidenden Widerstand leisteten jedoch die Demokraten: […] sie forderten ein noch höheres Grundeinkommen. Nach monatelangem Tauziehen zwischen Senat und weißem Haus wurde das Gesetzesvorhaben schließlich aufgegeben."

So nahe dieses Beispiel die Utopie an die (historische) Wirklichkeit heranrückt, es macht auch sichtbar: Politisch durchsetzen lässt sich eine Idee nicht schon dadurch, dass sie die besseren Argumente auf ihrer Seite hat. Mal scheitert ein Kompromiss am Parteikalkül. Mal fehlt schlicht und ergreifend der Wille zur Einsicht: Wir klammern uns sogar umso fester an unsere alten Überzeugungen, je deutlicher die Realität dem widerspricht. Paradox – klar. Aber auch das: empirisch leider wahr. Die Lehre aus Bregmans "Utopien für Realisten" ist demnach eine doppelte: nicht nur, dass das Ende der Armut oder die massive Reduzierung der Arbeitszeit keine realitätsfernen Spinnereien sind. Sondern auch, dass ihre Durchsetzung Realisten bitter nötig hat.