Eiskunstläuferinnen bei einer vaterländischen Show
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Glückliche Künstlerinnen in Russland

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Vorbild Bhutan: Russland debattiert über "Glücksministerium"

Die einen erwarten Zustände wie bei George Orwells "1984" und fürchten, dass "Unglückliche" bestraft werden. Andere hoffen auf weniger Vorschriften: Putins Vertraute Walentina Matwijenko irritiert die Russen mit dem "Traum" vom Ministerium für Glück.

Über dieses Thema berichtet: BR24 am .

Auf der internationalen Glücks-Rangliste der Vereinten Nationen ("World Happiness Report") belegt Russland derzeit den wenig schmeichelhaften 70. Platz, hinter Bolivien und vor Bosnien-Herzegowina. Die "Medaillenplätze" belegen die nordischen Länder Finnland, Dänemark und Island, Deutschland rangiert auf Platz 16. Moskau hätte also allen Grund, etwas für die Befindlichkeit der Russen zu tun, zumal die Vereinigten Staaten, die nach Putins Ansicht die "Wurzel des Bösen" verkörpern, mit Platz 15 in der Spitzengruppe mithalten. Doch die Chefin des russischen Föderationsrats, Walentina Matwijenko, hat bei ihrem "Traum" von einem "Glücksministerium" wohl weniger die internationalen Wettbewerber im Sinn, sondern mehr die eigene Propaganda. Die daraus folgende öffentliche Debatte spricht mehr für den bitteren russischen Humor als für aufrichtige Begeisterung.

"Kleine Selbsthilfegruppe" eingerichtet

Auf einer Tagung in Moskau war Matwijenko, die rein nominell die zweithöchste Position in der Kreml-Hierachie besetzt, gefragt worden, welches Gesetz ihrer Meinung nach am dringlichsten wäre. Ihre Antwort laut Nachrichtenagentur RIA Nowosti: Ein Gesetz über "universelles Glück", überwacht von einem eigenen Ministerium. Wörtlich sagte die langjährige politische Weggefährtin von Putin: "Durch dieses Haus müssten alle Entscheidungen, alle neuen Gesetze gehen, um zu prüfen, ob diese oder jene neue Regelung, dieser oder jener Regierungsbeschluss die Menschen glücklicher macht." Sie habe eine "kleine Selbsthilfegruppe" zu dem Thema eingesetzt, fügte Matwijenko gänzlich unironisch an.

Ganz so absurd, wie es zunächst anmutet, ist der Gedanke an ein "Glücksministerium" nicht, so russische Kommentatoren, die auf den kleinen Himalaya-Staat Bhutan verweisen, wo es seit 2008 tatsächlich eine Behörde gibt, die alljährlich das "Bruttonationalglück" erfasst. Bei Volkszählungen wird regelmäßig nach der Lebenszufriedenheit gefragt. Bei den Vereinten Nationen war Bhutan 2012 federführend, was die Einrichtung des eingangs erwähnten "World Happiness Index" betrifft. Allerdings ist der abgelegene Zwergstaat bei seiner "Glücksarbeit" mäßig erfolgreich: Er rangierte zuletzt auf Platz 97.

"Wenn es nicht hilft, auf dem Bau wegsperren"

Der russische Polit-Blogger Konstantin Kalaschew schrieb dazu: "Als ich in Bhutan war, habe ich die Einheimischen zum Thema Glück befragt. Der König hat zum Beispiel angeordnet, dass die Zahnheilkunde im Land kostenlos sein soll. Bis auf die teuren und exklusiven Implantate ist alles für jedermann zugänglich. Ohne gesunde Zähne kein Glück! Ohne gesundes Gehirn dagegen wird das Leben deutlich einfacher." Grundsätzlich könne der Kreml das "Unglück" ja durchaus verbieten, so Kalaschew spöttisch, zumal Putins TV-Propagandisten schon jetzt unliebsame Dissidenten zur "Glücksförderung" in die Psychiatrie steckten wollten: "Unglückliche sollten mit einer Geldstrafe belegt werden. Man könnte ihnen auch anbieten, das Land zu verlassen. Wenn das nicht hilft, werden die besonders hartnäckigen Fälle auf dem Bau oder in der Forstwirtschaft von der Gesellschaft weggesperrt. Böse Zungen werden sagen, dass es bereits so ist."

"Sondereinheiten erzwingen das Glück"

Kein Wunder, dass Matwijenko in Russland angesichts des Krieges und einer desolaten Wirtschaftslage mit ihrem "Glücks"-Vorstoß viel Spott erntete. Blogger Roman Aljechin (100.000 Abonnenten) befürchtete sarkastisch, im russischen Innenministerium würden sicher bald "Sondereinheiten auftauchen, die die Unglücklichen einsperren und nach Wegen suchen, ihr Glück zu erzwingen". Ernsthafter machte er den Vorschlag, die Korruption zu bekämpfen, um "echtes statt eingebildetes Glück" zu befördern. Im Übrigen hofft Aljechin auf eine durchgreifende Entbürokratisierung, vor allem an der Front, wo die vielen Vorschriften buchstäblich "Blut" kosteten. Weniger Papierkram mache die Soldaten auf jeden Fall glücklicher. Im Übrigen gebe es bestens bekannte Maßstäbe für Glück: Lebenserwartung, medizinische Versorgung, Sicherheit.

"Verteidigungsministerium macht glücklich"

Andere erhofften sich von Matwijenkos Anregung immerhin eine "verbesserte Atmosphäre" und ein Lächeln auf dem Gesicht vieler Russen. Äußere wie innere Umstände machten derzeit "Probleme" beim Glücksempfinden. Nicht alles laufe gut, daher gebe es Veränderungsbedarf. Ein Telegram-Portal verwies darauf, dass sich Russen Umfragen zufolge ab einem Monatseinkommen von 200.000 Rubeln (rund 2.000 Euro) glücklich fühlten. Das entspräche fast genau dem Sold, den Freiwillige für die Front bekämen: "Der Staat, vertreten durch das Verteidigungsministerium, ist durchaus in der Lage, die Mehrheit der Russen glücklich zu machen und es bedarf weder eines Glücksgesetzes noch eines 'Glücksministeriums'." Das monatliche Durchschnittsgehalt lag in Russland zuletzt bei rund 720 Euro, also deutlich unter der "Glücksschwelle".

Es sei seltsam, dass Russland offenbar abermals unter die nur allzu bekannte "Knute" geraten könnte, was die Durchsetzung des Glücks betreffe, argumentiert einer der meist gelesenen Blogger: "Man hat erkannt, dass es im Rahmen des bestehenden politischen Wirtschaftsmodells unmöglich ist, das russische Volk glücklich zu machen. Niemand wird dieses Modell ändern. Daher wird geplant, ein Gesetz zu verabschieden, das alle Menschen ein für alle Mal als glücklich anerkennt und ihnen verbietet, anders zu denken. Das Gesetz wird sich in etwa so lesen: 'Alles ist gut, alle sind glücklich.' Überlassen Sie die Kontrolle über die genaue Umsetzung dem Ministerium für Glück." Wie das funktioniere, lasse sich bei George Orwell nachlesen.

"Glück der Menschen hat nichts mit Russland zu tun"

Der Blogger fragt sich, was Walentina Matwijenko wohl angetrieben habe, das groteske Thema auf die Tagesordnung zu setzen: "Glück ist in der russischen Gesellschaft ein Fremdkörper. Kann jemand bei nüchterner Betrachtung der Geschichte des Landes die Ära nennen, in der das russische Volk glücklich war? Die Frage ist rein rhetorisch. Es gab keinen solchen Zeitraum." In Russland habe es stets nur "Abstufungen des Unglücks" gegeben. Immer, wenn gerade Ruhe eingekehrt sei, gebe es einen Staatsbankrott, Sanktionen oder einen Krieg. Auch die nach Ansicht der Propagandisten angeblich ruhmreichen Abschnitte der Geschichte unter Zar Peter dem Großen, Katharina der Großen oder Stalin seien wohl kaum vorteilhaft gewesen: "Irgendwie stellt sich heraus, dass das Glück der Menschen und die Entwicklung des Landes in Russland nichts miteinander zu tun haben. Oder sich sogar gegenseitig ausschließen."

Politologe Stanislaw Byschok hält es nach Aristoteles für richtig, nach Glück zu streben. In Russland müssten dafür allerdings "eine Reihe von anderen Gesetzen aufgehoben" werden: "Das erschüttert bereits unsere Grundfesten." Hellsichtig schreibt Blogger Gleb Staschkow, der weitere Weg zur russischen Glücksförderung sei vorgezeichnet. Innerhalb eines Jahres werde es eine neue Bundesbehörde dafür geben, einen Sonderbeauftragten, ein Komitee zur Bekämpfung illegaler Glücksverbreitung, einen Ausschuss zur Förderung des traditionellen Glücks und ein Expertengremium zum Ersatz importierten Glücks: "Hunderte von Beamten wären beschäftigt und damit überaus glücklich."

"Einführung einer neuen Glückssteuer"

Es sei sinnlos, Matwijenkos Worte ernst zunehmen, so Experte Andrej Gusij, zumal einer der stellvertretenden russischen Ministerpräsidenten inzwischen signalisiert habe, dass die Idee nicht umgesetzt werde. Aber zwei Dinge seien "wirklich beängstigend": Erstens glaubten die politisch Verantwortlichen ausschließlich an die Bürokratie, zweitens zeige der Vorschlag, wie weit sie von der Lebenswirklichkeit der Russen entfernt seien.

Einer der kulturbeflissenen Blogger machte sich übrigens die Mühe, bei russischen Literatur-Klassikern nachzuschauen, was die unter Glück verstanden. Demnach sagte Tolstoi, Glück habe man, wenn man von anderen verstanden werde (was nicht von allen aktuellen Gerichtsurteilen behauptet werden könne). Maxim Gorki hielt es für Glück, wenn man arbeite und dabei nicht merke, wie schnell die Zeit vergeht (für die Betroffenen sei das Renteneintrittsalter angehoben worden). Tschechow war der Ansicht, Glück sei es, den richtigen Ort im Leben gefunden zu haben (was für die Elite zutreffe). Der derzeit bekannteste kremlnahe Philosoph, Alexander Dugin, habe zwar zum Thema noch nichts veröffentlicht: "Er hätte wahrscheinlich ein Ministerium für Leiden, Askese und Tod vorgeschlagen. Viel schlimmer ist es aber, dass das Ministerium für Glück sicher die Einführung einer neuen Glückssteuer vorschlägt, die sowohl verwaltungsrechtliche als auch strafrechtliche Verfolgung bei fehlendem Glück vorsieht."

Erfahrungen in Kamtschatka

Tatsächlich habe es in der Region Kamtschatka im Fernen Osten kurzzeitig innerhalb der dortigen Behörde für Familienpolitik mal eine Abteilung für Glücksfragen gegeben, so Experten. Nach drei Jahren Tätigkeit sei jedoch keine "positive Dynamik" erkennbar gewesen. Der "Angstindex" der Russen schwanke monatlich, sei aber angesichts drohender neuer Mobilisierungswellen und der Inflation ebenfalls alles andere als positiv. Immerhin, ein Blogger sparte sich viele Worte und postete lediglich ein Foto vom typisch russischen Glück: Eine Flasche Wodka, reichlich frischer Kaviar und der Ausblick über ein fischreiches Gewässer mit einem ausgenommenen Stör.

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